Suche

Abo

Die Ressource Landschaft wird wichtiger

Raimund Rodewald, Dr. phil. biol., Dr. h.c. iur., Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL-FP), Bern

Standpunkt

Reisen hatte schon immer eine ambivalente Bedeutung: Für die einen war es Ausdruck von Wohlstand und Frieden, für die anderen Flucht aus Krieg und Hoffnungslosigkeit. Die politischen Verwerfungen der letzten Zeit – insbesondere der Krieg in der Ukraine – rücken den Tourismus in ein neues Licht. Verändert sich nun sein Sehnsuchtsgehalt?

In jedem Falle scheint die Ressource Landschaft einen grösseren Stellenwert einzunehmen. Dies zeigen neue Akzente bei den Schweizer Bergbahnen. Die Toggenburg Bergbahnen haben sich seit 2015 einem konsequent nachhaltigen Umgang mit der Landschaft und einer auf Baukultur ausgerichteten Infrastruktur verschrieben. Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL-FP) hat diese beispielhafte Strategie 2021 mit der Auszeichnung «Landschaft des Jahres» prämiert.

Ebenfalls neue Wege geht die Tourismusorganisation Weisse-Arena-Gruppe in Flims mit einer Neuordnung der Erschliessung der Tektonikarena Sardona: Neue Antriebsmodelle sollen unnötige Gondelleerfahrten vermeiden, und die Linienführung der Anlagen wurde eng mit den Umweltverbänden erarbeitet. Man setzt auf Zurückhaltung und Respekt gegenüber der Natur. So entsteht das neue Besucherzentrum nicht etwa auf dem exponierten Cassonsgrat, sondern bei der besser erschlossenen Segneshütte, wo bereits die entsprechende Infrastruktur besteht. Solche Projekte vermitteln dem ressourcenbewussten Gast neue Narrative. Allerdings: Die beiden Leuchtturmprojekte stehen in der hiesigen Bergbahn-Landschaft bisher noch einsam da.

 

Die Corona-Pandemie könnte zu einer Abkehr vom Massentourismus und zu mehr Individualtourismus führen

 

 

Dennoch zeichnet sich ein Trendwechsel in Richtung von weniger globaler Abhängigkeit und mehr Selbstverantwortung ab. Diese neue Betonung der regionalen Qualitäten verlangt nach einem achtsameren Umgang mit unserer heimischen Kultur und Natur, was auch immer stärker von den Gästen nachgefragt wird. Das zeigen Befragungen im Rahmen einer Studie der SL-FP aus dem Jahr 2020: Gemäss den Tourismusakteuren könnte die Corona-Pandemie zu einer Abkehr vom Massentourismus und zu mehr Individualtourismus führen. Somit muss die bisherige Überproduktion von global nachgefragten Tourismusangeboten im Sinne des zeitoptimierten Erlebnis­ses von möglichst vielen Markern des Einzigartigen hinterfragt werden.

Doch wo ist die Grenze? Ab wann wird Tourismus zum Massentourismus? Der italienische Journalist und Tourismusexperte Marco d’Eramo beantwortet diese Frage so: «Es kippt in dem Moment, wenn die Einwohner gezwungen sind, die Leistungen zu beanspruchen, die für Touristen gedacht sind.» Dann verliert die Landschaft ihre Eigenständigkeit.

Es bleibt zu hoffen, dass nach der Pandemie der Individual- und Ökotourismus auch global verstärkt nachgefragt wird. Ein solcher besinnt sich auf Natur, Landschaft und Baukultur, die nicht nur für die Gäste da sind, sondern einen Eigenwert für alle haben.

Zitiervorschlag: Raimund Rodewald (2022). Standpunkt: Die Ressource Landschaft wird wichtiger. Die Volkswirtschaft, 10. Mai.