Damit die Inflationsbekämpfung gelingt, muss die Bevölkerung der Zentralbank vertrauen. SNB-Direktoriumsmitglieder Thomas Jordan (l.) und Andréa Maechler beantworten Medienfragen. (Bild: Keystone)
Nach mehreren Jahrzehnten mit tiefen Inflationsraten hat die Teuerung in der Schweiz seit 2021 wieder angezogen. Was ist Inflation aus makroökonomischer Sicht?
Inflation steht für einen generellen und persistenten Anstieg des Preisniveaus. Die Inflationsrate ist definiert als Wachstumsrate des Preisniveaus. Üblicherweise misst man die Inflationsrate mit einem Konsumentenpreisindex, in der Schweiz beispielsweise mit dem Landesindex der Konsumentenpreise (LIK).
Hohe Teuerungsraten traten in der Schweiz letztmals vor 30 Jahren auf – mit einem Spitzenwert von über 6 Prozent im Jahr 1991 (siehe Abbildung). Abgesehen von einer kurzen Zeitperiode vor der Finanzkrise 2008 lag die Inflationsrate seither immer unter 2 Prozent, zwischen 2009 und 2020 war die Teuerung sogar teilweise negativ.
Inflationsrate und Inflationserwartungen in der Schweiz (1986 bis 2022)
Quelle: BFS (LIK) und Seco Konsumentenstimmung (Inflationserwartungen) / Die Volkswirtschaft
Was bestimmt die Inflation?
Erstens gibt es sogenannte Angebotsschocks, die die Preise ansteigen lassen, weil es zu einer Verknappung von bestimmten Gütern kommt. Dies führt zu höheren Inflationsraten und erhöht die Lebenshaltungskosten. Beispiele dafür haben wir jüngst gesehen: Der Anstieg des Erdölpreises in den Jahren 2021 und 2022 erhöhte die Produktions- und Transportkosten und damit die Preise für viele Güter – eine Entwicklung, die der Krieg in der Ukraine noch verschärfte. Auch Engpässe und Unterbrüche in den Lieferketten haben zu Preisanstiegen geführt.
Zweitens gibt es eine konjunkturelle Komponente: In einem Boom steigt die Nachfrage schneller als das Angebot. Das führt zu schneller wachsenden Preisen, also zu Inflation. Umgekehrt sieht das Bild übrigens für Rezessionen aus. Hier nimmt die Nachfrage schneller ab, als das Angebot gesenkt wird. Das Überangebot führt zu stagnierenden oder sogar fallenden Preisen.
Drittens gibt es die Inflationserwartungen der Wirtschaftsteilnehmenden. Diese sind relevant, weil Preise und Löhne typischerweise nicht von Tag zu Tag neu gesetzt werden, sondern für längere Zeitperioden.[1] So überlegen Firmen beispielsweise, wie sich ihre Produktionskosten und die Preise ihrer Konkurrenten entwickeln werden, wenn sie ihre Preise bestimmen. In Lohnverhandlungen gehen ebenfalls Erwartungen darüber ein, wie stark sich die Kaufkraft durch Inflation abschwächen wird. Die Erwartung zur künftigen Inflation beeinflusst somit die heute festgesetzten Preise und Löhne, also die aktuelle Inflation.
Zuständigkeit der Zentralbanken
Für eine stabile und tiefe Inflationsrate, die für das Funktionieren der wirtschaftlichen Abläufe als optimal angesehen wird, ist die Zentralbank zuständig.[2] Das ist ihr Auftrag. Die Zentralbank definiert dabei selbst, was sie unter «Preisstabilität» versteht. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat beispielsweise ein Zielband für die Inflation von 0 bis 2 Prozent definiert – ein Ziel, das sie in den vergangenen Jahren im Schnitt erreichte.
Bei Preisanstiegen aufgrund von Angebotsschocks, die durch Pandemie oder Krieg entstanden sind und meist einzelne Komponenten des LIK (beispielsweise Energiepreise) betreffen, kann die Zentralbank wenig tun, um solche Schocks direkt abzumildern. Zinsanstiege können dann sogar mehr schaden als nützen. Das gilt aber nur, solange Angebotsschocks temporär sind, sich auf einzelne Kategorien beschränken und nicht zu steigenden Inflationserwartungen führen. Letzteres wird unten noch genauer diskutiert.
Wenn die Zentralbank einen generellen Anstieg der Inflation in vielen Komponenten des LIK befürchtet, kann sie die Nachfrage nach allen Gütern und Dienstleistungen drosseln. Mit Zinsanhebungen kann sie den konjunkturellen Inflationstendenzen gegensteuern.
