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Zusammenspiel zwischen Handel und Entwicklung überdenken

Handel und Entwicklung sind zwar eng miteinander verbunden, aber die Entwicklungsländer sind oft nur wenig in den internationalen Handel eingebunden. Die Pandemie bietet nun eine Chance für eine grundlegende Veränderung.
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Eine ökologische Alternative zu kostengünstigen Wachstumsmotoren wie fossilen Brennstoffen: Solarthermisches Kraftwerk in Ägypten. (Bild: Keystone)

Der Handel gehört zu den ältesten Aktivitäten des Menschen. Er prägte die Zivilisationen seit der Antike, förderte Innovationen und neue Produktionsmethoden, entschied über Entwicklungspfade und -schwerpunkte und führte zu Kriegen und Hungersnöten. Gleichzeitig hat er aber auch die Entwicklung und den Wohlstand rasant beschleunigt. Dank der Entkolonialisierung, der Schaffung allgemeiner Zollpräferenzsysteme sowie der Handelsabkommen des General Agreement on Tariffs and Trade (Gatt) und der daraus hervorgegangenen Welthandelsorganisation (WTO) erhielten die sich entwickelnden Volkswirtschaften die Möglichkeit, sich aktiv am internationalen Handel zu beteiligen.

Von diesem massiven Handelswachstum konnten allerdings nicht alle Länder profitieren. Der Anteil Afrikas und Lateinamerikas am Welthandel ist seit 1964, dem Gründungsjahr der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad), sogar geschrumpft. Das Ziel, den Handelsanteil der am wenigsten entwickelten Länder in den letzten zehn Jahren zu verdoppeln, wurde deutlich verfehlt: Er ist praktisch unverändert geblieben.

Zudem hat die Pandemie die Risse in unserem Entwicklungsverständnis schonungslos offengelegt. Sie hat uns gezwungen, über die lange geduldeten Ungleichheiten nachzudenken, die zu unterschiedlich ausgeprägter Verärgerung führen. Gemeint sind etwa der Zugang zu Impfstoffen, die Auswirkungen der Verschuldung oder die Unzulänglichkeiten beim sozialen Schutz. Diese Risse einfach zu kitten, wird nicht genügen. Um den heutigen und künftigen Generationen eine resiliente und nachhaltige Zukunft zu bieten, müssen wir strukturelle Antworten finden.

Paradoxerweise bietet die Krise auch Chancen in Sachen Nachhaltigkeit und Inklusivität, die wir nutzen müssen. So hilft die Unctad den Ländern, ihre Produktionskapazitäten zu ermitteln, ihre Investitions- und Ausbildungsbedürfnisse festzulegen und ihren Wandel zu einer ökologischen und digitalen Wirtschaft vorzubereiten. Zudem ist es ein Ziel der Unctad, Daten und Materialien für die Innovationsförderung und die wirtschaftliche Diversifizierung bereitzustellen.

Handel als Teil der Lösung

Gleich zu Beginn der Gesundheitskrise gefährdete die gegenseitige Abhängigkeit der nach dem Modell «Made in the World» aufgestellten, weltweit produzierenden Volkswirtschaften die Versorgung mit medizinischem Material und Schutzausrüstung. In ihren globalen Lieferketten kam es zu Engpässen bei der Verfügbarkeit von Rohstoffen und Nebenerzeugnissen.

Hinzu kam der Anstieg der Energie- und Transportkosten. All dies stellt eine erhebliche Belastung für die Kaufkraft der Haushalte im globalen Norden dar, gefährdet den Zugang zu Waren des Grundbedarfs und die Ernährungssicherheit in den anfälligsten Volkswirtschaften des globalen Südens. Gleichzeitig erleben wir eine spektakuläre Erholung des internationalen Handels. Im dritten Quartal 2021 erreichte dieser Rekordwerte, die weit über dem Niveau vor der Covid-Krise lagen. Diese paradoxe Entwicklung wirft die Frage auf, wie sich die Wertschöpfungsketten verändern.

Dass sich die Wertschöpfungsketten diversifizieren müssen, ist zweifellos – nur: wie stark? Und für welche Waren und Sektoren müssen sie sich regionalisieren? Das Investitions-Entwicklungs-Paradigma muss überdacht werden. Ebenso könnten kürzere Wertschöpfungsketten den Zugang kleinerer Akteure zu den höheren Segmenten der weltweiten Wertschöpfungsketten verbessern und auf diese Weise die Gewinne gleichmässiger verteilen. Ein solcher Ansatz wäre zudem transparenter und einfacher rückverfolgbar.

Die Rolle der Unctad ist es, den Entwicklungsländern dabei zu helfen, diese neuen Trends aufzunehmen und die Vorteile und Risiken abzuwägen. Zudem unterstützt sie die Länder dabei, sich schneller anzupassen und ihren Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel und für die daraus abgeleiteten Ziele zu leisten sowie nötigenfalls neue ordnungspolitische Instrumente zu erarbeiten.

Ökologischerer Handel

Wir müssen unsere Regeln an die neuen Gegebenheiten anpassen. Dafür brauchen wir eine Handelspolitik, die dazu beiträgt, den steigenden Wohlstand und die zunehmenden CO2-Emissionen voneinander zu entkoppeln.

Doch die Lösungsansätze für dieses bedeutende Problem sind sehr unterschiedlich. Denn den im Pariser Abkommen verankerten Grundsatz der «gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung» legen die Länder des Nordens und des Südens vollkommen anders aus. Ausserdem ist der Unterschied zwischen Schutz und Protektionismus nicht klar definiert.

