Auf grosses Interesse bei Jugendlichen stösst das Thema Umweltschutz. Velodemonstration in Genf im Herbst 2021. (Bild: Keystone / Stephan Torre)
Ihr Leben steht noch ganz am Anfang, und trotzdem sorgen sie sich bereits um das Ende: Nur wenige Themen bereiten den jungen Erwachsenen in der Schweiz so viel Unbehagen wie die Vorsorge und die Sicherheit im Alter. Im Sorgenbarometer der Grossbank Credit Suisse aus dem Jahr 2021 zählten 38 Prozent der Befragten zwischen 18 und 29 Jahren die Zukunft der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) zu den fünf wichtigsten Problemen der Schweiz. Nur der Umweltschutz (47%) und die Corona-Pandemie (43%) wurden von mehr Befragten dieser Altersgruppe häufiger genannt. Im Vergleich zur Altersvorsorge fallen typische Jugendthemen wie Arbeitslosigkeit (16%), Drogen und Alkohol (13%) oder auch das Bildungswesen (10%) deutlich ab.
Warum ist das so? Warum sorgt sich eine Generation, der nachgesagt wird, eine Aufmerksamkeitsspanne kürzer als die eines Goldfischs zu haben, um ein Thema, das sie noch für Dekaden nicht betrifft?
Ein Dauerbrenner
Ein Teil der Antwort findet sich im aktuellen gesellschaftlichen und politischen Kontext. Meinungsbildung – und dazu gehört auch die Sorgenwahrnehmung – geschieht nie im luftleeren Raum, sondern wird durch die ökonomische und kulturelle Grundstimmung, gesellschaftliche Megatrends und die aktuellsten politischen Debatten der Zeit beeinflusst.
Die Sanierung der Altersvorsorge ist in der Schweiz sowohl in der Problemwahrnehmung wie auch in der politischen Arena ein Dauerthema. Seit Jahren verfolgen wir, wie ein Versuch nach dem anderen, die Altersvorsorge zu sanieren, scheitert. Das schafft Unsicherheit. Gemäss den Befragten im Jugendbarometer dürfte die hohe Priorität, die dem Thema in der Schweiz zugeschrieben wird, durch die Corona-Krise eher noch verschärft worden sein. Die Angst, dass die grosse finanzielle Last der Krise den Spielraum bei der Sanierung und der Sicherstellung der Altersvorsorge noch verschärft, wird von rund 60 Prozent der jungen Erwachsenen in der Schweiz geteilt.
Neben dem Kontext spielt aber auch die Altersgruppe eine Rolle. Während Millennials, der Generation Y (mit den Jahrgängen 1980 bis 1999), nachgesagt wird, eine Generation zu sein, die in grösstmöglicher Sicherheit aufgewachsen ist, sind die Vorzeichen für ihre jüngeren Brüder und Schwestern düsterer. Vertreter der Generation Z (ab Jahrgang 2000) haben während ihrer prägenden Jahre des Erwachsenwerdens Finanzkrisen und geopolitische Unsicherheiten erlebt. Zudem sind in den sozialen Medien, die eine wichtige Informationsquelle für Jugendliche sind, Fakten und Fake nur schwer auseinanderzuhalten.
Ungewisse Zukunft
Die Generation Y steht für Freiheit, Flexibilität und Optimismus – die Generation Z hingegen für das Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität und für Realismus. Während das Narrativ der endlosen Möglichkeiten die Generation Y noch stark geprägt hat, blickt heute nur noch rund die Hälfte der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Schweiz einigermassen zuversichtlich in die Zukunft – Tendenz sinkend. Und lediglich 27 Prozent der Jungen sind wirklich zuversichtlich, genügend Geld zu haben, um während ihrer Rentenjahre komfortabel zu leben.
Angesichts des Umstandes, dass immer mehr junge Menschen der Generation Z erwachsen werden, dürften ihre eher pessimistischere Sicht der Welt und ihr grösseres Sicherheitsbedürfnis zunehmend an Gewicht im Potpourri der Meinungsbildung der Schweiz gewinnen.
Selbst verantwortlich
Da, wo Sorgen vorhanden sind, besteht Handlungsbedarf. Und da, wo die Politik an Reformen scheitert, wird die Verantwortung an das Individuum übertragen. So finden gemäss dem Credit-Suisse-Jugendbarometer zwei Drittel der Jungen in der Schweiz, jede einzelne Person müsse bei der Verwaltung der Ersparnisse und der Altersvorsorge mehr Verantwortung übernehmen. Das sind zwar weniger als beispielsweise in den USA, wo sogar drei Viertel der Jungen dieser Ansicht sind. Im Vergleich zur Schweiz gibt es dort allerdings keine ähnlich institutionalisierte Altersvorsorge. Klar scheint: Junge Menschen in der Schweiz möchten sich in Zukunft besser absichern und sich dabei nicht ausschliesslich auf andere verlassen.
Allerdings gibt es einen Widerspruch zwischen passiver Einsicht und konkretem Handeln. Laut einer Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern im Auftrag des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik der Universität Luzern aus dem Jahr 2021 interessieren sich 16- bis 30-Jährige in der Schweiz wesentlich stärker für Themen wie Klimaschutz, Gleichstellung oder Work-Life-Balance als für die berufliche Vorsorge. Immerhin rund die Hälfte der Befragten hat ein Interesse an der beruflichen Vorsorge oder an der AHV.
Viele überschätzen sich
Obwohl die Altersvorsorge komplex ist, sind 46 Prozent der jungen Befragten dieser GFS-Umfrage der Ansicht, sie würden über einen guten oder gar sehr guten Wissensstand in Bezug auf die AHV verfügen. Ein Vergleich des selbst zugeschriebenen Wissensstandes mit den Antworten auf klassische Wissensfragen in diversen Wirtschaftsbereichen zeigt jedoch, dass zwischen der subjektiven Wahrnehmung und der objektiven Kompetenz tendenziell eine Diskrepanz herrscht und viele Fragen nicht korrekt beantwortet wurden. Somit überschätzen viele Jungen ihr effektives Wissen.
Dennoch: Die Bereitschaft zu lernen ist durchaus da. Würde den Befragten gratis ein fünftägiger Kurs zum Thema der Altersvorsorge angeboten, melden immerhin 39 Prozent ein grosses oder sogar sehr Interesse an. Nur 7 Prozent geben an, überhaupt kein Interesse am Thema Vorsorge zu haben.
Abschliessend lässt sich somit sagen: Einerseits empfinden viele Jungen eine grosse Unsicherheit, was ihre Zukunft anbelangt – andererseits gelingt der Transfer zum aktiven Handeln nur selten. Ähnlich wie beim Klimaschutz scheint es zudem schwierig, die künftigen Kosten heutiger Handlungen effektiv zu begreifen und zu internalisieren: Trotz Angst vor zu wenig Geld im Alter steht die Work-Life-Balance heute für viele weiterhin im Vordergrund.
Hier können Politik und Wirtschaft einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie auf Augenhöhe aufklären, Möglichkeiten aufzeigen, Kompetenzen schaffen und so eine Generation unterstützen, die – trotz angeblich kurzer Aufmerksamkeitsspanne – bereit ist, weit in die Zukunft zu schauen, und hofft, vernünftige Entscheide zu treffen.
Zitiervorschlag: Jans, Cloé; Rybach, Manuel (2022). Altersvorsorge verunsichert Junge. Die Volkswirtschaft, 28. März.