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Finanzreformen: Welche Generation zahlt?

Mit dem Instrument der «Generationenbilanzierung» kann man die Auswirkungen von finanzpolitischen Reformen auf verschiedene Altersgruppen analysieren. So liesse sich beispielsweise eine AHV-Reform so gestalten, dass die Last besser zwischen den Generationen verteilt würde.
Welche Generation trägt die Hauptlast der AHV? (Bild: Alamy)

Belastet die Staatsverschuldung künftige Generationen? Die expliziten Staatsschulden sind in der Schweiz im internationalen Vergleich tief. Wie sieht es aber mit den sogenannten impliziten Schulden aus – den Verpflichtungen, die der Staat etwa im Rahmen der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) eingegangen ist? Kann er sie einhalten, ohne die jüngeren und künftigen Generationen übermässig zu belasten?

Um diese Generationenverteilung zu erfassen, haben die Forschungs- und Beratungsunternehmen Ecoplan und DIA Consulting im Auftrag der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV) eine «Generationenbilanzierung» vorgenommen (siehe Kasten).[1] Die Studie diente dem Bundesrat als Antwort auf ein Postulat[2] der grünliberalen Nationalrätin Kathrin Bertschy, die eine Aktualisierung der letztmals 2004 durchgeführten Generationenbilanzierung[3] im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) forderte.

Entwicklung der Fiskallücke

Verschiedene Länder publizieren regelmässig Berichte zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Diese Berichte basieren auf einer Methodik, die sich als internationaler Standard gegenüber der Generationenbilanzierung insbesondere aufgrund einer einfacheren Kommunikation der Resultate für die finanzpolitische Diskussion durchgesetzt hat. Sie wird beispielsweise vom Internationalen Währungsfonds (IWF), der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Europäischen Kommission verwendet. Die Langfristperspektiven für die öffentlichen Finanzen der Schweiz, welche das EFD alle vier Jahre erstellt, basieren ebenfalls auf dieser Methodik.[4]

Im Vergleich zu den Langfristperspektiven aus dem Jahr 2021, die bis 2050 reichen, weist die Analyse von Ecoplan/DIA einen längeren Zeithorizont auf. Bis 2050 tragen die Sozialversicherungen zunehmend dazu bei, dass sich die sogenannte Fiskallücke[5] vergrössert. Ab dem Jahr 2100 bleibt der Anteil der Sozialversicherungen an der Fiskallücke stabil. Wenn sich die AHV-Renten weiter gemäss dem Mischindex entwickeln, sinkt der Anteil (die Studie geht jedoch von der Annahme aus, dass die Renten ab 2100 der Produktivitätsentwicklung folgen).

Im Jahr 2018 erwirtschafteten die obligatorische Krankenpflegeversicherung und insbesondere die öffentlichen Haushalte von Bund, Kantonen und Gemeinden allesamt Überschüsse. Im Zeitraum bis zum Jahr 2050 werden diese Ausgaben gemäss der Analyse von Ecoplan/DIA ungefähr budgetneutral ausfallen. Anschliessend resultieren stetig wachsende Defizite. Nach 2100 vergrössert sich die Fiskallücke insbesondere aufgrund wachsender Staatsausgaben und Mehrausgaben bei der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Der Anteil der AHV/IV/EO an den Staatsausgaben bleibt hingegen konstant.

Ohne Finanzreformen steigt die Schuldenquote mittel- und langfristig auf ein nicht mehr nachhaltiges Niveau an. Welche Generationen schlussendlich für diese Last aufkommen müssen, hängt dabei von der Ausgestaltung dieser Reformen und dem Zeitpunkt ihrer Umsetzung ab.

Welche Generation profitiert?

Die Studie von Ecoplan/ DIA untersucht verschiedene stilisierte Reformen wie etwa die Erhöhung der AHV-Beiträge oder die Erhöhung des Rentenalters. Diese entsprechen zwar nicht zwingend dem Detaillierungsgrad aktuell geplanter Reformen, erlauben es aber, die Auswirkungen pro Alterskohorte zu erfassen. So sind Personen, die zum Zeitpunkt der Reformumsetzung bereits pensioniert sind, weder von einer Erhöhung der AHV-Beiträge noch von einer Erhöhung des Rentenalters betroffen. Hingegen wirkt sich die Erhöhung des Rentenalters vor allem auf Personen aus, die kurz vor der Pensionierung stehen.

Die Erhöhung des Rentenalters schlägt zwar auch vollumfänglich auf die Jüngeren durch, macht aber einen kleineren Teil ihrer zukünftigen Einkommen aus (und kann somit durch Einkommenssteigerungen leichter kompensiert werden). Eine Sanierung der AHV mittels Erhöhung der AHV-Beiträge würde die jüngeren Generationen hingegen stärker belasten, da sie länger Beiträge entrichten als ältere Erwerbstätige.

Anders bei einer Mehrwertsteuerreform: Im Gegensatz zu den erwähnten Reformen wären auch Pensionierte betroffen. Eine Steuererhöhung würde die zukünftigen Einkommen der jüngeren Alterskohorten jedoch stärker belasten als diejenigen der älteren Kohorten.