An vorderster Front in diesem Kampf stehen die Länder in den tropischen Zonen und die kleinen Inselstaaten. Sie verfügen nicht über die notwendigen Mittel, um ihre künftigen Emissionen zu senken. Entsprechend besteht die Gefahr, dass sie sich kostengünstigeren Wachstumsmotoren wie den fossilen Brennstoffen zuwenden, obwohl sie sich eigentlich aktiv für die Förderung erneuerbarer Energien einsetzen sollten, die es in ärmeren Ländern in Hülle und Fülle gibt.

Auch die Diskussion über einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus ist komplex. Sie muss aber dennoch objektiv geführt werden, damit auch Entwicklungsländer weiterhin Zugang zu den auf diese Weise regulierten Märkten haben. Die Unctad trägt mit konkreten Analysen dazu bei, die wichtigsten Aspekte dieses Themas zu beleuchten.[1]

Alle diese Stossrichtungen bedingen einen Technologietransfer sowie die Einführung – oder die Abschaffung – von Regeln für den internationalen Handel, damit dieser zu einem sozialverträglichen ökologischen und wirtschaftlichen Wandel beiträgt.

Rolle der digitalen Wirtschaft

Die datenbasierte digitale Wirtschaft erlebt zurzeit einen kräftigen Aufschwung. Doch in den am wenigsten entwickelten Ländern nutzen gerade einmal 20 Prozent der Bevölkerung das Internet[2] – und das in der Regel mit geringer Download-Geschwindigkeit und zu hohen Preisen. Dies schmälert entsprechend die Chancen, dass die digitale Wirtschaft als Triebkraft für die Entwicklung genutzt werden kann.

Zwar hat der Datenverkehr im Internet während der Covid-19-Pandemie stark zugenommen, aber die datenbasierte digitale Wirtschaft weist erhebliche Ungleichgewichte auf, die den bereits bestehenden digitalen Graben noch vertiefen. Die Entwicklungsländer müssen zuerst ein Umfeld schaffen, in dem die Digitalisierung, der elektronische Handel sowie die Erhebung und die Speicherung der als Triebkraft fungierenden Daten sich entwickeln können. Genau das ist der Zweck der von der Unctad ins Leben gerufenen Initiative «E-Trade for All».[3]

Denn der elektronische Handel bietet Unternehmern sowie KMU neue Absatzkanäle, über die sie direkter mit den Konsumenten verbunden sind. Damit diese Kanäle in einem Land oder einer Region eine gewisse Bedeutung erlangen, ist jedoch eine entsprechende Ausbildung in digitalen Geschäftsmodellen unerlässlich.

Geschlechterunterschied im Handel

Männer und Frauen sind ungleich von den Auswirkungen des Handels betroffen. Dies ist eine Tatsache, auch wenn nach Geschlechtern aufgeschlüsselte Daten bislang fehlen. Handel, der auf Entwicklungsförderung ausgerichtet ist, könnte profitieren, wenn er das von Frauen eingebrachte humane, unternehmerische und gesellschaftlich innovative Kapital berücksichtigen und sichtbar machen würde – auch wenn Frauen hier noch unterrepräsentiert sind.

Um den Handel in den Dienst der Entwicklung zu stellen, ist im Übrigen ein multilateraler Ansatz notwendig. Nur ein solcher kann Fragen des Klimas, der Digitalisierung und der Geschlechtergleichstellung integrieren, gegen die Ungleichheiten ankämpfen und den neuen geopolitischen Gegebenheiten Rechnung tragen, die eher den Wunsch nach handelsbezogener und wirtschaftlicher als nach politischer Herrschaft ausdrücken. Doch regionale Anstrengungen sind wegen der wirtschaftlichen und politischen Asymmetrien zwischen den regionalen Blöcken kein Ersatz für den multilateralen Rahmen.

  1. Unctad (2021a). []
  2. Unctad (2021b). []
  3. «Eine innovative Initiative für einen inklusiveren elektronischen Handel». Für weitere Informationen siehe Etradeforall.org[]

Bibliographie

Zitiervorschlag: Durant, Isabelle (2022). Zusammenspiel zwischen Handel und Entwicklung überdenken. Die Volkswirtschaft, 09. März.

Die Schweiz und die Unctad
Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad) wurde 1964 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegründet. Das Ziel der Unctad ist es, die Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft zu integrieren, um ihren Aufschwung zu fördern.
Die Pandemie hat den internationalen Handel stark getroffen. Dennoch bietet die Covid-Krise auch Chancen und Potenzial für eine Erholung, sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind: a) technische und digitale Instrumente für die Teilnahme am Handel werden bereitgestellt, b) es gibt einen Rahmen für die Erleichterung des binnenwirtschaftlichen Handels und für eine sinnvolle Lenkung des Welthandels, c) die am Handel beteiligten Akteure besitzen hohe berufliche Qualifikationen und d) die gesellschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit wird in den Schlüsselsektoren entlang der gesamten Wertschöpfungskette gestärkt.
Auf diese vier Themenfelder richtet der Bereich Handelsförderung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) seine Massnahmen aus und knüpft Partnerschaften, insbesondere mit multilateralen Akteuren. So wurde beispielsweise zusammen mit der Unctad ein Programm zu E-Commerce und digitaler Wirtschaft gestartet, um den Entscheidungsträgern in Entwicklungsländern zu helfen, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen und ihre Kapazitäten im Bereich des elektronischen Handels auszubauen.