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Rückläufige F&E in der Schweiz: Ein Paradox?

Die Schweiz steht in Innovationsrankings oft zuoberst. Gleichzeitig betreiben immer weniger Unternehmen selbst Forschung und Entwicklung. Wie geht das zusammen?

Rückläufige F&E in der Schweiz: Ein Paradox?

Forschungshalle von Syngenta in Stein AG. (Bild: Keystone)

Die Schweiz ist bei Innovationen weltweit führend: Zu diesem Schluss kommen mehrere internationale Rankings zu Forschung und Innovation, die unterschiedliche Methoden und Indikatoren betreffend Infrastrukturen, Arbeitskräftequalifikationen und Output einbeziehen (siehe Tabelle).

Gleichzeitig zeigt jedoch eine Analyse der Konjunkturforschungsstelle (KOF) für die Schweiz: Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) steigen zwar insgesamt, doch die Zahl der in diesem Bereich tätigen Unternehmen sinkt.[1] Sprich: Die Innovationen konzentrieren sich auf immer weniger Unternehmen. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, denn die F&E-Ausgaben gelten als wesentlicher Indikator für Innovation. Dank F&E-Ausgaben erlangt ein Unternehmen – nach herkömmlicher Ansicht – für Innovationen unerlässliches Know-how und kann externes Fachwissen für sich nutzen. Ein Rückgang der Forschung und Entwicklung würde demnach bedeuten, dass immer mehr Schweizer Unternehmen aus dem Innovationskreislauf ausgeschlossen werden.

Vier Innovationsrankings: Was messen sie?

Zu viele Kriterien?

Wie lässt sich also erklären, dass die Schweiz bei der Innovation weltweit führend ist, obwohl die Zahl der Unternehmen, die in unserem Land für Innovationen sorgen können, zurückgeht? Zunächst ist festzuhalten: Die internationalen Rankings enthalten – nebst der Innovation – eine ganze Reihe von anderen Kriterien wie beispielsweise das Humankapital, wissenschaftliche Publikationen oder die Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Entsprechend werden in der Gesamtnote eines Landes die Innovationskriterien (im engeren Sinne) schwächer gewichtet. Durch den Einbezug unzähliger Kriterien entsteht ein schwammiges Bild, das die wesentlichen Informationen verdeckt. Länder mit glänzenden Ergebnissen in der einen oder der anderen Kategorie belegen letztendlich einen eher mittelmässigen Platz in Bezug auf Innovation.

Nun einfach die ausgezeichneten Resultate der Schweiz in den internationalen Rankings zu ignorieren – nur, weil es sich um multidimensionale, nicht ausschliesslich auf Innovation ausgerichtete Messungen handelt –, wäre aber nicht zielführend. Denn ein leistungsfähiges Hochschulsystem und eine qualitativ hochstehende wissenschaftliche Infrastruktur sind der Innovation unbestrittenermassen sehr zuträglich.

Das scheinbare Paradox zwischen Spitzenranking und einer rückläufigen Zahl an F&E-Abteilungen lässt sich nur erklären, wenn man sich mit den Gründen für den Rückgang der Innovationstätigkeit in den Unternehmen befasst und sich fragt, wo denn Innovation eigentlich stattfindet. Eine 2020 veröffentlichte Studie[2] zeigt, dass sich das Innovationssystem der USA in den vergangenen 30 Jahren verändert hat: Innovation findet heute öfter in Universitäten, in staatlichen Labors und in Start-ups statt – und weniger oft in traditionellen Unternehmen. Für die USA hat somit der F&E-Unternehmensindikator an Aussagekraft verloren.

Ausgelagerte F&E

Dies trifft wohl auch auf die Schweiz zu. Eine rückläufige Zahl an Unternehmen, die Forschung und Entwicklung betreiben, bedeutet nicht automatisch, dass auch die Innovation zurückgeht. Denn hier kommen mindestens zwei weitere Faktoren ins Spiel: Erstens gehen zahlreiche innovative Unternehmen Partnerschaften mit externen Forschungsinstitutionen ein, um sich selbst auf die Konzipierung und die Entwicklung von Produkten zu konzentrieren. Das gilt insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit weniger als 200 Mitarbeitenden: Viele KMU sind von den Anforderungen bezüglich Kosten, Risiko und Unsicherheit, die beim Betrieb und beim Management einer internen F&E-Abteilung anfallen, überfordert.

