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Kreislaufwirtschaft: Oft mangelt es an Bewusstsein

Eine Studie hat zum ersten Mal erhoben, wie Schweizer Unternehmen die Kreislaufwirtschaft umsetzen und welche Hürden existieren. Wie sich zeigt, fehlt es den Firmen oft an Geld, technischem Know-how und am Bewusstsein für nachhaltige Lösungen.
Die Textil- und Bekleidungsbranche hinkt in puncto Kreislaufwirtschaft noch hinterher. (Bild: Keystone)

Rohstoffe abbauen, Produkte daraus herstellen, verkaufen, konsumieren und schliesslich wieder wegwerfen: Noch heute operieren die meisten Unternehmen mit einem solchen linearen Geschäftsmodell. Das Resultat: Rohstoffverknappung, Emissionen, grosse Abfallmengen und damit verbundene Umweltbelastungen. All das wäre nicht nötig, sagen Befürworter einer Kreislaufwirtschaft. Ihnen zufolge braucht es deshalb eine ressourcenbasierte und systemische Sichtweise. Eine solche bietet die sogenannte Kreislaufwirtschaft. Sie ermöglicht es, Ressourcen­ und Energieflüsse zu verlangsamen, zu verkleinern und zu schliessen, um die Materialien und die Produkte so lange wie möglich und mit so hoher Qualität wie möglich zu erhalten. Die Bausteine einer Kreislaufwirtschaft sind die Erhöhung der Ressourceneffizienz durch den Einsatz von weniger Ressourcen pro Produkt, die Verlangsamung von Ressourcenkreisläufen durch Verlängerung der Produktlebensdauer und die Schliessung von Ressourcenkreisläufen durch Recycling und vor allem Wiederverwendung.

Die Kreislaufwirtschaft könnte für die Schweiz eine grosse Chance sein. Denn erstens verfügt sie neben Humankapital, Wasser sowie Kies und Stein kaum über eigene natürliche Rohstoffe. Umso zentraler für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz ist da die effiziente Nutzung der immer knapperen Ressourcen, wie sie die Kreislaufwirtschaft anstrebt. Zweitens hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, die Nettoemissionen von Treibhausgasen bis 2050 auf null zu reduzieren. Die Kreislaufwirtschaft kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Und drittens erfordert die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft innovative Anpassungen an Produkte, Dienstleistungen und Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungsketten der Unternehmen. Die innovationsstarke Schweiz hat gute Voraussetzungen, in diesem Transformationsprozess eine Vorreiterrolle einzunehmen. Deshalb ist es wichtig, allfällige Hürden für die Kreislaufwirtschaft abzubauen.

Jedes zehnte Unternehmen stellt um

Doch wie steht es heute um die Kreislaufwirtschaft in Schweizer Unternehmen? Dieser Frage ist eine Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) und der Berner Fachhochschule Wirtschaft nachgegangen. Auftraggeber waren das Bundesamt für Umwelt (Bafu) und Circular Economy Switzerland, die Koordinations- und Austauschplattform für Kreislaufwirtschaft. Die Daten für die Analyse wurden anhand einer repräsentativen Umfrage vor dem Hintergrund eines speziell dafür entwickelten Konzepts zur Abbildung der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz erhoben. Die Grundlage für die Umfrage bildete das KOF-Unternehmenspanel – eine repräsentative Stichprobe von rund 8000 Schweizer Unternehmen (Rücklaufquote: 29,1%).

Im Rahmen der Umfrage wurden für 27 konkrete Aktivitäten aus dem Bereich der Kreislaufwirtschaft Daten erhoben. Konkret wurden die Firmen etwa gefragt, ob sie zwischen 2017 und 2019 ihren ökologischen Fussabdruck beim Neukauf von Produktionsinputs reduziert haben, ob sie beim Design die Produktlebensdauer verlängert haben oder ob sie ein zusätzliches Angebot für Produkt-Updates nach dem Verkauf entwickelt haben.

Wie die Analysen zeigen, steht die Schweizer Privatwirtschaft noch am Anfang des Transformationsprozesses. Rund 10 Prozent der Firmen beschäftigen sich aktuell substanziell mit der Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft, sind also in verschiedenen Bereichen der Kreislaufwirtschaft aktiv und investieren auch einen substanziellen Teil ihrer Investitionen in diesem Bereich. Die meisten Firmen steigen aber nicht vollumfänglich in die Kreislaufwirtschaft ein. Zumeist fokussieren sie in einem ersten Schritt ausschliesslich auf effizienzfördernde Massnahmen. 27 Prozent aller Firmen geben an, dass sie im betreffenden Zeitraum den Materialverbrauch (inklusive Verpackung und Papier) reduziert haben. Einige Unternehmen haben ihren ökologischen Fussabdruck beim Neukauf von Produktionsinputs (19%) oder beim Neukauf von Produktionsinfrastruktur und Transportmitteln reduziert (17%). Und rund ein Fünftel gibt an, die Umweltbelastung im Produktionsprozess abgebaut zu haben – dazu zählen etwa der Verbrauch von Energie, Wasser und Boden sowie Luft- und Lärmemissionen.

