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Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz: Von den Nordwestterritorien bis Feuerland

Die USA haben Deutschland im Jahr 2021 als wichtigste Exportdestination der Schweiz abgelöst. Die Freihandelszone USMCA umfasst einen riesigen Markt in Nordamerika. Auch Südamerika bietet Chancen.
Containerschiff in Vancouver, Kanada. (Bild: Alamy)

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und dem amerikanischen Doppelkontinent sind eng. Besonders jene mit den USA, die über 17 Prozent des Handels mit Waren und Dienstleistungen umfassen. Bei den Direktinvestitionen von Schweizer Unternehmen ist der Anteil gar über ein Drittel. Die Schweiz ist damit die siebtgrösste Direktinvestorin im Land, wobei namentlich die Forschung und Entwicklung eine wichtige Rolle spielt. Dadurch wurden direkt und indirekt rund eine halbe Million qualifizierte Arbeitsplätze vor Ort geschaffen.

In den vergangenen zwanzig Jahren haben sich die Schweizer Warenexporte in die USA wertmässig verdreifacht. Haupttreiber des Anstiegs der Exporte in die USA war neben dem Goldhandel die Pharmaindustrie – auch als Folge der Covid-19-Pandemie. Damit lösten die USA 2021 Deutschland erstmals seit 70 Jahren als wichtigster Exportpartner der Schweiz ab (siehe Abbildung).

Exporte der Schweiz in ausgewählte Staaten (1988–2021)

Anmerkung: Ohne Wertsachen und Transithandel. Quelle: BAZG, Swissimpex.

 

Im Vergleich zu den Exporten sind die Importe – im Güterhandel – wertmässig deutlich geringer: Während die Schweiz im Jahr 2020 Waren im Umfang von 47 Milliarden Franken in die USA exportierte, waren es bei den Importen lediglich 12 Milliarden Franken.[1] Bei den Dienstleistungen ist das Verhältnis umgekehrt: Im Jahr 2019 hat die Schweiz Dienstleistungen im Wert von rund 30 Milliarden Franken aus den USA eingeführt und Dienstleistungen im Wert von 21 Milliarden Franken dorthin exportiert.

USA: Potenzial und Risiken

Für die Schweiz bietet der aufstrebende Handel mit den USA bedeutende Chancen. Zum einen eröffnen grosse staatliche US-Infrastrukturvorhaben Branchen wie Baustoffen, Rollmaterial, Umwelttechnologie, Telekommunikation oder Elektromobilität neue Absatz- und Investitionsmöglichkeiten.

Andererseits reflektieren wirtschaftspolitische Entwicklungen in den USA auch den zunehmenden globalen Systemwettbewerb insbesondere mit China. Dieser birgt für die Schweiz als offene Volkswirtschaft auch Risiken. Zudem ist die weitere konjunkturelle Entwicklung angesichts steigender Inflation und sinkenden Wachstums ungewiss.

Mit Kanada in die Zukunft

Der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz auf dem amerikanischen Doppelkontinent ist Kanada. Mit knapp 6 Milliarden Franken (2020) liegt das Handelsvolumen jedoch deutlich hinter den USA (rund 90 Milliarden Franken). Bei den Direktinvestitionen nimmt die Schweiz in Kanada den fünften Rang ein: Knapp 35’000 kanadische Arbeitsplätze basieren direkt oder indirekt darauf.

Sowohl Kanada als auch die Schweiz versuchen sich im Cleantech-Bereich zu positionieren – einem Sektor, der in den nächsten Jahren stark zulegen dürfte. So lancierten die beiden Länder im März 2022 den ersten Cleantech-Innovationsgipfel. Zwischen ihnen besteht zudem seit 2009 ein Freihandelsabkommen im Rahmen der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta).

Ein riesiger Markt

Hinter Brasilien liegt Mexiko an vierter Stelle der Schweiz im transatlantischen Handel. Auch hier gehören Schweizer Unternehmen zu den wichtigsten Investoren. Insgesamt beschäftigen sie in Mexiko über 40’000 Personen.

Dies mag auf den ersten Blick erstaunen. Einen wichtigen Teil der Erklärung liefert die nordamerikanische Freihandelszone (USMCA) – das Nachfolgeabkommen des Nafta. Die drei Mitglieder USA, Kanada und Mexiko bilden einen riesigen Markt, der sich über Jahrzehnte integriert hat. Im Jahr 2020 wiesen die drei Länder zusammen ein reales Bruttoinlandprodukt (BIP) von rund 24 Billionen Dollar auf. Das ist deutlich mehr als jenes der Europäischen Union oder Chinas (je rund 15 Billionen Dollar).

Zahlreiche Industriebetriebe haben aus diesem Grund Fabriken in Mexiko gebaut, meist nahe der US-Grenze. Diese Produktionsstätten haben wiederum zahlreiche Zulieferer angezogen und sind so zu einem bedeutenden Exportfaktor geworden.

Um die Rahmenbedingungen für den Handel weiter zu verbessern, strebt die Schweiz eine Modernisierung des Freihandelsabkommens der Efta mit Mexiko an. Zudem will die Schweiz das bilaterale Investitionsschutzabkommen (ISA) modernisieren.

