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Nach der Pandemie: Eine neue touristische Normalität

Der internationale Tourismus nimmt nach der Covid-Pandemie wieder Fahrt auf. Was hat das Virus verändert? Und was ist geblieben?
Wird Reisen jemals wieder so sein wie vor der Pandemie? Die Crew eines Air-China-Flugs im Dezember 2021 am Flughafen von Los Angeles. (Bild: Keystone)

Gut zwei Jahre hatte die Pandemie die Welt im Griff. Mit wenigen kurzen Ausnahmen in den Sommermonaten waren Reisen – vor allem jene in weiter entfernte Länder – kaum möglich. Was ist von dieser Zeit geblieben? Und was bedeutet das für den künftigen Tourismus? Um eine fundierte Einschätzung der Lage vorzunehmen und die unmittelbaren Zukunftsaussichten abzuschätzen, hat das Forschungszentrum für Tourismus und Verkehr an der Universität St. Gallen in den vergangenen zwei Jahren mehrere nationale und internationale Expertenpanels einberufen, mit öffentlich verfügbaren Berichten als Resultat.[1] Dabei hat sich gezeigt: Vieles ist noch ungewiss, aber eine Rückkehr zum Tourismus wie vor der Pandemie ist unrealistisch.

Was sich mit der Pandemie geändert hat, lässt sich am besten mittels dreier verschiedener Perspektiven unterscheiden: einer generellen, einer mit Fokus auf individuelle Veränderungen in der Nachfrage sowie einer unternehmerischen.

Auf Unter- folgt Übernachfrage

Die Pandemie hat uns eine Reihe neuer bedeutsamer Erfahrungen machen lassen. Hierzu gehören zunächst die Konfrontation mit einer hohen Zahl infizierter und erkrankter Menschen und die zeitweise erhöhten Mortalitäten. Dadurch sind sich viele Personen ihrer eigenen Verletzlichkeit bewusst geworden. Die gegen das Coronavirus verhängten Massnahmen haben soziale Kontakte und Mobilität eingeschränkt – also die beiden Faktoren, auf die der Tourismus aufbaut. Zusammen mit der Eventbranche ist die Tourismusbranche damit einer der am meisten betroffenen Sektoren.

Mit den Lockdowns hat sich das seltene Ereignis eines kombinierten Nachfrage- und Angebotsschocks ergeben. Mit anderen Worten: Die Nachfrage und das Angebot wurden zeitgleich blockiert. Über die gesamte Pandemiedauer hinweg hat die Schweiz allerdings gemäss dem Government Response Stringency Index der Oxford University einen insgesamt relativ liberalen Kurs verfolgt und ist damit vergleichsweise glimpflich davongekommen. Auf einer Skala von 0 bis 100 (mit 100 als «striktestes» Mass) lag der Wert für die Schweiz am 1. April 2020 bei 73, am 1. Dezember 2020 bei 57 und am 1. Februar 2021 noch bei 60 Punkten. Zum Vergleich: In unseren Nachbarländern lag der Maximalwert an diesen drei Daten jeweils deutlich höher: 92 (damals: Italien), 82 (damals: Österreich) und 83 (damals: Deutschland).[2] Ein Beispiel für den eher liberalen Kurs der Schweiz war etwa die Offenhaltung der Hotels über die ganze Pandemie hinweg und sogar im ersten Lockdown. Ein anderes Beispiel ist die Offenhaltung der Skigebiete im Winter 2020/21 und 2021/22.

Zu guter Letzt lernen wir derzeit mit dem Virus und den damit verbundenen Ungewissheiten zu leben. Es steht aber ein noch länger anhaltender Prozess bevor, neue ökonomische und soziale Gleichgewichte zu finden. Dies gilt auch für viele touristische Märkte: Eine zweijährige Unternachfrage könnte bald von einer aufgestauten Übernachfrage abgelöst werden.

Bei all diesen Herausforderungen positiv hervorzuheben ist, dass viele Unternehmen und Teilbranchen in Sachen Digitalisierung einen grossen Sprung nach vorne gemacht haben. Für den Tourismus besonders relevant sind die grossen Fortschritte bei Homeworking und Telekonferenzen. Die fixe Trennung zwischen Wohn- und Arbeitsort auf der einen Seite und Ferien- und Freizeitort auf der anderen Seite hat sich mit der Pandemie aufgelöst. Zu Geschäfts-, Seminar- und Kongressreisen gibt es heute neu «branchenfremde» Alternativen, wie zum Beispiel pure Online-Meetings und Zusammenkünfte.