Eine entscheidende Rolle spielt daher der Wissenstransfer von Organisationen – wie etwa den Forschungs- und Kompetenzzentren CSEM und Inspire (MEM-Industrie), der Forschungsanstalt Empa oder ganz allgemein den Hochschulen – zu den KMU. Dank solcher Transfers können die Unternehmen auch ohne eigene F&E-Abteilung weiterhin innovativ tätig sein. Jüngere Untersuchungen zeigen, dass diese Zusammenarbeit in der Schweiz vielfach schon ausgezeichnet funktioniert.[3]

Zweitens stammen bahnbrechende Neuerungen in einigen Branchen gar nicht aus den F&E-Abteilungen der Firmen. Dies gilt vor allem für den Banken- und Finanzsektor, wo Innovationen beeindruckend schnell stattfinden, obwohl dieser Sektor bei den F&E-Ausgaben gegenüber anderen Branchen stark zurückliegt: In der Finanzbranche beträgt das Verhältnis F&E-Ausgaben/Verkauf weniger als 0,1 Prozent. Zum Vergleich: In der Industrie sind es 4 Prozent.[4] Der Grund ist: Obwohl Financial Engineering und Data-Science bei Innovationen in der Finanzbranche eine entscheidende Rolle spielen, werden sie bei den F&E-Aktivitäten nicht berücksichtigt.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Quellen der Innovation verschieben sich demnach von firmeninterner zu firmenexterner Forschung und Entwicklung – oder zu anderen Formen der Wissensproduktion. Auch wenn es noch verfrüht ist, von einer «Substitution» früherer (auf interner Forschung und Enwicklung basierender) Innovationsformen durch neuere (auf F&E-Partnerschaften oder anderen Formen der Wissensproduktion aufbauende) Formen zu sprechen, gilt als erwiesen: Das Ausmass der internen Forschung und Entwicklung bildet die Innovationstätigkeit eines Landes weniger genau ab als früher. Der Rückgang innerhalb der Unternehmen bedeutet daher nicht zwangsläufig, dass Innovationen seltener werden. Es scheint vielmehr, dass Innovationen durch eine rasante Zunahme anderer Mechanismen in der Forschung und Wissensproduktion kompensiert werden.

  1. Siehe Wörter und Spescha (2020); derselbe Trend ist in Deutschland zu beobachten, siehe Rammer und Schubert (2016). []
  2. Siehe Arora et al. (2020). []
  3. Siehe Foray und Wörter (2020). []
  4. Siehe Jones (2022). []

Literaturverzeichnis
  • Arora A. Belenzon S., Patacconi A. und Suh J. (2020). The Changing Structure of American Innovation: Some Cautionary Remarks for Economic Growth. Innovation Policy and the Economy. Bd. 20.
  • Foray D. und Wörter M. (2020). The Formation of Coasean Institutions to Provide University Knowledge for Innovation: a Case Study and Econometric Evidence for Switzerland, in: The Journal of Technology Transfer, 46(5).
  • Jones B. (2022). Where Innovation Happens, and Where It Does Not, in: Andrew, Chatterji, Lerner and Stern (Hg.), The Role of Innovation and Entrepreneurship in Economic Growth, NBER, The University of Chicago Press.
  • Rammer C. und Schubert T. (2016). Concentration on the Few? R&D and Innovation in German Firms – 2001 to 2013. Discussion paper n°16–005, ZEW, Mannheim.
  • Wörter M. und Spescha A. (2020). Starker Trend zur Konzentration von Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Die Volkswirtschaft, 6/2020.

Bibliographie
  • Arora A. Belenzon S., Patacconi A. und Suh J. (2020). The Changing Structure of American Innovation: Some Cautionary Remarks for Economic Growth. Innovation Policy and the Economy. Bd. 20.
  • Foray D. und Wörter M. (2020). The Formation of Coasean Institutions to Provide University Knowledge for Innovation: a Case Study and Econometric Evidence for Switzerland, in: The Journal of Technology Transfer, 46(5).
  • Jones B. (2022). Where Innovation Happens, and Where It Does Not, in: Andrew, Chatterji, Lerner and Stern (Hg.), The Role of Innovation and Entrepreneurship in Economic Growth, NBER, The University of Chicago Press.
  • Rammer C. und Schubert T. (2016). Concentration on the Few? R&D and Innovation in German Firms – 2001 to 2013. Discussion paper n°16–005, ZEW, Mannheim.
  • Wörter M. und Spescha A. (2020). Starker Trend zur Konzentration von Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Die Volkswirtschaft, 6/2020.

Zitiervorschlag: Dominique Foray (2022). Rückläufige F&E in der Schweiz: Ein Paradox. Die Volkswirtschaft, 13. Juni.