Diese Effizienzsteigerungen sind zentral. Denn sie bilden bei den meisten Unternehmen das Fundament, um weitere Produktionsstufen und Dimensionen der Kreislaufwirtschaft in Angriff zu nehmen und so die Produktlebensdauer zu steigern und die Kreisläufe zu schliessen. Vielen Firmen steht dieser erste Schritt allerdings noch bevor – 37 Prozent der Unternehmen haben zwischen 2017 und 2019 nämlich keine der 27 befragten Aktivitäten umgesetzt.

Unterschiede bei Branchen und Regionen

Nicht alle Branchen sind bei der Transformation gleich weit fortgeschritten. In einigen Wirtschaftszweigen, wie beispielsweise bei der Produktion elektronischer Instrumente, den Fahrzeugen und der Pharma, ist nicht nur das Niveau der ergriffenen Aktivitäten (Innovationsgrad) in den Unternehmen hoch; auch deren Verbreitung zwischen den Unternehmen ist im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt beachtenswert. Hier kann von einem sogenannten Frontier-Challenge gesprochen werden (siehe Abbildung). Im Detailhandel und im Kunststoffbereich gibt es zwar einige «Leuchtturm»-Firmen, die mit grossem Engagement vorangehen, in den übrigen Unternehmen dieser Branchen ist die Kreislaufwirtschaft allerdings nicht stark verbreitet (Diffusion-Challenge). In anderen Wirtschaftszweigen sind sowohl der Innovationsgrad als auch die Verbreitung eher bescheiden (Beginner-Challenge), beispielsweise in der Textil- und Bekleidungsbranche oder in der Metallherstellung. Und beim Maschinenbau sowie in der Verkehrs- und Logistikbranche liegt die Herausforderung weniger in der Diffusion der Aktivitäten, sondern eher in der Innovationskraft. Die Aktivitäten führender Unternehmen in diesen Branchen sind noch wenig intensiv. Hier fehlt es also noch an «Leuchttürmen» (Innovation-Challenge).

Innovationsgrad und Verbreitung von Kreislaufwirtschaft in Schweizer Branchen

Quelle: Stucki und Wörter (2021) / Die Volkswirtschaft

 

Ähnlich wie bei den Industrien gibt es auch regionale Unterschiede im Transformationsprozess. Zwar gibt es in allen Regionen «Leuchtturm»-Firmen mit einem hohen Innovationsgrad, in einigen Regionen sind solche Frmen aber nur spärlich vorhanden. So etwa in der Zentral- und der Ostschweiz, dem Tessin und in der Genferseeregion. Das Mittelland, Zürich und die Nordwestschweiz erzielen hingegen bei diesen beiden und auch weiteren betrachteten Indikatoren vergleichsweise hohe Werte. Neben strukturellen Unterschieden wie der Branchenstruktur könnten diese regionalen Unterschiede auch auf unterschiedliche politische Rahmenbedingungen zurückzuführen sein.

Sensibilisierung erhöhen

Unternehmen, welche in der Transformation zur Kreislaufwirtschaft schon relativ weit fortgeschritten sind, lassen sich in der Regel anhand von vier Merkmalen bestimmen: Erstens zeichnen sie sich durch eine solide finanzielle Basis aus und verfügen demnach über eine hohe Finanzkraft. Zweitens investieren sie in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, und es gelingt ihnen, mit den daraus resultierenden Innovationen hohe Umsatzanteile zu erzielen. Drittens verfügen sie über einen hohen Digitalisierungsgrad, welchem in der Literatur beispielsweise für die Rückverfolgung von Rohstoffen oder das Warten von Produkten eine grosse Bedeutung zukommt. Und viertens sind sie beispielsweise aufgrund ihrer Grösse oder Energieintensität für Nachhaltigkeitsthemen sensibilisiert.

Die Ergebnisse zeigen auch, dass der Einstieg und der weitere Ausbau der Kreislaufwirtschaft primär durch drei Faktoren gehemmt werden: Zum einen geben viele Unternehmen an, dass sich ihre Produkte und Dienstleistungen aufgrund der aktuell fehlenden technologischen Möglichkeiten nicht für die Kreislaufwirtschaft eignen. Die grösste Herausforderung besteht somit darin, Unternehmen für nachhaltige Lösungen zu sensibilisieren und sie beim Suchen von innovativen Lösungen zu unterstützen.

Zudem sind hohe Investitionskosten ein wesentliches Hindernis im Transformationsprozess. Oftmals können vor allem kleine Unternehmen diese kaum aus eigener Kraft überwinden. Deshalb braucht es wirtschaftspolitische Unterstützung. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil Unternehmen in Netzwerke von Lieferanten und Abnehmern eingebunden sind und es somit oft unternehmensübergreifende Massnahmen braucht, um im Transformationsprozess voranzukommen. Denkbar wären etwa Sensibilisierungsmassnahmen, ein verstärkter Fokus auf Nachhaltigkeitsziele bei der Innovationsförderung oder eine zunehmende Ausrichtung des öffentlichen Beschaffungswesens auf Nachhaltigkeitsziele.


Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Tobias Stucki, Martin Wörter (2022). Kreislaufwirtschaft: Oft mangelt es an Bewusstsein. Die Volkswirtschaft, 12. April.