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«So habe ich mich in das Land verliebt»

Martin Nydegger, Direktor von Schweiz Tourismus, erinnert sich im Interview, wie in einem Militärlastwagen seine Liebe zum Land entflammte. Zudem spricht er über Klimawandel, Österreich und Inflation: «Die nächste Challenge, die uns so richtig schütteln wird, ist der Preis.»

«So habe ich mich in das Land verliebt»

Martin Nydegger am Hauptsitz von Schweiz Tourismus in Zürich: «Wir machen auch künftig kaum Werbung im Inland. Wir sind exportgetrieben.» (Bild: Keystone / Raisa Durandi)
Herr Nydegger, die Pandemie ist beendet …

(lacht) Ist das so? Kann ich das schriftlich haben?

Gehen wir davon aus, es wird ruhiger. Ist jetzt für Schweiz Tourismus die Zeit gekommen, um die Werbetrommel zu rühren?

Wir haben nie aufgehört, die Werbetrommel zu rühren. Wir haben während der Krise antizyklisch agiert, sprich keine Büros geschlossen und keine Mitarbeiter entlassen, dafür bei unseren Gästen stets die Sehnsucht nach der Schweiz geweckt. Als öffentlich-rechtliche Körperschaft konnten wir selbst dann noch Präsenz markieren, als es für die privaten Leistungsträger – wie Hotels oder Bergbahnen – schwierig wurde.

Womit haben Sie während der Pandemie geworben?

Die Befindlichkeiten während der Krise waren ein ständiges Auf und Ab. Unser Job war es, immer den richtigen Ton zu treffen. Im Lockdown 2020 haben wir «Dream Now, Travel Later» vermittelt.

Und danach?

Im Sommer 2020 war touristisch einiges wieder möglich, und die Gäste sehnten sich nach stabilen Verhältnissen. Da haben wir die Schweiz als verlässliches Land vermarktet mit der Botschaft «We Need Switzerland». Und im Jahr 2021, als wir alle die Nase voll hatten von der Pandemie, haben wir den «No Drama»-Spot mit Roger Federer und Robert De Niro lanciert.

Was machen Sie jetzt? Gibt es eine neue Kampagne?

Die Leitkampagne ist «I Need Switzerland». Diese wird je nach Produkt und Zielgruppe adaptiert. Brandaktuell werben wir wieder mit einem Spot mit Roger Federer und der US-Schauspielerin Anne Hathaway. Sie bewerben die «Grand Tour of Switzerland»: eine 1600 Kilometer lange reale Rundreise durch die Schweiz – unsere Route 66 sozusagen. Sie ist fix ausgeschildert. Dazu gibt es brandneu eine App mit Navigation, die alles Mögliche erlaubt.

Sie bewerben also privat organisiertes Reisen?

Ja genau. Der Gedanke dahinter ist, dass die gesamte Schweiz vom Tourismus profitiert: sowohl das Land wie auch die Städte. Wir hatten die Grand Tour im Jahr 2015 eigentlich für Gäste aus Übersee konzipiert – zu unserer Überraschung bereisen sie heute jedoch meist Europäer.

Während der Krise waren Einheimische die Stütze des Tourismus. Werben Sie künftig mehr in der Schweiz?

Nein. Wir machen auch künftig kaum Werbung im Inland. Wir sind exportgetrieben. Sprich, wir sind zuständig für die ausländischen Gäste. Nur drei Prozent unseres Marketingbudgets geben wir im eigenen Land aus.

Die jährlichen Hotellogiernächte lagen 2021 wegen der Pandemie um ein Viertel zurück gegenüber 2019. Wie sieht es 2022 aus?

Wir denken, es wird immer noch rund minus 15 Prozent geben – unter anderem wegen des Ukraine-Effekts. Doch der lässt sich noch schwer abschätzen.

Gemäss Marktbeobachtern werden die asiatischen Gäste erst 2025 wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Kann man in der Zwischenzeit den Ausfall kompensieren?

Wir versuchen es und fahren dazu zwei Strategien. Die eine ist eine Resilienzstrategie: In einigen Märkten müssen wir durchhalten und das Feuer am Lodern halten, bis es wieder losgeht. Die andere Strategie ist es, neue Marktpotenziale anzuzapfen.

Und wo liegen diese?

Wir haben gerade in Lissabon ein Büro eröffnet. Im Gegensatz zu Ländern wie etwa Deutschland, das in der Krise Länderbüros geschlossen hat, gehen wir den anderen Weg: In den nächsten zwei Jahren werden wir weitere fünf bis sechs neue Büros eröffnen.

Die Pandemie war für den Tourismus sehr einschneidend, aber im Kern hat sie wohl nicht so grosse Konsequenzen

Ändert sich mit der Pandemie im Tourismus etwas Grundlegendes?

Die Pandemie war für den Tourismus sehr einschneidend, aber im Kern hat sie wohl nicht so grosse Konsequenzen, wie man meinen könnte: Die tektonischen Veränderungen bleiben aus. Das Reisebedürfnis, der Wunsch, andere Kulturen kennen zu lernen, sich auszutauschen und sich vom Alltag zu entfernen, ist geblieben.

