Suche

Abo

Die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs

Die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs

Der Ukraine-Krieg verschärfte die Lieferengpässe in der Autoindustrie. Ford-Fabrik in Köln. (Bild: Alamy)

Einen durch Menschen initiierten Krieg kann man nicht mit der wohl durch eine genetische Mutation verursachten Corona-Pandemie vergleichen. Trotzdem stehen Ökonomen – beim Versuch, die volkswirtschaftlichen Auswirkungen abzuschätzen – vor ähnlichen Problemen.

Erstens werden die Prognosen volkswirtschaftlicher Grössen durch die unterstellten Annahmen dominiert. Dazu greifen Ökonomen auf die Expertise anderer Wissenschaften zurück. Sowohl bei den Epidemiologen (Pandemie) als auch bei den Militärexperten (Ukraine-Krieg) findet man jedoch keine einhellige Meinung, zumal die Experten täglich dazulernen und ihre Einschätzungen anpassen müssen.

Zweitens können Expertenmeinungen nicht als exogene Variablen in volkswirtschaftlichen Modellen eingesetzt werden. Deshalb greifen Ökonomen auf sogenannte Proxy-Variablen wie etwa Unsicherheitsmasse, Arbeitsvolumen oder Energiepreise zurück. Aufgrund fehlender Erfahrungswerte basieren derartige Übertragungen jedoch stark auf subjektiven Einschätzungen.

Drittens führt die komplexe Vernetzung der globalen Wirtschaft zu sogenannten Schmetterlingseffekten mit nicht linearen Wirkungen, deren Trigger meist unterhalb der in makroökonomischen Modellen abgebildeten Zusammenhänge liegen. Ein Beispiel sind Lieferengpässe für Industriebauteile.

Viertens ist die Reaktion der Politik, die ja ebenfalls mit diesen Problemen konfrontiert ist, kaum zu antizipieren. Zum Beispiel war und ist die Einführung und Aufhebung der Corona-Massnahmen schwierig vorhersehbar.

Seriöse Ökonomen weisen deshalb auf die Prognoseunsicherheiten hin. Leider werden diese Disclaimer von den Rezipienten meist überlesen.

Die komplexe Vernetzung der globalen Wirtschaft führt zu sogenannten Schmetterlingseffekten

Aufgrund der entscheidenden Bedeutung von Annahmen arbeiten die meisten Ökonomen mit einem einfachen Szenarioansatz. Eine wichtige Rolle spielt dabei der «Attribute Substitution Bias»: Da es nicht nur Volkswirten schwerfällt, explizite Annahmen über den Ausgang des Kriegs zu formulieren – die relevante Frage –, werden diese durch vermeintlich einfacher zu formulierende Annahmen zu Öl- und Gaspreisen oder zum Effekt gestörter Lieferketten ersetzt.

Unter moderaten Annahmen beträgt die Wachstumseinbusse für die Eurozone aufgrund des Ukraine-Kriegs rund 1 Prozentpunkt, und die Inflation ist etwa 1 bis 2 Prozentpunkte höher als 2021. In schwerwiegenderen Szenarien ergeben sich aber auch Inflationsraten von über 8 Prozent, die mit dazu beitragen, dass die Eurozone in eine Rezession rutscht, in der das Bruttoinlandprodukt auch im Jahresdurchschnitt sinkt.

Trotz der hier dargelegten Unsicherheit bezüglich der wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs in der kurzen Frist scheinen die langfristigen Konsequenzen doch zumindest qualitativ abschätzbar: Die Friedensdividende verkehrt sich in Investitionen in unsere Freiheit, deren Finanzierung an anderer Stelle Lücken reisst.

Dabei dürfte sich die Welt erneut in zwei Lager aufteilen: regelbasierte Demokratien westlichen Typs und autoritär regierte Staaten, die sich im Zweifel über die internationale Ordnung hinwegsetzen, wenn es ihre militärische oder ökonomische Macht erlaubt. Wohlstandseinbussen scheinen unvermeidlich.

Zitiervorschlag: Stefan Schneider (2022). Die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs. Die Volkswirtschaft, 20. April.