Catharina Bening in ihrem Büro in Zürich: «Da, wo ein öffentliches Interesse existiert, da passiert auch etwas – zum Beispiel bei den Kunststoffverpackungen.» (Bild: Keystone / Thomas Egli)
Das heute propagierte Konzept der Kreislaufwirtschaft will unseren Ressourcenverbrauch verringern – und die damit einhergehenden Probleme wie CO2-Ausstoss und rückläufige Biodiversität. Im Gegensatz zur ursprünglichen Idee des Recyclings, mit dem die Kreislaufwirtschaft in der Vergangenheit gleichgesetzt wurde, macht das neue Konzept ein grosses Versprechen, das lautet: «Hey, es geht alles so weiter wie bisher! Es gibt weiterhin Wirtschaftswachstum. Aber jetzt können wir das Wirtschaftswachstum sogar vom Ressourcenverbrauch und den negativen Umweltauswirkungen entkoppeln.» Ich denke, der Hype stammt daher, dass wir innerhalb der planetaren Grenzen bleiben können, ohne auf Wohlstand verzichten zu müssen – das tönt natürlich vielversprechend.
Nein, das würde ich nicht sagen. Aber es gibt Überlegungen, die Suffizienz auch als wichtigen Teil der Kreislaufwirtschaft zu sehen. Dazu gehören der Verzicht auf Konsum in seiner bisherigen Ausprägung und ein reduziertes Wirtschaftswachstum. Dieser Gedanke ist im aktuellen Postulat nicht prominent.
Das zentrale Problem ist, dass heute die Umweltschäden beim Abbau, bei der Nutzung und bei der Entsorgung der eingesetzten Ressourcen nicht im Preis abgebildet sind. Das führt zu einem extremen Ressourcenverbrauch.
Einen Preisaufschlag gibt es erst dann, wenn die Knappheit und die externen Umwelteffekte bereits so gross sind, dass die Marktakteure sie wahrnehmen und ihre Aktivitäten danach ausrichten. Dann kann es allerdings schon zu spät sein.
Je nach Industrie gibt es grosse Unterschiede. Einige Bereiche wie die chemische Industrie sind bereits sehr aktiv. Andere wie der Bausektor kommen erst langsam auf den Radar. Insgesamt gibt es zwar in den meisten Branchen einige Vorreiter und Firmen, die einem guten Beispiel folgen – von einer Kreislaufwirtschaft sind wir aber noch weit entfernt.
Zusätzliche Regulierungen werden zentral sein
Nein. Der Abbau dieser Normen und Gesetze ist zwar wichtig, aber: Regulierungen sind nicht der Hemmschuh für eine Kreislaufwirtschaft – sie sind vor allem der Treiber. Zusätzliche Regulierungen werden deshalb zentral sein. Wie sagt man so schön: Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss.
Auch hier ist die Regulierung entscheidend. Denn Unternehmen antizipieren solche kommenden Regeln natürlich, oder sie werden sogar erst gegründet, weil sich neue Märkte auftun. Ein Beispiel für die Wirkung angedrohter Regulierungen ist das PET-Recycling Schweiz. Ende der Achtzigerjahre hat der Bund den Getränkeherstellern gesagt: Entweder ihr regelt das selber, oder wir regeln das für euch. Dann war ziemlich schnell klar, dass man das lieber selber regeln wollte. Und das Ergebnis davon ist sehr gut. Auch im Gebäudebereich oder beim Emissionshandelssystem haben uns Unternehmensführer in Studien immer wieder gesagt: «Die Details einer Regulierung sind nicht so entscheidend. Hauptsache ist, dass wir ein verbindliches, langfristiges Ziel haben, an dem wir uns ausrichten können.»
Zentral ist, dass man den Innovationsrahmen für alle Firmen in einer Branche setzt, zum Beispiel indem man konkrete Ziele formuliert, wie etwa einen gewissen Anteil an rezykliertem Material in einem Produkt. Ansonsten bewegt sich keiner freiwillig. Denn er befürchtet Kostensteigerungen und somit einen Wettbewerbsnachteil.
Natürlich stimmt dieser Grundsatz nicht immer. Bei einer Ölheizung ist es ökologisch nicht sinnvoll, diese weiter zu nutzen, nur um möglichst lange das im Heizkessel verbaute Material zu nutzen. Deshalb muss die Forschung Messinstrumente für eine Kreislaufwirtschaft finden, die ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit abbilden können.
Da gibt es noch extrem viel Forschungsbedarf. Denn ob es sich lohnt, ein Gut wiederzuverwenden, hängt immer vom Kontext und von der Alternative ab. In Zürich ist eine Verpackung möglicherweise «schlecht», weil sie hier einfach im Kehricht landet. In Berlin wäre dieselbe Verpackung aber möglicherweise «gut», weil die Infrastruktur für das Recycling existiert. Allerdings müsste man sich in Berlin auch fragen, wofür die recycelte Verpackung dann wiederverwendet wird.
Viele Lösungen sind gar nicht unbedingt eine Verbesserung im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft
Ja, die Gefahr besteht. Und zwar vor allem dort, wo Transparenz fehlt und die Sachlage komplex ist. Genau deshalb ist es so wichtig, Kreislauflösungen messbar und damit vergleichbar zu machen. Viele Lösungen werden sicher mit guten Intentionen auf den Markt gebracht, aber sind vielleicht gar nicht unbedingt eine Verbesserung im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.