Nach der Krise ist vor der Krise: Wie heisst das nächste grosse Problem im Tourismus?

Die nächste Challenge, die uns so richtig schütteln wird, ist der Preis. Zinsen, Rohstoffpreise und Inflation steigen. Uns plagt dabei nicht die Inflation in der Schweiz. Aber wenn in Deutschland und den USA die Preise stark steigen und die Leute dort mehr Geld für Milch ausgeben müssen, bleibt ihnen weniger für die Reise in die Schweiz. Hinzu kommen noch der Fachkräftemangel im Tourismus und die anhaltende Frankenstärke. Wenn Sie das alles kumulieren, dann sehen Sie die nächste Krise.

Weidende Kühe oder Kongresszentrum – welches Bild prägt die Schweiz?

Die Kühe. Ganz klar. Sowohl bei ausländischen als auch inländischen Touristen. Viele belächeln dieses Klischee der Kuh-Käse-Berg-Schweiz. Aber es ist das Image, das seit über hundert Jahren die Schweiz prägt und das die Gäste gemäss Umfragen hier suchen. Ziemlich einfallslos, kann man sagen. Ich sage: Das ist eine sehr solide Stärke.

Wenn seit hundert Jahren alles gleich ist – wieso braucht es dann Schweiz Tourismus?

Ein Image ist noch nicht die Nachfrage. Wenn ich Coca-Cola kenne, bin ich deswegen noch lange kein Coca-Cola-Trinker. Unser Job ist es, aus denjenigen, die die Schweiz kennen, künftige Gäste zu machen.

Wollen Sie irgendwas am Bild mit den Kühen ändern?

Nicht ändern, aber ergänzen. Zum Beispiel: Bewege Dich in diesem Land, mache Wellness, fahre Velo, geniesse unsere Kultur und Kulinarik.

Wie viel Geld hat Schweiz Tourismus zur Verfügung, um dieses Bild zu bewerben?

Unser Jahresbudget beträgt rund 95 Millionen Franken. Wegen der Corona-Sonderkredite ist es momentan etwas höher.

Und was kostet das den Steuerzahler?

Das sind keine Kosten, sondern Investitionen. Jeder Marketingfranken löst einen touristischen Umsatz von fast 30 Franken aus. Der Bundesbeitrag dafür beträgt in normalen Jahren rund 54 Millionen Franken. Der Rest kommt aus der Tourismusbranche.

Ist das viel oder wenig, verglichen mit dem Budget von anderen Reisedestinationen?

Es ist vergleichbar mit anderen Ländern und angemessen für unser Land und unser Produkt. Die Schweiz ist ein Premiumprodukt. Und wie bei allen Premiumprodukten ist die Bewerbung teuer. Nicht jeder kann sich die Schweiz leisten. Deshalb müssen wir in jedem Markt präzise die Gäste suchen, die sich die Schweiz auch leisten wollen – und können. Das ist aufwendig.

Die Schweiz ist ein Premiumprodukt. Und wie bei allen Premiumprodukten ist die Bewerbung teuer

Welche Gäste aus dem Ausland geben am meisten Geld aus in der Schweiz?

Das sind ganz klar unsere Gäste aus den Golfstaaten. Sie geben rund 420 Franken pro Tag aus. Dann kommen die Chinesen mit 380 Franken pro Tag. Hier sind die Nebenausgaben – beispielsweise für Uhren – aber mit eingerechnet. Auch die Inder und Amerikaner geben ähnlich viel aus, vor allem für Unterkünfte. Denn sie wollen unbedingt in eines der wunderbaren historischen Grandhotels.

Oft heisst es, dass die Löhne in der Tourismusbranche zu tief seien. Gleichzeitig herrscht ein Fachkräftemangel. Wieso steigen die Löhne nicht?

Das stimmt nicht für alle Teile der Branche. Für einzelne trifft es jedoch sicher zu. Schauen Sie in die Hotellerie, da hat man im Schnitt 1,5 Prozent Marge – da gibt es kaum Spielraum, um die Löhne im Service zu erhöhen.

Österreich Werbung – die nationale Tourismusorganisation Österreichs – hat etwa die Hälfte des Budgets von Schweiz Tourismus für doppelt so viele Logiernächte im Vergleich zur Schweiz. Wieso?

Unser Nachbarland hat verschiedene weitere Kanäle zur Unterstützung des Tourismus, während sich Österreich Werbung vor allem auf die Promotion in den Nachbarländern konzentriert. Die Schweiz ist viel interkontinentaler mit amerikanischen und asiatischen Touristen. In Österreich sind zudem die einzelnen Regionen wie Tirol oder Wien viel aktiver und haben vermutlich je ein höheres Werbebudget als Österreich Werbung selbst. In der Schweiz ist das anders: Selbst die Jungfraubahn, unser grösster touristischer Player, braucht die Zusammenarbeit mit uns: Sie können nicht allein den Weltmarkt bearbeiten. Die Marke Schweiz ist für sie wie ein Sprungbrett.