Teure Pandemie

Welche intergenerationellen Auswirkungen gibt es bei den staatlichen Ausgaben zur Bekämpfung der Corona-Pandemie? Bei vielen Massnahmen – wie etwa der Unterstützung für Kultur, Verkehr oder der Kostenübernahme bei Covid-Tests – sind keine Unterschiede zwischen den Alterskohorten festzustellen. Einige Transfers wie beispielsweise Kurzarbeitsentschädigungen fallen allerdings zum Zeitpunkt des Renteneintritts weg. Die Auswirkungen auf die verschiedenen Generationen hängen bei den Corona-Ausgaben letztlich von einem eventuellen Abbau der Corona-Schulden und gegebenenfalls von dessen Modalitäten ab.

Aus der Studie lassen sich auch Empfehlungen ableiten, welche Herangehensweise am besten geeignet ist, um die Nachhaltigkeit der Finanzen zu messen. Methodisch lässt sich zwischen der «impliziten Verschuldung» und der «Fiskallücke» unterscheiden. Wie sich zeigt, eignet sich der Indikator der Fiskallücke gemäss der Studie besser als der Indikator der impliziten Verschuldung, um die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung zu beurteilen. Denn die Fiskallücke hängt viel weniger vom betrachteten Zeithorizont und den Annahmen ab, die über das Produktivitätswachstum oder die Diskontrate getroffen werden.

Vorsicht geboten

Im Vergleich zu den Langfristperspektiven der EFV betrachtet die Generationenbilanzierung einen grösseren Zeithorizont. Weil die Annahmen mit grossen Unsicherheiten behaftet sind, ist es wichtig, diese Szenarien nicht als Prognosen zu verstehen. Ausserdem werden Faktoren wie der Klimawandel nicht berücksichtigt, was aufgrund des grossen Zeithorizonts umso problematischer ist.

Der Nutzen der Generationenbilanzierung besteht somit vor allem darin, die Auswirkungen der öffentlichen Finanzen auf die verschiedenen Alterskohorten der aktuellen oder zukünftigen Bevölkerung zu quantifizieren. Da die von den derzeitigen Generationen bisher geleisteten Beiträge nicht berücksichtigt werden, vermag das Instrument die Auswirkungen der aktuellen öffentlichen Finanzen auf verschiedene Generationen jedoch nicht abzubilden. Die Quantifizierung der Auswirkungen einer finanzpolitischen Reform auf die verschiedenen Generationen ist hingegen möglich, weil eine solche Reform nicht in die Vergangenheit zurückreicht. Bei der Ausgestaltung von künftigen Reformen kann es daher sinnvoll sein, mögliche intergenerationelle Auswirkungen zu berücksichtigen.

  1. Ecoplan / DIA (2021). []
  2. Postulat 17.3884: «Generationenbilanzierung aktualisieren» vom 29. September 2017; Bundesrat (2021). []
  3. Borgmann und Raffelhüschen (2004). []
  4. EFV (2021), Brändle et al. (2022). []
  5. Die Fiskallücke zeigt an, um wie viel der Budgetsaldo über einen gewissen Zeitraum verbessert werden muss, damit der Schuldenstand (in Franken) auf dem Niveau des Basisjahres stabilisiert werden kann. []

Bibliographie

Zitiervorschlag: Martin Baur, Pierre-Alain Bruchez (2022). Finanzreformen: Welche Generation zahlt. Die Volkswirtschaft, 29. März.

Grenzen der Generationenbilanzierung

Eine «Generationenbilanzierung» analysiert, wie sich staatliche Ausgaben auf die verschiedenen Generationen über einen sehr langen bis unendlichen Zeithorizont auswirken. Die hierfür zu treffenden Annahmen sind mit grossen Unsicherheiten behaftet, und namentlich folgende Punkte werden nicht berücksichtigt:

  • bisherige Beiträge der derzeit lebenden Alterskohorten (insbesondere deren bisherige AHV-Beiträge);
  • indirekte intergenerationelle Auswirkungen von Erbschaften oder anderen privaten Transaktionen;
  • zweite Säule der Alterssicherung;
  • Klimawandel;
  • intragenerationeller Umverteilungseffekt von Reformen, die auf die Korrektur eines intergenerationellen Effekts abzielen.

 

Je länger der Zeithorizont ist, desto schwieriger ist es, bei allfälligen Reformen ein realistisches Referenzszenario («unveränderte Politik») zu definieren. Ein Beispiel: Es darf bezweifelt werden, ob man bei einer fortgesetzten Anpassung der AHV-Renten an den Mischindex (der zwar die Entwicklung der Inflation vollständig, die der Reallöhne aber nur zur Hälfte berücksichtigt) in der Tat von einer «unveränderten Politik» sprechen kann. Denn bei einem unendlichen Zeithorizont tendiert die AHV-Rente im Verhältnis zum zu ersetzenden Lohn gegen null.