WTO als Stütze in der Krise
Containerhafen Shanghai, China (Bild: Alamy)
Schon seit meinen beruflichen Anfängen in den 1980er-Jahren interessiere ich mich dafür, wie der internationale Handel auf verschiedene Wirtschaftssysteme wirkt. Damals arbeitete ich als Experte für zentralwirtschaftlich geplante Systeme, wie die damalige Sowjetunion, und analysierte Handelsfragen für die US-Regierung.
Seit 1999 bin ich Chefökonom der Welthandelsorganisation (WTO). Das heisst, ich leite die Abteilung für Wirtschaftsforschung und Statistik. Diese versorgt die Mitgliedsstaaten und das WTO-Management mit ökonomischen Daten und Analysen. So erstellen wir beispielsweise einen halbjährlichen Handelsausblick («trade forcast») sowie kurzfristige Prognosen zur Entwicklung der Weltwirtschaft.
Aktuell stehen die Covid-19-Pandemie sowie die zunehmenden Handelskonflikte – etwa derjenige zwischen den USA und China – im Zentrum unserer Analysen. In Bezug auf die Handelskonflikte lauten unsere Fragestellungen unter anderem: Wie wirken sich diese Konflikte auf den Handel aus? Was würde passieren, wenn das multilaterale Handelssystem zusammenbricht? Wie sollten künftige Handelsabkommen ausgestaltet sein, damit es zu mehr Handel kommt?
Was würde passieren, wenn das multilaterale Handelssystem zusammenbricht?
Ein Grossteil dieser Analysen und Empfehlungen wird zwar intern erstellt, aber ich arbeite häufig mit Wirtschaftsverbänden, wissenschaftlichen Foren und politischen Koordinierungsgremien (wie der G-20 und der G-7) zusammen, um ihre Einsichten und Bedenken zu hören.
Protektionistische Tendenzen haben das globale Handelssystem und die WTO in den vergangenen Jahren auf die Probe gestellt. Glücklicherweise haben sich die WTO-Übereinkommen als widerstandsfähig erwiesen. Die Kernabkommen haben sicher dazu beigetragen, dass der Handel mit Waren und Dienstleistungen während der Covid-19-Pandemie erstaunlich offen blieb. So standen den Menschen Lebensmittel und persönliche Schutzausrüstung durchgehend zur Verfügung, und auch die Impfstoffe sind für alle erhältlich. Klar ist aber: Die WTO-Übereinkommen müssen aktualisiert werden.
Auf multilateraler Ebene wird derzeit eine Grundsatzdebatte über die Globalisierung geführt: Was ist ihre Rolle? Nimmt die globale Verflechtung zu oder ab? Unsere ökonometrischen Simulationen und Big-Data-Analysen zeigen, dass es kaum Anzeichen für ein globales «Reshoring» gibt. Vielmehr findet eine «Reorganisation» der Globalisierung statt. So ist die auszumachende Verlagerung von Produktion und Güterbeschaffung vieler Unternehmen eine Reaktion auf veränderte wirtschaftliche Bedingungen.
Meine Empfehlung ist: Wir sollten der politischen Rhetorik weniger Aufmerksamkeit schenken und stattdessen die zugrunde liegenden Kräfte, die den globalen Handel antreiben, genauer betrachten.
Zitiervorschlag: Koopman, Robert B. (2022). WTO als Stütze in der Krise. Die Volkswirtschaft, 09. März.