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Kreislaufwirtschaft – eine ökonomische Quadratur des Kreises

Die Kreislaufwirtschaft gilt vielen als «bessere» Wirtschaftsordnung. Denn sie gibt vor, inhärente Zielkonflikte der Wirtschaft ganz einfach zu überwinden. Davon sollte man sich aber nicht täuschen lassen.

Kreislaufwirtschaft – eine ökonomische Quadratur des Kreises

Solange sich Ressourcen regenerieren können, ist der Abbau kein Problem. Forstwart in Rüti GL. (Bild: Keystone)

Es gibt Konzepte, denen Sympathie in der interessierten Öffentlichkeit garantiert ist. Das Modell der Kreislaufwirtschaft (KLW) gehört dazu. Wer unterstützt nicht die Forderung nach einem schonenden Verbrauch natürlicher Ressourcen? Wer wünscht sich nicht, dass der Bestand an Flora und Fauna auch für künftige Generationen erhalten wird?

Das Konzept der KLW hat folglich den Weg in international massgebliche Grundlagen gefunden – etwa in die UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) oder in den «Grünen Deal» der Europäischen Kommission. In der Schweiz ist die KLW Gegenstand von mehreren parlamentarischen Vorstössen, beispielsweise der 2020 lancierten parlamentarischen Initiative «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken».[1] Sie verfolgt das Ziel, den Konsum ökologischer zu gestalten, Stoffkreisläufe zu schliessen und die Umweltbelastung dadurch massgeblich zu reduzieren.

Eine Flut an Definitionen

So berechtigt das Anliegen der KLW ist, so unscharf bleiben ihre konzeptionellen Grundlagen. Bei näherer Analyse setzt das Konzept auf einen Baukasten wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Erkenntnisse aus Fachrichtungen wie ökologischer Ökonomie, Industrieökologie oder statistischen Ökosystemkonten. In Studien werden über 100 Definitionen unterschieden, mit der Folge, dass unter dem Begriff KLW sehr unterschiedliche Vorstellungen bestehen.[2] Die Definitionen vereinen Wirkungsbereiche wie die Maximierung der Produktlebensdauer, die Minimierung des Abbaus natürlicher Ressourcen oder die Vermeidung von Abfällen.

Pragmatisch ausgelegt, knüpft das Konzept an bisherige Grundlagen des Recyclings und neuerdings der Sharing-Economy an. Eine extensive Deutung des Begriffs führt unweigerlich zu einer Vielzahl an Zielen, welche eine konsistente Politikentwicklung erschweren. Kritiker bezeichnen die absoluten Verfechter einer KLW denn auch als vage und profund normativ. [3] Dies mag erstaunen, zumal auch Wirtschaftsverbände in der Schweiz und Beratungsunternehmen die KLW propagieren.[4]

Ein grundlegender Gedanke findet sich bei allen Spielarten der KLW: Das Konzept positioniert sich als eine Art neue ökonomische Theorie. Dabei wird die traditionelle Theorie als «lineare Wirtschaft» kritisiert, weil über eine ganze Wertschöpfungskette hinweg Rohstoffe zunächst abgebaut, Produkte damit hergestellt, verkauft, konsumiert und dann weggeworfen werden (deshalb auch «Wegwerfwirtschaft»). Die KLW hingegen folgt – gemäss ihren Promotoren – einem «ganzheitlichen Ansatz». Dieser betrachtet den gesamten Kreislauf der Ressourcennutzung: von der Rohstoffgewinnung über das Design, die Produktion und die Distribution eines Produkts bis zu seiner möglichst langen Nutzungsphase und zum Recycling.[5]

Verschiedene Studien verknüpfen diese Sichtweise mit vielversprechenden Aussichten auf Innovation, neue Geschäftsmodelle und neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Letztlich ist in der Literatur verbreitet festzustellen, dass die KLW als Antagonismus zum traditionellen Wirtschaftsverständnis und unter dem Strich als bessere Wirtschaftsordnung dargestellt wird.

