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Ist die Kreislaufwirtschaft so nachhaltig, wie alle sagen?

Eine wirklich nachhaltige Kreislaufwirtschaft ist mehr als das Recycling von Materialien. Sie ist systemischer und setzt ein langfristigeres Denken voraus, als es viele Unternehmen gewohnt sind. Die Politik muss jetzt Impulse setzen.
Nachhaltigkeit als Geschäftskonzept: Eine Schneiderin des Zürcher Upcycling-Labels Rework verarbeitet Secondhand-Textilien. (Bild: Keystone)

Die Natur macht es uns vor: Angetrieben von der Sonne, baut sie Biomasse auf, speist damit eine Vielzahl von Organismen und schafft dadurch letztlich wieder den Ausgangsstoff neuer Kreisläufe. Das ganze Ökosystem basiert auf einigen wenigen chemischen Elementen, von denen keines unwiederbringlich verloren geht. Im Gegensatz dazu schöpft die moderne Gesellschaft den Grossteil der chemischen Elemente aus endlichen Lagerstätten – beispielsweise im Bergbau. Diese verwertet sie dann mithilfe fossiler Energien, gibt aber nur einem Bruchteil der dadurch gewonnenen Wertstoffe ein zweites Leben. Die meisten Materialien enden fein verteilt in der Umwelt, beispielsweise durch Verbrennung, Korrosion und Abrieb, oder werden so in Mischmaterialien gebunden, dass eine Wiederverwendung praktisch ausgeschlossen ist.

Eine Kreislaufwirtschaft könnte das ändern. Sie propagiert, die Natur nachzuahmen und die Materialkreisläufe der wirtschaftlichen Produktion, wo immer möglich, zu schliessen – das heisst: Materialien, Komponenten und Produkte wiederzuverwerten. Damit soll die Herstellung von Produkten unabhängig von endlichen, materiellen Ressourcen werden. Das wiederum verringert die negativen Auswirkungen auf die Umwelt durch den Ressourcenabbau und durch Abfälle.

Viele Firmen sehen darin Marktchancen und Regierungen eine Möglichkeit, das Wirtschaftswachstum von den zunehmenden Umweltauswirkungen und dem steigenden Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Wie genau das gelingen kann, welche Grenzen uns die Natur setzt und welche Chancen eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft der Schweizer Wirtschaft bietet, das hat das Nationale Forschungsprogramm «Nachhaltige Wirtschaft: ressourcenschonend, zukunftsfähig, innovativ» (NFP 73) untersucht (siehe Kasten).

Energie und Materialien setzen Grenzen

Fest steht: Produkte und Materialien im Kreislauf zu führen, ist nicht per se nachhaltig.[1] Entscheidend dafür ist, wie viel Material im Kreislauf ist, wie schnell es zirkuliert und mit welcher Energie der Kreislauf angetrieben wird. Denn sowohl Menge als auch Tempo der Zirkulation haben Einfluss auf den Energiebedarf und die Auswirkungen auf die Umwelt. Hinzu kommt, dass es Stoffe gibt, die nicht weiter im Kreis geführt werden sollten, weil sie umwelt- und gesundheitsschädlich sind. Ein Beispiel ist etwa das Brandschutzmittel HBCD in Isolationsmaterialien oder Polstermöbeln.[2]

Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft muss also nicht nur aus Sicht der Materialströme betrachtet werden, sondern auch aus der Perspektive des Gesamtsystems und der planetaren Belastungsgrenzen. Zudem sollte sie auch an der Erfüllung sozialer Bedürfnisse gemessen werden.[3] Energie und Materialien sind dabei untrennbar miteinander verbunden. Für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft müssten die Materialkreisläufe wie in der Natur fast ausschliesslich von der Sonne angetrieben werden.[4]

Des Weiteren entstehen entlang eines jeden Kreislaufs auch Verluste: sei es beim Sammeln, beim Sortieren oder beim Verarbeiten der rezyklierbaren Materialien oder der wiederverwendbaren Komponenten und Produkte. Durch eine optimierte Rückführung oder eine spezielle Reinigung stark kontaminierter Abfälle könnten diese Verluste mithilfe von zusätzlicher Energie zwar reduziert, doch nie ganz verhindert werden. Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft wird daher auf absehbare Zeit weiterhin Primärressourcen und Entsorgungsmöglichkeiten für unvermeidbare Abfälle benötigen. Neben dem Verbrauch der endlichen Ressourcen müssen Kreislaufstrategien deshalb vor allem auch die Umweltauswirkungen und den Energiebedarf entlang des Kreislaufs minimieren.

Im Zusammenhang mit der Kreislaufwirtschaft wird meist auch eine Abfallhierarchie propagiert. Diese lautet, dass es besser ist, Abfälle zu vermeiden, als sie zu verwerten. Das klingt zwar einleuchtend, doch nicht in allen Fällen ist dieses Vorgehen auch gut für die Umwelt. Eine Gasheizung beispielsweise verursacht erhebliche CO2-Emissionen verglichen mit einer Wärmepumpe. Deshalb ist es in diesem Beispiel nicht zielführend, die Lebensdauer der Gasheizung zu verlängern, um Abfall zu vermeiden. Nachhaltiger wäre es, eine funktionierende Gasheizung zu Abfall zu machen und die daraus gewonnenen Materialien wiederzuverwerten.[5] Für jeden Anwendungsfall sollte daher jene Strategie mit den geringsten Umweltauswirkungen angewendet werden.