Gibt es weitere Unterschiede?

Den Österreichern ist es gelungen, ihre fragmentierte, klein strukturierte Unterkunftswelt charmant darzustellen. Bei uns werden Hotels mit 30 Zimmern teils als Problemfall angesehen – in Österreich jedoch als familiengeführter romantischer Herzensbetrieb.

Landschaftszerstörung, Umweltverschmutzung, niedrige Löhne – der Tourismus hat nicht nur schöne Seiten. Kann Tourismus überhaupt nachhaltig sein?

Klimawandel und Nachhaltigkeit sind uns extrem wichtig. Das ist kein grün gefärbtes Marketing. Mit Swisstainable haben wir unser eigenes Nachhaltigkeitsprogramm auf die Beine gestellt. Es ist freiwillig. Alle Betriebe können mitmachen. Und Hunderte haben diese Chance bereits erkannt und sich dem Programm angeschlossen.

Ein Hotelbesuch generiert mehr Umweltverschmutzung, als wenn man zu Hause bleibt…

Natürlich, aber so ist es mit dem ganzen Leben: Man isst, man wohnt, man heizt, und damit verursachen wir etwas. Das absolute Ziel ist ja nicht eine Natur ohne menschliche Aktivitäten, sondern der Mensch, der seinen Alltag lebt. Den Tourismus mit seinem Einfluss auf die Natur muss man in diesem Verhältnis sehen.

Das absolute Ziel ist ja nicht eine Natur ohne menschliche Aktivitäten, sondern der Mensch, der seinen Alltag lebt

Und wenn wir weniger reisen?

Wir sind absolut der Überzeugung, dass nicht das Reisen insgesamt reduziert werden soll, sondern die Zahl der Anreisen. Darum wollen wir die Aufenthaltsdauer in der Schweiz verlängern, um den ökologischen Fussabdruck, den ein Überseegast bei der Anreise verursacht, auf möglichst viele Ferientage zu verteilen.

Stichwort Klimaerwärmung: Wie passen Schneekanonen in tiefen Lagen und nachhaltiger Tourismus zusammen?

Der Vorteil der Schweiz ist, dass die Skidestinationen im Schnitt 540 Meter höher sind als im übrigen Alpenraum. Deshalb hat es in der Schweiz im Vergleich zu den anderen Alpenländern ja auch am wenigsten Beschneiungsanlagen pro Pistenkilometer. In Skiorten über 1500 Meter werden wir noch lange Ski fahren können. Die tieferen Skiregionen werden sich die Frage stellen müssen: Wie lange kann ich es mir noch leisten, alles auf die Karte Skitourismus zu setzen, und was wäre dann die zweite Option?

Und was ist die zweite Option?

Wenn der Winter kürzer und trockener wird, wird der Herbst länger. In 10 bis 20 Jahren kriegen wir einen dritten Herbstmonat, den November. Bisher zählte dieser zur Wintersaison. Aber in tieferen Lagen wird man im November noch nicht Ski fahren können. Diese Gebiete werden also je länger, je mehr auf Herbstangebote wie Wandern, Biken, Kulinarik und Wellness umsatteln müssen.

Herr Nydegger, wo ist eigentlich Ihre Faszination für den Tourismus entstanden?

Ich trau es mich fast nicht zu sagen… im Militär. Dort war ich bei den Lastwagenfahrern. Diese versucht man in der Schweiz immer von den Hauptachsen fernzuhalten, damit sie den Verkehr nicht zusätzlich belasten. Und so war ich immer in der Peripherie unterwegs. Dort, wo die Schweiz unglaublich schön ist. So habe ich mich in das Land verliebt. Zudem hatte ich Freude am Internationalen. Nach Abschluss des Militärdienstes habe ich dann an meine Lehre als Landmaschinenmechaniker die Tourismusfachschule angehängt.

Zitiervorschlag: Guido Barsuglia (2022). «So habe ich mich in das Land verliebt». Die Volkswirtschaft, 06. Mai.

Martin Nydegger
Der 51-jährige Martin Nydegger leitet seit 2018 Schweiz Tourismus. Die Marketingorganisation fördert im Auftrag des Bundes die touristische Nachfrage der Schweiz. Weltweit beschäftigt Schweiz Tourismus rund 270 Mitarbeitende, verteilt auf 34 Büros, in 23 Märkten. Das Jahresbudget 2022 beträgt 94,1 Millionen Franken. 57 Millionen steuert der Bund bei.
Martin Nydegger studierte an der Höheren Fachschule für Tourismus Graubünden und hält ein MBA der Universität Strathclyde im Vereinigten Königreich. Er war zehn Jahre Scuoler Tourismusdirektor, bevor er ab 2005 für Schweiz Tourismus verschiedene Funktionen im In- und Ausland übernahm.