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Welche Regulierungen begünstigen Innovation?

Erst mal ausprobieren, dann vielleicht regulieren: In Sandboxen und Pilotprojekten lassen sich Regulierungen testen.
Regulatorische Testumgebungen könnten Innovationen fördern. Ein ETH-Wissenschaftler testet eine autonome Drohne in Zürich. (Bild: Keystone)

Starre Regulierungen können Innovationen hemmen und Start-ups sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) den Markteintritt erschweren. Daher stellt sich die Frage: Wie gestaltet man innovationsfreundliche Regulierungen? Und wie kann man veraltete Regelwerke an neue technologische Entwicklungen anpassen?

Ein Ansatz, der international im Trend liegt, sind regulatorische Testumgebungen – sogenannte Regulatory Sandboxes (Sandboxen), wobei der Begriff nicht einheitlich verwendet wird. Erstmals wurden Sandboxen 2016 in Grossbritannien eingesetzt. Seither haben sie sich in verschiedenen Ausprägungen international verbreitet. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ermutigt ihre Mitgliedsstaaten, flexible Regulierungsansätze auszuloten.[1]

Regulatorische Testumgebungen stossen auch in der Schweiz auf ein stark wachsendes Interesse – etwa als mögliches Instrument, um die regulatorischen Rahmenbedingungen von Start-ups zu verbessern. Im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) hat eine Studie deshalb die Anwendungsvoraussetzungen und konkrete Einsatzgebiete von Sandboxen und Pilotprojekten in der Schweiz geprüft.[2] Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse festgehalten.

Aufgrund deren vielfältiger Erscheinungsformen bietet es sich an, Testumgebungen grob in zwei Kategorien zu teilen: Pilotprojekte und Sandboxen (im engeren Sinne). Pilotprojekte dienen dazu, neue Technologien oder Prozesse zeitlich beschränkt in einer realen Umgebung zu testen. Dabei wird bewusst von einer bestehenden Regulierung abgewichen. Die Erkenntnisse zeigen auf, inwieweit Regulierungsziele und -mandat noch zeitgemäss sind oder einer Revision bedürften.

Mit Sandboxen will man ein besseres Verständnis über die Wirkung von Regulierungen gewinnen – dazu setzt man spezifische Rechtsnormen für bestimmte Unternehmen temporär ausser Kraft. So können Unternehmen Verfahren, Produkte und Dienstleistungen entwickeln.[3]

Ein Beispiel eines Pilotprojekts ist der lokale Strommarkt im sankt-gallischen Walenstadt, wo für ein Jahr Solarstrom mittels Blockchain-Technologie gehandelt wurde. Das Projekt war darauf ausgelegt, Erkenntnisse zu technologischen Fragen wie auch zum Kundenverhalten zu generieren. Ein Beispiel einer Sandbox gibt es faktisch im Pharmabereich: Arzneimittel können in der Schweiz im Rahmen der Therapiefreiheit von Ärzten und Ärztinnen zur Behandlung von Krankheiten verschrieben werden, für die das Arzneimittel nicht zugelassen ist (sogenannter Off-Label-Use).

Politökonomische Bedenken

Ein Nachteil von Pilotprojekten und Sandboxen ist, dass Behörden bei der Auswahl von förderwürdigen Projekten und Geschäftsmodellen eine aktive Rolle übertragen wird: Anstelle des Marktes wählen die Behörden das in ihren Augen beste Projekt. Infolge des engen Austauschs mit Unternehmen besteht darüber hinaus auch die Gefahr, dass Behörden durch die jeweiligen Branchen vereinnahmt werden.

Solche politökonomischen Bedenken lassen sich abmildern, indem bei Pilotprojekten geprüft wird, ob der anvisierte Nutzen auch mit einfacheren Mitteln erzielbar ist – sei es durch Evaluationsklauseln, Regulierungserfahrungen im Ausland, Literatur oder Forschung. Wichtig ist, dass zwischen Behörden, Unternehmen, Universitäten und Investoren ein Ideenaustausch über Technologietrends und branchenspezifische Erkenntnisse stattfindet. Man spricht in diesem Kontext auch von «Innovationshubs».

Ein weiterer Nachteil von Pilotprojekten und Sandboxen ist die limitierte Teilnehmerzahl. Dieser Exklusivitätscharakter führt zu Marktverzerrungen und Rechtsunsicherheit.[4] Auch diese Bedenken können abgemildert werden, indem die Ziele klar und messbar definiert werden und der Instrumenteneinsatz gestoppt wird, sobald die Ziele erreicht sind.

