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Die Europäische Union macht vorwärts

Die EU will ihre Wirtschaft nachhaltig umbauen. Dazu setzt sie unter anderem auf einen Aktionsplan für eine Kreislaufwirtschaft. Was bedeutet das Vorhaben für die Schweiz?

Die Europäische Union macht vorwärts

Rohstoffe sollen so lange wie möglich in der EU-Wirtschaft gehalten werden. Ein französischer Ingenieur mit einem Behälter voller rezyklierter seltener Erden. (Bild: Keystone)

Die Gewinnung und die Verarbeitung von Rohstoffen verursachen etwa die Hälfte der globalen Treibhausgasemissionen und sind zu mehr als 90 Prozent für den Biodiversitätsverlust verantwortlich. Die EU-Wirtschaft ist heute noch überwiegend linear gestaltet – das heisst, nur knapp 12 Prozent der Sekundärmaterialien und -ressourcen gelangen wieder in die Wirtschaft zurück. Hier setzt die Kreislaufwirtschaft an. Diese zu stärken, ist eine Priorität der EU.

Der Aktionsplan für eine Kreislaufwirtschaft, der 2020 von der Europäischen Kommission veröffentlicht wurde, bildet den strategischen Rahmen dazu. Er ist ein Hauptpfeiler des Europäischen Green Deal, der Agenda der EU für eine klimaneutrale, ressourceneffiziente und wettbewerbsfähige Wirtschaft. Der neue Aktionsplan baut auf den Arbeiten unter dem ersten Aktionsplan der EU für eine Kreislaufwirtschaft von 2015 auf. Während sich die Massnahmen damals vor allem auf die Abfallwirtschaft konzentrierten, bezieht der neue Aktionsplan den gesamten Lebenszyklus von Produkten mit ein. Rohstoffe sollen so lange wie möglich in der EU-Wirtschaft gehalten werden.

Teil der EU-Wachstumsstrategie

Der Europäische Green Deal, der Ende 2019 lanciert wurde, ist mehr als eine Klima- und Umweltstrategie. Er ist die Wachstumsstrategie der EU schlechthin. Entsprechend ist auch der Aktionsplan für eine Kreislaufwirtschaft aufgestellt. Er soll einen Wandel hin zu verantwortungsvollen Produktions- und Verbrauchsmustern einläuten. Zentrales Anliegen ist es, damit die Industrie der EU zu stärken. Insofern ist die Kreislaufwirtschaft essenzieller Bestandteil der EU-Industriestrategie.

Gemäss einer Studie der Europäischen Kommission könnte die Umsetzung der Strategie das Bruttoinlandprodukt der EU bis 2030 um zusätzliche 0,5 Prozent steigern und etwa 700’000 neue Arbeitsplätze schaffen, insbesondere in den Bereichen Recycling und Reparatur. Gleichzeitig dient der Aktionsplan dem EU-Ziel der «strategischen Autonomie». Er soll dazu beitragen, die EU-Wirtschaft von der Ressourcennutzung zu entkoppeln und externe Abhängigkeiten zu reduzieren.

Der Aktionsplan sieht folgende prioritäre Massnahmen vor. Erstens soll er einen Rahmen für eine nachhaltige Produktpolitik schaffen. Zum einen geht es hier darum, nachhaltige Produkte zur Norm zu machen. Die Kommission will sicherstellen, dass in der EU in Verkehr gebrachte Produkte so gestaltet sind, dass sie über eine längere Lebensdauer verfügen, leichter wiederverwendet, repariert und recycelt werden können und den grösstmöglichen Anteil rezyklierter Materialien enthalten. Die Verwendung von Einwegprodukten soll eingeschränkt werden.

Zum anderen soll die Position der Verbraucher gestärkt werden. Die Verbraucher sollen Zugang zu zuverlässigen Produktinformationen haben – beispielsweise über die Lebensdauer und die Reparierbarkeit. Zudem sollen die Unternehmen ihren ökologischen Fussabdruck sowie jenen ihrer Produkte anhand von Methoden belegen müssen. Das soll dem sogenannten Greenwashing entgegenwirken. Weiter soll das «Recht auf Reparatur» von Verbrauchern gestärkt werden. Dieses soll vorrangig für Elektronik und Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) zum Tragen kommen.

Fokus auf einzelnen Branchen

Zweitens konzentriert sich der Aktionsplan auf Branchen, in denen die meisten Ressourcen genutzt werden und in denen ein hohes Kreislaufpotenzial besteht: Elektronik und IKT, Batterien und Fahrzeuge, Verpackungen, Kunststoffe, Textilien, Bauwesen und Gebäude sowie Lebensmittel. So plant die EU etwa, Elektronikprodukte wie Mobiltelefone, Tablets, Laptops, Drucker und Kartuschen vermehrt auf die Kreislaufwirtschaft auszurichten.

Weiter sollen für Batterien, bestimmte Bauprodukte, Kunststoffe und bestimmte Werkstoffe von Fahrzeugbauteilen Anforderungen an den Anteil rezyklierter Materialien eingeführt werden. Auch soll der bereits genannte Rahmen für eine nachhaltige Produktpolitik auf Textilien angewendet werden. Und die EU will die Anforderungen an Verpackungen verschärfen.

Drittens wird die Vermeidung von Abfall angestrebt. Hier liegt der Schwerpunkt darauf, den Abfall möglichst ganz zu vermeiden und ihn stattdessen in hochwertige, wiederverwertbare Sekundärressourcen umzuwandeln, die von einem gut funktionierenden Markt für Sekundärrohstoffe profitieren.