Was sagt die Ökonomie?

Der effiziente Ressourceneinsatz ist geradezu das Kernthema der traditionellen Ökonomie. Dabei ist die Nutzung natürlicher Ressourcen nicht an sich schlecht, sondern wird immer in Relation zum damit verbundenen Wohlstandsbeitrag beurteilt. Dass es dabei zu Marktversagen im Sinne einer Übernutzung von Ressourcen kommen kann, ist unbestritten. Beim Abbau natürlicher Ressourcen fällt insbesondere die beschränkte Beeinflussbarkeit der Reproduktionsraten ins Gewicht. Offensichtlich wird dies bei nicht erneuerbaren Ressourcen wie Erdöl, dessen Reproduktionsrate auf Generationen hin bei nahezu null liegt.[6] Der Abbau von Ressourcen ist grundsätzlich so lange kein Problem, als dieser nicht grösser als deren Regenerationsfähigkeit ist. Dies gilt für gross angelegte Waldrodungen ebenso wie für die Hochseefischerei.

Bei nicht erneuerbaren Ressourcen wie fossilen Energieträgern oder Mineralien spielt vor allem die langfristige Preisentwicklung eine wichtige Rolle, da diese die erwartete zunehmende Knappheit spiegeln sollte: Drohen nicht erneuerbare Ressourcen auf absehbare Zeit zu versiegen, greifen – ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft – wichtige Anreize, die Ressource zu ersetzen, sie effizienter einzusetzen oder zu rezyklieren.

Auch bei der Nutzung von Rohstoffen können verschiedene Formen von Marktversagen auftreten. Dazu gehören Umweltbelastungen beim Einsatz im Produktionsprozess (zum Beispiel CO2-Emissionen fossiler Energieträger) oder bei der Ausscheidung als Abfall (zum Beispiel bei Chemikalien und Elektroschrott). Dementsprechend gibt es in der ökonomischen Literatur auch weitherum akzeptierte Interventionsmassnahmen zur Korrektur solcher Marktversagen. Dazu gehören die Klärung oder Konzessionierung von Eigentumsrechten auf natürliche Ressourcen (etwa zur Regelung der drohenden Übernutzung von Tropenwäldern), staatliche Lenkungsabgaben (etwa zur Reduktion von klimaschädlichen Emissionen) oder staatliche Vorgaben zur Entsorgung umweltbelastender Materialien wie Sondermüll.

Unmögliche Bevormundung

So gesehen stellt sich die Frage, welchen Mehrwert eine KLW gegenüber der traditionellen Wirtschaft überhaupt hat. Wird das Konzept pragmatisch ausgelegt, könnte die Politik Verbesserungen der Ressourceneffizienz auch mit den bestehenden Grundlagen anstreben – etwa über die «klassische» Korrektur von Marktversagen oder mittels optimierten betrieblichen Recyclings. Wird die KLW aber als «bessere» Wirtschaftsordnung verstanden, welche inhärente Zielkonflikte zwischen Nutzung und Schutz natürlicher Ressourcen zu überwinden vorgibt, droht eine politische Ideologisierung eines Konzepts, das nicht effektiver ist als bereits heute mögliche Interventionen und Marktanreize. Auch die KLW kann die Quadratur des Kreises nicht erzwingen.

Eine als Systemwechsel zu Ende gedachte KLW setzt eine weltweite Umstellung der Verhaltensmuster von Menschen voraus. Verfechter der KLW wollen dazu typischerweise Unternehmen und Konsumenten in eine moralische Pflicht nehmen. Beide sollen sich der KLW unterordnen. Doch wie wollen sie das in einer liberalen Gesellschaft erreichen? Firmen können zwar im Wettbewerb die Kundschaft von den Vorzügen umweltschonender Produkte zu überzeugen versuchen. Sie können die Kunden aber nicht zwingen, die eigenen Präferenzen zu verändern. Um ein Ausweichen der Konsumenten auf nicht KLW-konforme Produkte und Dienstleistungen zu vermeiden, brauchte es rund um den Globus eine weitgehende staatliche Bevormundung aller wirtschaftlichen Akteure. Man kann aber weder Unternehmen noch Kunden in ein konzeptionelles Korsett zwängen, das eine vermeintlich einfache Überwindung von Zielkonflikten verspricht, aber zur Lösung globaler Umweltprobleme nicht die versprochene Wirkung entfalten dürfte.