Komplexer Mechanismus
Weil ein Zinsanstieg nur indirekt auf die Inflation wirkt, ist der Mechanismus allerdings relativ komplex. So dämpft ein Zinsanstieg die Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern: Ein Zinsanstieg macht Kredite teurer, was sich wiederum negativ auf die Investitionstätigkeit von Unternehmen auswirkt. Weiter sparen Haushalte und Firmen bei höheren Zinsen mehr – und konsumieren somit weniger. Schliesslich schwächt ein Zinsanstieg auch die Nachfrage nach Schweizer Exportgütern, weil sich der Franken bei Zinsanstiegen tendenziell aufwertet und die Exporte im Ausland verteuert.
Man kann sich gut vorstellen, dass diese Wirkungskette schwer zu steuern ist. Nicht immer reagiert die Nachfrage gleich stark, und es dauert oft lange, bis sich die Wirkung der Zinsanstiege in der Nachfrage und letztendlich in einer Abschwächung der Inflation widerspiegelt. Jüngste Forschungsarbeiten zeigen, dass es für diesen Wirkungskanal allein eine relativ starke Abschwächung der Nachfrage benötigen würde, um die Inflation deutlich zu reduzieren.[3]
Für die SNB war in den letzten Jahren ein weiteres Instrument von grösserer Bedeutung: die Beeinflussung der Importpreise über den Wechselkurs. Denn etwa ein Viertel der in der Schweiz konsumierten Güter und Dienstleistungen ist importiert – daher spielen sie bei der Inflation eine wichtige Rolle. Lässt die SNB eine Aufwertung des Frankens gegenüber den ausländischen Währungen zu, führt diese relativ schnell und direkt zum Rückgang der Preise für Importgüter und dämpft damit die Inflation in der Schweiz.[4] Ebenso hat die SNB beispielsweise mit Einführung des Mindestkurses 2011 den Franken abgewertet, um den damaligen Deflationsrisiken entgegenzutreten.
Vertrauen in die SNB
Der wahrscheinlich wichtigste Einfluss, den die Zentralbank auf die Inflation hat, ist die Beeinflussung der Inflationserwartungen. Wie erwähnt besteht der Auftrag der SNB darin, die Inflation tief zu halten. Dabei ist es zentral, dass die Firmen und Haushalte überzeugt davon sind, dass die Zentralbank ihre Aufgabe auch erfüllen wird.
Nehmen wir an, alle Firmen und Haushalte sind überzeugt, dass die Zentralbank die Inflation zum Zielwert zurückführt, wenn die Inflation einmal, zum Beispiel aufgrund von Energiepreisanstiegen, zu hoch wird. In diesem Fall werden zwar einige Firmen ihre Preise aufgrund der höheren Energiekosten anheben, sie werden aber nicht bereits zukünftige weitere Preisanstiege vorwegnehmen, denn sie rechnen grundsätzlich mit einer wieder tiefen Inflation in Zukunft. Wenn alle Unternehmen entsprechend verfahren, kommt es zwar temporär zu erhöhter Inflation. Es kommt aber nicht zu einer permanent hohen Inflation.
Fehlt dieses Vertrauen in die Zentralbank, sieht es hingegen anders aus: Wenn Firmen und Haushalte davon ausgehen, dass ein aktueller Anstieg in der Inflation auch zu höherer Inflation in der Zukunft führt, weil die Zentralbank ihren Auftrag in ihren Augen nicht erfüllen wird, dann rechnen die Firmen und Haushalte mit einem mittelfristigen Inflationsanstieg und passen die Preise und Löhne entsprechend vorausschauend an. Die höhere Inflationserwartung erfüllt sich damit praktisch von selbst.
Eine Zentralbank muss deshalb glaubwürdig und konsequent ihre Ziele verfolgen. Sie muss insbesondere klar kommunizieren, dass sie handeln wird, wenn die Inflation sich nachhaltig vom Zielwert entfernt, und dies im Fall einer drohenden Inflation auch tun. Mit dieser Strategie kann sie eine zu hohe Inflationsrate idealerweise zum Zielwert zurückführen, ohne die Zinsen überaus stark anheben zu müssen und damit möglicherweise eine Rezession zu generieren.
Ungenügende Datenlage
Eine erfolgreiche Geldpolitik manifestiert sich somit auch in stabilen und tiefen Inflationserwartungen. Aus Sicht einer Zentralbank ist es wichtig, dass sie über Daten zu den mittelfristigen Inflationserwartungen von Haushalten und Firmen verfügt. Die Datenlage ist hier leider sehr spärlich.