In der Fintech-Aufsicht werden in der Schweiz auch der Abbau von Regulierungskosten sowie der Einsatz von risikobasierter Regulierung als «Sandboxen» bezeichnet. Da risikobasierte Regulierung zeitlich unbefristet ist, weicht dieses Instrument allerdings von der hier verwendeten Sandbox-Definition ab: Ihr Teilnehmerkreis ist offen und an transparente Kriterien geknüpft. Dadurch ist keine Beurteilung des Geschäftsmodells durch die Behörden nötig. Für Start-ups mit relativ niedrigen Risiken sind die Regulierungsfixkosten entsprechend niedriger, was ihnen ermöglicht, neue Geschäftsmodelle rasch auf den Markt zu bringen.

Foodtech, Mobilität, Energie und Gesundheit

Welche Branchen eignen sich besonders für den Einsatz von Pilotprojekten, Sandboxen und risikobasierter Regulierung? Die im Rahmen der Studie durchgeführten Expertengespräche zeigen, dass sich Pilotprojekte in der Schweiz beispielsweise gut für den Foodtech-Bereich eignen. Foodtech umfasst die gesamte Wertschöpfung vom Anbau von Lebensmitteln über Transport, Nachverfolgung, Lagerung, Verkauf und Konsum. Denn das Schweizer Foodtech-Ökosystem ist sehr vital: Sogenannte Novel-Food-Unternehmen schaffen zum Beispiel Fleisch aus pflanzlich hergestellten Proteinen oder aus tierischen Zellen. Die heutigen regulatorischen Bestimmungen hemmen jedoch die Innovation dieser Branche. Mithilfe von Pilotprojekten oder Innovationshubs liesse sich besser evaluieren, welche Möglichkeiten bestehen, Zulassungsverfahren für den Einsatz nachhaltiger Technologien und Produkte zu vereinfachen und damit zu beschleunigen.

Ebenfalls für Pilotprojekte regulatorisch geeignet ist die Mobilitätsbranche. So besteht etwa für komplexe Drohnenflüge oder autonome Fahrzeuge (inklusive Busse im öffentlichen Verkehr) gesetzlich genügend Flexibilität. Die Schweiz gilt weltweit führend in der Entwicklung von Drohnentechnologien.[5]

Infrage für Pilotprojekte kommt auch die Energiewirtschaft. Deren Umbau bewirkt, dass Innovationen auf allen Ebenen (Wirtschaft, Technik und Politik) stattfinden. Um Innovationen voranzubringen, wären hier zudem Marktöffnungs- und Governance-Themen zu adressieren.

Auch der Gesundheitsbereich weist grosses Potenzial für Pilotprojekte auf. Derzeit wird hier Innovation etwa bei der integrierten Versorgung behindert: Die Sozialversicherungen vergüten nicht Wirkung (Outputs), sondern Medikamente und Therapien (Inputs). Mit Blick auf eine Qualitätsverbesserung könnten im Rahmen des «KVG-Experimentierartikels» unterschiedlichen Behandlungsqualitäten unterschiedliche Taxpunktwerte zugeordnet oder im Spitalbereich die «DRG-Vergütung» in Abhängigkeit der Qualität variiert werden.

KI und Fintech

Sandboxen wiederum eignen sich besonders gut im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI), wo dem Schutz persönlicher Daten oberste Priorität zukommt. Mit einer Sandbox kann beispielsweise abgeklärt werden, ob künstlich erzeugte Daten in spezifischen Sachgebieten ausreichend geeignet sind, reale Daten nachzubilden. Der Kanton Zürich hat kürzlich ein entsprechendes KI-Projekt lanciert.

Im Fintech-Bereich wird in der Schweiz schliesslich, wie erwähnt, erfolgreich die risikobasierte Regulierung zur Erleichterung des Markteintritts für Unternehmen angewendet. Ein Beispiel ist etwa der «Innovationsraum», bei dem mit einer risikobasierten Regulierung Unternehmen mit weniger als 1 Million Franken Publikumseinlagen von der Bewilligungspflicht befreit werden. Dieser Ansatz könnte in Form eines modular an den Geschäftsmodellen orientierten Lizenzierungssystems weiterentwickelt werden.

  1. OECD (2021). []
  2. Schneider et al. (2022). Der vorliegende Beitrag gibt ausschliesslich die Meinung der Autoren wieder. []
  3. Philipsen et al. (2021): 1132. []
  4. Ranchordas (2021). []
  5. Drone Industry Insights UG (2021). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Yves Schneider, Patrick Zenhäusern, Peter Hettich, Roger Küttel (2022). Welche Regulierungen begünstigen Innovation. Die Volkswirtschaft, 23. Juni.