Langfristig denken hilft der Kreislaufwirtschaft

Nebst ganzheitlichen Betrachtungen sind auch zeitliche Aspekte entscheidend. Denn materielle Kreisläufe können den Planeten Erde nur für kommende Generationen bewahren, wenn sie langfristig gedacht und umgesetzt werden. Dazu braucht es einen Paradigmenwechsel – weg vom Denken in Quartalsabschlüssen, hin zum langfristigen Denken in (mehreren) Generationen. Denn Materialien können Jahre oder sogar Jahrhunderte in Produkten gebunden sein und werden erst dann wieder als sekundäre Rohstoffe verfügbar.

So sind etwa Gebäude und Infrastrukturen eine grosse Herausforderung für die Umsetzung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Solche Bauten binden durch ihre lange Nutzungsdauer Materialien und Bauteile, die erst nach langer Zeit dem Kreislauf wieder zugeführt werden können. Deshalb sollte schon bei der Planung geprüft werden, ob ihr wirtschaftlicher Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis zu den benötigten Ressourcen und den verursachten Umweltbelastungen steht.[6]

Um dies zu gewährleisten, sollten wir im Bereich der Umweltfolgen das Vorsorgedenken einführen. Mit anderen Worten: Wir sollten sicherstellen, dass unsere Aktivitäten langfristig und trotz Unsicherheiten mit grosser Wahrscheinlichkeit planetenverträglich sind.[7] Dies ist eine Aufgabe für die Politik, denn sie ist über die aktuelle Legislaturperiode hinaus auch für die Neugestaltung der gesellschaftlichen Spielregeln verantwortlich.

Neue Spielregeln für Unternehmensnetzwerke

Die Politik kann und muss die Rahmenbedingungen für die Umgestaltung hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft neu definieren: etwa indem sie Transparenz herstellt bei den Umweltfolgen von Produkten und Dienstleistungen oder indem sie den gesetzlichen Rahmen so verändert, dass Aktivitäten, welche die Auswirkungen auf die Umwelt reduzieren und die Zirkularität gegenüber dem Status quo erhöhen, wirtschaftlich profitabel und gesellschaftlich attraktiv werden. Aufgabe der Politik ist es auch, Standards zur Internalisierung von Externalitäten zu etablieren. Eine Möglichkeit dafür wäre etwa ein Mechanismus, der die Kosten entlang eines Kreislaufs so verteilt, dass alle beteiligten Akteure profitieren und damit der Kreislauf ökonomisch möglich wird. Eine andere Möglichkeit wäre es, den Ressourcenverbrauch mittels Steuern oder Quoten zu beschränken[8]. Zudem muss die Politik ihre Vorbildfunktion wahrnehmen, etwa über die öffentliche Beschaffung[9].

Unternehmen müssen aber nicht darauf warten, bis der Gesetzgeber ihnen den Weg bereitet. Im Gegenteil: Bereits heute lassen sich Kreisläufe gewinnbringend realisieren. Das zeigen Beispiele wie Secondhand-Läden, PET-Flaschen-Recycling oder ein geschlossener Materialkreislauf von Arbeitsbekleidung. Dazu ist allerdings ein Paradigmenwechsel in den Unternehmen nötig. Denn ein Kreislauf kann nur gemeinsam entstehen! Das bedingt Kooperation entlang von Kreisläufen und die Schaffung «zirkulärer Ökosysteme» von mehreren Unternehmen.[10] Ausserdem müssen zusammen mit den kreislauffähigen Produkten gleichzeitig auch neue Geschäftsmodelle entwickelt werden, die sich optimal in diese Ökosysteme einfügen. Auch die Mitarbeitenden müssen sich diesen veränderten Anforderungen anpassen können[11], und letztlich braucht es eine visionäre Geschäftsleitung sowie eine Unternehmenskultur, die solche Änderungen fördert[12].

Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft kann also gelingen. Vorausgesetzt, wir beginnen, ganzheitlich und langfristig – über mehrere Generationen – zu denken und zu handeln. Denn wirtschaftliches Wachstum wird nur möglich sein, solange die Grenzen des Planeten respektiert werden.

  1. Blum et al. (2020). []
  2. Wiprächtiger et al. (2020). []
  3. Desing et al. (2020). []
  4. Desing et al. (2019). []
  5. Hummen und Desing (2021). []
  6. Meglin et al. (2021). []
  7. Desing und Widmer (2021). []
  8. Brunner (2022). []
  9. Knebel und Seele (2021). []
  10. Takacs et al. (2020). []
  11. Rutzer et al (2020). []
  12. Takacs et al. (2020). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Harald Desing, Nicola U. Blum (2022). Ist die Kreislaufwirtschaft so nachhaltig, wie alle sagen. Die Volkswirtschaft, 12. April.

Das Forschungsprogramm «NFP 73» in Kürze

Das Nationale Forschungsprogramm «Nachhaltige Wirtschaft: ressourcenschonend, zukunftsfähig, innovativ» (NFP 73) hat zum Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisse über eine nachhaltige Wirtschaft zu erarbeiten. Wie können die natürlichen Ressourcen schonend genutzt und gleichzeitig die Wohlfahrt und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Schweiz gesteigert werden? Gestartet sind die 29 Forschungsprojekte in der zweiten Hälfte 2017. Die Forschungsdauer beträgt fünf Jahre, das Budget beläuft sich auf insgesamt 20 Millionen Franken.