Als Mass für die Erwartungen von Haushalten stehen in der Schweiz mit der vierteljährlichen Haushaltsbefragung «Konsumentenstimmung» des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zwar Umfragedaten zur Verfügung, welche die subjektiv erwartete Preisentwicklung der Haushalte über die nächsten zwölf Monate erfassen. Allerdings bewegen sich diese Inflationserwartungen relativ gleichläufig mit der tatsächlichen Inflationsrate (siehe Abbildung). Dies deutet darauf hin, dass die befragten Konsumenten die aktuelle Lage auf die nächsten zwölf Monate extrapolieren. Ob die Inflationserwartungen jedoch verankert sind, das heisst, dass erwartet wird, dass die Inflation mittelfristig wieder zum Zielwert kommt, wenn sie einmal davon abweicht, das sieht man in den Daten nicht. Dazu müsste man die Inflationserwartungen über einen längeren Horizont abfragen.
Wichtig für die Geldpolitik wären somit Umfragen, die Inflationserwartungen von Firmen und Haushalten über die nächsten drei bis fünf Jahre messen. Darüber wissen wir in der Schweiz – im Gegensatz zu den USA oder einigen europäischen Ländern – sehr wenig. Diese Datenlücke sollte man möglichst bald schliessen.
- Für die Schweiz gibt es Evidenz aus Mikrodaten, dass Preise und Löhne rigide sind, also nicht kontinuierlich angepasst werden. Siehe zum Beispiel Kaufmann (2009) und Funk und Kaufmann (2022). []
- Auch wenn in der Wissenschaft etwas Uneinigkeit herrscht, wo ganz genau die optimale Inflationsrate liegt, so ist man sich doch einig, dass sie leicht positiv, aber nicht zu hoch sein sollte. Siehe zum Beispiel Schmitt-Grohe und Uribe (2011) oder Adam und Weber (2019). []
- Siehe Hazell et al (2022). []
- Bei einer Aufwertung um 10 Prozent kommt es zu einem Preisrückgang der Konsumentenpreise von etwa 1 Prozent, siehe Auer et al (2021). []
Literaturverzeichnis
- Adam, Klaus und Henning Weber (2019). Optimal Trend Inflation. American Economic Review, 109 (2): 702–37.
- Auer Raphael, Ariel Burstein und Sarah Lein (2021). Exchange Rates and Prices: Evidence from the 2015 Swiss Franc Appreciation. American Economic Review, 111(2): 652–86.
- Funk, Anne Kathrin und Daniel Kaufmann (2022). Do Sticky Wages Matter? New Evidence from Matched Firm-Survey and Register Data, Economica, 23. Februar.
- Hazell, Jonathon, Juan Herreño, Emi Nakamura und Jón Steinsson (2022). The Slope of the Phillips Curve: Evidence from U.S. States, The Quarterly Journal of Economic.
- Kaufmann, Daniel (2009). Price-setting Behaviour in Switzerland: Evidence from CPI Micro Data, Swiss Journal of Economics and Statistics, 145(III).
- Schmitt-Grohe, Stephanie und Martin Uribe (2011). The Optimal Rate of Inflation, Handbook of Monetary Economics, Volume 3B: 653–722.
Bibliographie
- Adam, Klaus und Henning Weber (2019). Optimal Trend Inflation. American Economic Review, 109 (2): 702–37.
- Auer Raphael, Ariel Burstein und Sarah Lein (2021). Exchange Rates and Prices: Evidence from the 2015 Swiss Franc Appreciation. American Economic Review, 111(2): 652–86.
- Funk, Anne Kathrin und Daniel Kaufmann (2022). Do Sticky Wages Matter? New Evidence from Matched Firm-Survey and Register Data, Economica, 23. Februar.
- Hazell, Jonathon, Juan Herreño, Emi Nakamura und Jón Steinsson (2022). The Slope of the Phillips Curve: Evidence from U.S. States, The Quarterly Journal of Economic.
- Kaufmann, Daniel (2009). Price-setting Behaviour in Switzerland: Evidence from CPI Micro Data, Swiss Journal of Economics and Statistics, 145(III).
- Schmitt-Grohe, Stephanie und Martin Uribe (2011). The Optimal Rate of Inflation, Handbook of Monetary Economics, Volume 3B: 653–722.
Zitiervorschlag: Lein, Sarah (2022). Wie lässt sich die Inflation steuern? Die Volkswirtschaft, 25. April.