Für den Tourismus bedeutet dies: Mit einem Wegfall der Restriktionen dürften die Freizeitreisen relativ rasch wieder zunehmen; der derzeit ansteigende Buchungsstand bei den Airlines zeugt davon. Viele dieser Reisen sind auch dadurch getrieben, dass Freunde und Verwandte, welche oft weit verstreut sind, besucht werden wollen, und zwar in beiden Richtungen (in die Schweiz und aus der Schweiz heraus). Die vorpandemischen Besucherströme dürften damit sukzessive wieder zurückkommen.

Geschäftsreisen werden dagegen noch länger auf tiefem Niveau verharren. Aktuell besteht unter Experten ein Konsens, dass global die Geschäftsreisen im Vergleich zu vor der Pandemie kurz- bis mittelfristig um 20 bis 30 Prozent abnehmen werden. Die Global Business Travel Association geht davon aus, dass bestenfalls ab circa 2025 – wenn überhaupt – das Vorkrisenniveau wieder erreicht sein wird.

Kunden werden vorsichtiger planen

Auch aus individueller Perspektive bleiben verschiedene unmittelbare und vielleicht längere Auswirkungen, welche die Nachfrage beeinflussen. Etwa die neue Dynamik im unmittelbaren Lebensumfeld: «Sicherheiten» welcher Art auch immer haben sich in der Pandemie nur als vorübergehend erwiesen. Alle haben darüber hinaus gelernt, was es bedeutet, mit staatlich auferlegten Verhaltensbeschränkungen zu leben. Und selbst bei deren Wegfall haben sich viele Menschen eigene Beschränkungen auferlegt – sei es aufgrund objektiver gesundheitlicher Zwänge oder aufgrund eines geschärften Risikoempfindens. Hierzu beigetragen hat auch die potenzielle Vergänglichkeit ökonomischer Gewissheiten (Arbeitsstelle, Einkommen). Was davon bleibt, sind vielleicht das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten im Umgang mit einem sehr herausfordernden und volatilen Lebensumfeld und die Flexibilität im eigenen Verhalten. Hier staunen wohl viele, was alles möglich ist und war.

Nachfrageseitig ist deshalb mit kurzfristigeren und flexibleren Reiseentscheidungen zu rechnen. Hierzu tragen auch die zunehmende Flexibilisierung in der Angebotsgestaltung und die weitere Digitalisierung des Buchungsprozesses aus Sicht der Kunden bei. Zu erwarten ist zudem eine höhere Risikowahrnehmung: So werden die Konsumenten ihre Reisen künftig vorsichtiger planen, was gesundheitliche Aspekte (etwa neue Virusvarianten), ökonomische Aspekte (beispielsweise Arbeits- und Einkommenssituation sowie Inflation) oder auch regulatorische Aspekte (etwa potenzielle Reisebeschränkungen) angeht. Ob sich dabei der viel geäusserte Wunsch nach einem nachhaltigeren Reiseverhalten erfüllt, wird die Zeit zeigen. Die Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Angebote und sichere Destinationen, wie etwa die Schweiz, könnte steigen.

Unternehmen haben Flexibilität bewiesen

Auch Tourismusunternehmen wurden direkt von der Pandemie getroffen, weil der Betrieb verboten oder eingeschränkt wurde. Zudem haben ökonomische Besonderheiten wie die fehlende Lagerbarkeit der Produkte Auswirkungen auf die Erfolgsrechnungen und die Bilanzen. Die schnelle und unbürokratische Reaktion des Staates mit den Covid-Krediten, der verlängerten Kurzarbeit und den Härtefallhilfen konnte potenziell weitreichende, systemrelevante Zusammenbrüche wie den Konkurs einer Bergbahn oder von bedeutenden Hotels verhindern.