Brasilien an der Spitze

Werfen wir nun einen Blick nach Südamerika – in eine Region, die sich in den vergangenen Jahrzehnten wirtschaftlich schneller als der weltweite Durchschnitt entwickelt hat. Mit einem BIP von 1,4 Billionen Dollar ist Brasilien die bedeutendste Volkswirtschaft in Südamerika, gefolgt von Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru.

Nach Brasilien exportierte die Schweiz im Jahr 2020 Waren im Wert von über 2 Milliarden Dollar. Mit Direktinvestitionen von mehr als 10 Milliarden Franken schufen Schweizer Unternehmen zudem über 60’000 Arbeitsplätze im Land.

Trotz deutlicher wirtschaftlicher Rückschläge infolge der Corona-Pandemie und jüngst einer hohen Inflation weisen die meisten südamerikanischen Staaten weiterhin ein solides Wachstumspotenzial auf. Weltweit steigende Rohstoffpreise sowie eine potenzielle Verlagerung von Investitionen aus anderen Weltregionen – beispielsweise aus Russland – könnten zusätzlichen Schub verleihen. Gleichzeitig bleibt die teils grosse Abhängigkeit von Rohstoffexporten eine Herausforderung.

Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay bilden zusammen den regionalen Handelsverbund Mercosur («Markt des Südens») – den viertgrössten Handelsraum der Welt, der drei Viertel des südamerikanischen BIP auf sich vereinigt. Im August 2019 gelang es den Efta-Staaten, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur in der Substanz abzuschliessen. Es hat neben der Liberalisierung des Handels unter anderem die Förderung der nachhaltigen Entwicklung zum Ziel.

In Südamerika verfügt die Schweiz bereits über Freihandelsabkommen mit Kolumbien, Peru, Ecuador und Chile. Darüber hinaus sind mit den mittelamerikanischen Ländern Costa Rica, Guatemala, Honduras und Panama entsprechende Abkommen in Kraft. Kolumbien und Peru sind überdies Schwerpunktländer der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). Ein weiterer Schwerpunkt der Schweiz bildet das Engagement in regionalen Organisationen wie beispielsweise der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) oder der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).

China gewinnt an Bedeutung

Im Gegensatz zu Nordamerika, wo mit dem USMCA ein riesiger Binnenmarkt besteht, ist die wirtschaftliche Integration in Lateinamerika bislang trotz verschiedener Initiativen und Abkommen – wie dem Mercosur – insgesamt eher gering. Strukturelle Hindernisse für die Entwicklung grenzüberschreitender Wertschöpfungs- und Produktionsketten bestehen weiterhin.

Viele lateinamerikanische Staaten richten ihren Handel zudem zusehends nach Asien aus. Diese Tendenz lässt sich insbesondere in den Pazifikanrainerstaaten Ecuador, Kolumbien, Peru und Chile beobachten. Die beiden Letzteren sind zudem wie auch Mexiko seit 2018 über das transpazifische Abkommen CPTPP mit Japan, Malaysia, Singapur, Brunei und Vietnam sowie Australien, Neuseeland und Kanada verbunden.

Mittlerweile exportieren die südamerikanischen Staaten mehr Güter nach China als in die USA. Gleichzeitig steigt die Präsenz chinesischer Unternehmen: Sowohl als Quelle für Einfuhren als auch als Zielland für Ausfuhren ist China seit den 1990er-Jahren von einer fast unbedeutenden Position zum wichtigsten Handelspartner der Region aufgestiegen.

Die Schweiz bleibt präsent

In seiner aktualisierten Aussenwirtschaftsstrategie betont der Bundesrat, wie wichtig der Zugang zu geografisch diversifizierten Märkten für die offene Schweizer Volkswirtschaft ist.[2] Gleichzeitig konzentriert sich die Schweiz auf die wichtigsten Wirtschaftspartner. Die USA gehören zweifellos in diese Kategorie.

Entsprechend prüft die Schweiz laufend, wie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter verbessert werden können. Ebenso sucht sie die Zusammenarbeit mit den beiden anderen Mitgliedern des bedeutenden nordamerikanischen Marktes in erfolgversprechenden Bereichen und arbeitet auf eine Modernisierung bestehender Freihandelsabkommen hin.

Es ist ungewiss, welche Effekte etwa die weiterhin präsente Covid-Pandemie, der Ukraine-Krieg mit seinen weltwirtschaftlichen Verwerfungen sowie die zunehmende Präsenz Chinas vor dem Hintergrund des globalen Systemwettbewerbs auf die südamerikanischen Märkte und Gesellschaften haben werden. Die Schweiz will dazu beitragen, dass die Region ihr wirtschaftliches Potenzial auch angesichts dieser Unsicherheiten nachhaltig entfalten kann.

  1. Ohne Wertsachen und Transithandel. []
  2. Bundesrat (2021): Strategie zur Aussenwirtschaftspolitik, S. 33. []

Zitiervorschlag: Hervé Lohr, Philippe Lionnet (2022). Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz: Von den Nordwestterritorien bis Feuerland. Die Volkswirtschaft, 31. Mai.