  1. Siehe auch den Artikel von Hauser und Gurtner in diesem Schwerpunkt. []
  2. Siehe Kirchherr, Reike und Hekkert (2017). []
  3. Siehe Corvellec, Stowell, und Johansson (2021). []
  4. Siehe Korhonen et al. (2018). []
  5. Siehe Bundesamt für Umwelt (2020). []
  6. Siehe Bretschger et al. (2010). []

Literaturverzeichnis
  • Bundesamt für Umwelt (2020). Kreislaufwirtschaft. (Heruntergeladen am 11.1.2021).
  • Bretschger, Lucas, Brunnschweiler, Christa, Leinert, Lisa, Pittel, Karen, Werner, Therese (2010). Preisentwicklung bei natürlichen Ressourcen. Vergleich von Theorie und Empirie. Umwelt-Wissen Nr. 1001. Bundesamt für Umwelt, Bern. S. auch Zusammenfassung mit gleichnamigem Titel in: Die Volkswirtschaft, Nr. 11 2010, S. 4 f.
  • Corvellec, Hervé, Stowell, Alison F., Johansson, Nils (2021). Critiques of the Circular Economy. Journal of Industrial Ecology.
  • Fullerton, Don, He, Shan (2021). Do Market Failures Create a «Durability Gap» in the Cirular Economy? NBER Working Paper Series, Working Paper 29073. NBER, July 2021.
  • Kirchherr, Julian, Reike, Denise, Hekkert, Marko (2017). Conceptualizing the Circular Economy: An Analysis of 114 Definitions. Resources, Conservation & Recycling, 127, 221–232.
  • Korhonen, Journi; Nuur, Cali; Feldmann, Andreas; Birkie, Seyum Eshetu (2018). Circular Economy as an Essentially Contested Concept. Journal of Cleaner Production. Volume 175, 20 February 2018, Pages 544–552.

Bibliographie
  • Bundesamt für Umwelt (2020). Kreislaufwirtschaft. (Heruntergeladen am 11.1.2021).
  • Bretschger, Lucas, Brunnschweiler, Christa, Leinert, Lisa, Pittel, Karen, Werner, Therese (2010). Preisentwicklung bei natürlichen Ressourcen. Vergleich von Theorie und Empirie. Umwelt-Wissen Nr. 1001. Bundesamt für Umwelt, Bern. S. auch Zusammenfassung mit gleichnamigem Titel in: Die Volkswirtschaft, Nr. 11 2010, S. 4 f.
  • Corvellec, Hervé, Stowell, Alison F., Johansson, Nils (2021). Critiques of the Circular Economy. Journal of Industrial Ecology.
  • Fullerton, Don, He, Shan (2021). Do Market Failures Create a «Durability Gap» in the Cirular Economy? NBER Working Paper Series, Working Paper 29073. NBER, July 2021.
  • Kirchherr, Julian, Reike, Denise, Hekkert, Marko (2017). Conceptualizing the Circular Economy: An Analysis of 114 Definitions. Resources, Conservation & Recycling, 127, 221–232.
  • Korhonen, Journi; Nuur, Cali; Feldmann, Andreas; Birkie, Seyum Eshetu (2018). Circular Economy as an Essentially Contested Concept. Journal of Cleaner Production. Volume 175, 20 February 2018, Pages 544–552.

Zitiervorschlag: Eric Scheidegger (2022). Kreislaufwirtschaft – eine ökonomische Quadratur des Kreises. Die Volkswirtschaft, 11. April.