Das Überleben der Unternehmen konnte so zwar gesichert werden. Die Erträge sind jedoch ausgefallen, und der Ertragswert vieler Unternehmen insbesondere in international ausgerichteten Destinationen ist gesunken. Das schwächt die Liquidität, die Eigenmittel und damit die zukünftige Investitionsfähigkeit. Der Fokus im Management hat sich vielerorts auf das Krisenmanagement verlagert, wobei weiter reichende strategische Überlegungen in den Hintergrund rückten.

Viele Tourismusunternehmen haben dabei die Fähigkeit bewiesen, sich agil auf diese schwierigen und volatilen Bedingungen einzustellen. Erwähnenswert ist die Anpassung von Geschäftsmodellen und Prozessen: So haben viele Hotels ihre Abläufe, etwa beim Check-in oder bei der Reinigung, vereinfacht. Ausserdem haben sie sich auf neue Produkte konzentriert, wie beispielsweise Langzeitangebote oder sogenannte Workation – eine Kombination von Arbeit und Ferien. Oder Restaurants haben auf Take-away umgestellt. Diese Innovationen haben gleichzeitig die Produktivität erhöht.

Diese Fähigkeit, sich anzupassen, ist hoffentlich nachhaltig und hilft den Tourismusbetrieben dabei, den sich abzeichnenden Arbeitskräftemangel in der Branche besser aufzufangen. Dieser entstand nicht zuletzt auch deshalb, weil aufgrund der Unsicherheiten bezüglich der Zukunft des Tourismus viele Fachkräfte die Branche verlassen haben und künftig vielleicht auch meiden werden.

Das brauchen die Unternehmen jetzt

Angebotsseitig ist deshalb vor allem mit einem Schub in Richtung produktiverer Leistungsprozesse zu rechnen. Viele Tourismusunternehmen haben ihre Arbeitsweisen und ihre Kundenversprechen aufgrund der Kosten- und Ertragssituation in der Pandemie angepasst und werden nicht einfach zur «alten» Welt zurückkehren. Dies könnte teilweise auch den virulent gewordenen Fachkräftemangel lindern, weil damit verbunden weniger Personal nötig ist.

In Zukunft müssen die Prozesse und Geschäftsmodelle weiter angepasst werden. Dafür sollten die Unternehmen aus dem Überlebensmodus in einen Entwicklungsmodus kommen und die hierzu notwendigen finanziellen und personellen Ressourcenspielräume schaffen. In Sachen Finanzierung wird es dabei nicht nur um den Ersatz des Bestehenden gehen, sondern vermehrt auch um Investitionen in produktivere Prozesse – oft auch mithilfe digitaler Instrumente.

Für die touristische Wirtschaft insgesamt ist ein Umfeld notwendig, welches zunächst die Erholung von Erfolgsrechnungen und Bilanzen der Unternehmen ermöglicht und sodann die zukünftige Entwicklung unterstützt. Einiges ist bereits in der aktuellen Tourismusstrategie des Bundes festgeschrieben, wie beispielsweise die Revision des Gesetzes zur Beherbergungsförderung oder die Betonung der Nachhaltigkeit.

Darüber hinaus sollten Bund und Kantone die zukünftige Politikgestaltung und Regulierung aber vermehrt auch auf ein immer dynamischeres Geschehen ausrichten – die verschiedenen innovativen unternehmerischen Reaktionen auf die Pandemie zeugen davon. Dazu braucht es nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch regulative Freiräume – wie sie die Schweiz beispielsweise mit der vereinfachten Kurzarbeit oder der Ausweitung der bewirtschafteten Aussenflächen während der Pandemie den Tourismusunternehmen gewährt hat.

  1. Siehe Berichte mit Schweizer Perspektive sowie Berichte mit einer internationalen Perspektive[]
  2. Bieger, T., Laesser, C. und Mitterer, D. (2021). Liberalism, Federalism, Self-Responsibility: The Way of Swiss Tourism Through the Pandemic, in: Callot, Ph. (Hrsg): Tourism Post Covid-19: Coping, Negotiating, Leading Change. Wien: TRC (S. 107–122). []

Zitiervorschlag: Christian Laesser, Thomas Bieger, Pietro Beritelli (2022). Nach der Pandemie: Eine neue touristische Normalität. Die Volkswirtschaft, 10. Mai.