Die Jacke aus PET-Flaschen etwa: Hier wäre es die bessere Lösung gewesen, aus dem Rezyklat der PET-Flasche wieder eine Flasche zu machen anstatt einer Jacke, die nicht auf dieselben Qualitätsansprüche angewiesen ist wie eine Lebensmittelverpackung. Ein anderes Beispiel sind Businessmodelle, die Unterhaltungselektronik zum Mieten statt zum Kaufen anbieten. Der Kreislaufgedanke dahinter ist natürlich, dass so die Lebenszyklen der Produkte erhöht und damit die Ressourcennutzung verbessert wird. Je nach Markt und Preisstruktur kann dies aber auch dazu führen, dass die Konsumenten viel schneller auf das neuste Modell wechseln, weil sie in einem Leasingmodell weniger an ein konkretes Produkt gebunden sind als bei einem Kauf. Auch hier gilt: Ob es sich um eine nachhaltige Kreislauflösung handelt, muss im Detail beurteilt werden.
Die Herausforderungen sehen in den verschiedenen Wertschöpfungsketten sehr unterschiedlich aus. Das hat neben der öffentlichen Sichtbarkeit auch strukturelle Gründe. Zum Beispiel im Bausektor: Hier weiss man recht genau, was zu tun wäre, um die Kreisläufe zu schliessen. Trotzdem gibt es nur langsam Fortschritte. Ein Grund dafür ist sicher die Vielzahl der involvierten Akteure. Das führt zu unklaren Zuständigkeiten und hemmt Innovation. Hier ist es nun am Regulator, klare Vorgaben zu machen, um eindeutige Signale an den gesamten Sektor zu senden.
Anreize für Kreislaufinnovationen würden etwa dann gesetzt, wenn es ein klares Bekenntnis zur Regulierung von grauer Energie gäbe. Dabei handelt es sich um nicht erneuerbare Primärenergie, die bei der Produktion von neuen Baumaterialien entsteht. Wie bereits gesagt: Dabei ist es vor allem wichtig, dass ein klares und langfristig verbindliches Ziel formuliert wird, an dem sich eine Wertschöpfungskette ausrichten kann. Bei der grauen Energie könnte etwa ein Absenkpfad aufzeigen, welche Menge an grauer Energie bei Neubauten künftig noch zulässig ist. Anschliessend müssten dadurch natürlich auch Innovationen umgesetzt werden. Deshalb braucht es in einem zweiten Schritt eine aktive Wissensvermittlung in der Ausbildung, so wie der Bundesrat das nun im Bericht auf das Postulat Noser vorgeschlagen hat.
Das hängt vom Fokus ab. Rund 45 Prozent des CO2-Ausstosses könnte man mit Kreislauflösungen beim Ressourcenverbrauch einsparen – vor allem in der Schwerindustrie, in der Chemieindustrie oder eben im Bausektor. Wenn man den Fokus aber erweitert – was ja ein explizites Ziel der Kreislaufwirtschaft ist – und auch Aspekte wie Biodiversität oder Wasserknappheit berücksichtigt, dann ist das Potenzial in der Landwirtschaft oder in der Textilindustrie sehr gross.
Ein Konsumverzicht ist die direkteste Form der Ressourcenschonung
Die Konsumenten und Bürger steuern massgeblich die Investitionsentscheide der Unternehmen und die regulatorischen Vorgaben des Staates. Denn da, wo ein öffentliches Interesse existiert, da passiert auch etwas – zum Beispiel bei den Kunststoffverpackungen. Die angestossenen Innovationen bringen neue, idealerweise ressourcenschonendere Materialien auf den Markt oder erhöhen die Lebensdauer der hergestellten Produkte im Kreislauf. Das kann mithilfe von digitalen Plattformen geschehen, die beispielsweise die Reparatur oder das Teilen ermöglichen.
Nein. Bei den allermeisten Kreislauflösungen braucht es eine aktive Rolle des Konsumenten – sei es beim bewussten Wiederverwenden von Gütern, beim Recycling oder beim unverpackten Einkaufen. Der Konsument muss sich dadurch aktiver einbringen als in der heutigen Wegwerfgesellschaft: Er muss sich ausführlicher informieren, um einen guten Entscheid zu treffen, und er muss sich generell fragen, welche Form von Konsum nötig ist. Denn tendenziell gilt: Ein Konsumverzicht ist die direkteste Form der Ressourcenschonung.
Der Umbau von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft ist ein paradigmatischer Wechsel, der Gewinner und Verlierer hervorbringen wird. Ob der Staat da einen Ausgleich schaffen will und ob das für den Umbau der Wirtschaft förderlich ist, ist eine offene Frage und aktuell noch schwierig zu beantworten. Was sich aber sagen lässt: Wenn das Ziel der Kreislaufwirtschaft umgesetzt und der Ressourcenverbrauch eingeschränkt werden soll, dann ist ein möglicher Weg dazu, den bislang fast kostenlosen Ressourcen einen Preis zu geben und negative Externalitäten zu internalisieren. Wenn das passiert, dann wird sich das Preisgefüge, wie wir es heute kennen, ändern. Ich halte es für unverantwortlich, dies nicht ganz explizit zu machen: Ein «Weiter wie bisher» ist nicht möglich und kann auch kein Ziel sein – auch nicht in einer Kreislaufwirtschaft.
Zitiervorschlag: Interview mit Catharina Bening, ETH Zürich (2022). «Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss». Die Volkswirtschaft, 08. April.
Die 42-jährige promovierte Ökonomin der HSG ist Forschungsleiterin für den Bereich Kreislaufwirtschaft in der Gruppe für Nachhaltigkeit und Technologie der ETH Zürich. Dort und an der Sciences Po in Paris unterrichtet sie auch den Kurs «Geschäftsmodelle für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft». Ihr Spezialgebiet sind Kunststoffe in verschiedenen Anwendungen wie etwa Verpackungen oder Textilien. Die gebürtige Norddeutsche lebt seit 24 Jahren in der Schweiz.