Aktionsplan konkretisiert sich

Einige Massnahmen des Aktionsplans hat die EU bereits in den letzten zwei Jahren vorangebracht. Die Europäische Kommission hat insbesondere Vorschläge für eine neue Batterie-Verordnung und Rechtsvorschriften für einheitliche Ladegeräte publiziert. Diese befinden sich nun im Gesetzgebungsprozess. Weiter sind seit Mitte 2021 in der EU viele Einwegkunststoffartikel, wie etwa Trinkhalme sowie Plastikteller und -besteck, verboten.[1]

Dieses Jahr gewinnt die Umsetzung des Aktionsplans deutlich an Fahrt. Mit der Publikation des ersten Pakets zur Kreislaufwirtschaft durch die Kommission Ende März hat die nachhaltige Produktpolitik einen bedeutenden Schub erhalten. Zentraler Punkt darin ist der Vorschlag für eine Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte.

Weiter liegen nun auch der Vorschlag der revidierten Bauproduktverordnung und die Textilstrategie vor wie auch die legislativen Vorschläge zur Stärkung der Rolle der Verbraucher. Ein zweites Kreislaufwirtschafts-Paket, welches sich hauptsächlich dem Thema Verpackung und Kunststoff widmet, soll im Juli folgen. Weitere Massnahmen sind später im Jahr sowie 2023 zu erwarten.

Finanzielle Unterstützung für den Umbau

Regulatorische Schritte sind nur ein Teil des Massnahmenpakets, das den Wandel zu einer zirkulären Wirtschaft möglich machen soll. Zum einen werden sie begleitet von substanziellen Finanzmitteln. Aus dem generellen EU-Budget für 2021–2027 und dem Covid-19-Aufbaupaket sollen mehr als 30 Prozent für grüne Investitionen fliessen. Und auch weitere öffentliche und private Investitionen sollen für die Kreislaufwirtschaft mobilisiert werden. Dazu setzt die Kommission auf die EU-Taxonomie, ein Klassifizierungssystem, das ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten auflistet und auf diese Weise private Investitionen in nachhaltige Tätigkeiten lenken soll.

Zum anderen hat die EU die Ambition, auch international den Trend zu setzen. So will sie ihr wirtschaftliches Gewicht nutzen, um globale Standards für die Nachhaltigkeit von Produkten zu schaffen und damit den weltweiten Übergang zur Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Zu diesem Zweck sucht die EU auch den Dialog mit Partnerländern. So hat sie unter anderem zusammen mit dem UNO-Umweltprogramm die weltweite Allianz für Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz lanciert, an der sich auch die Schweiz beteiligt. Zudem überprüft die EU zurzeit die Nachhaltigkeitsbestimmungen in Freihandelsabkommen.

Zieht die Schweiz mit?

Wie der gesamte Green Deal stützen die EU-Arbeiten zur Kreislaufwirtschaft gleich gelagerte Umweltanstrengungen der Schweiz. Die zahlreichen neuen Produktanforderungen und Regulierungen der EU werden die Schweizer Wirtschaft aber fordern. Die Schweiz könnte ein Interesse daran haben, für das Wohl der Umwelt und der Schweizer Konsumenten einige oder alle neuen Nachhaltigkeitsanforderungen der EU zu übernehmen. Aber auch aus wirtschaftlicher Sicht könnte es Sinn machen, in diesem Bereich mit der EU, dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz, Schritt zu halten.

Im Blick zu behalten ist zurzeit insbesondere der neue Ökodesign-Rahmen. Bisher hat die Schweiz die meisten Rechtsakten unter der bestehenden Ökodesign-Richtlinie übernommen. Doch neu sollen auch nicht energiebezogene Effizienzkriterien wie die Langlebigkeit und die Reparaturfähigkeit berücksichtigt werden. Zudem soll der Rahmen über energieverbrauchsrelevante Produkte hinaus erweitert werden und neu beispielsweise auch Textilien abdecken.

Auch die Revision der Bauproduktverordnung, deren Gleichwertigkeit die Schweiz in der Vergangenheit stets sichergestellt hat, dürfte die betroffenen Wirtschaftsakteure beschäftigen. Die neuen Nachhaltigkeitsauflagen könnten für sie zu zusätzlichen technischen Handelshemmnissen (z. B. einer Zertifizierungspflicht) führen. Deshalb wären entsprechende Anpassungen des Abkommens zwischen der Schweiz und der EU über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) für die Schweiz allenfalls von Interesse. Solche Anpassungen bedingen natürlich, dass sich die politische Grosswetterlage zwischen der Schweiz und der EU verbessert und die EU bereit ist, das MRA zu aktualisieren.

Die Schweiz tut gut daran, die EU-Arbeiten zur Kreislaufwirtschaft eng zu verfolgen und sie als Gelegenheit zu sehen. Denn dank ihrer Innovationskraft ist die Schweiz gut aufgestellt, einen Beitrag an den globalen Wandel zur Kreislaufwirtschaft zu leisten und sich früh in diesem wachsenden Markt zu positionieren.

  1. Richtlinie (EU) 2019/904 über Einwegkunststoffartikel. []

Zitiervorschlag: Caroline Baumann (2022). Die Europäische Union macht vorwärts. Die Volkswirtschaft, 12. April.