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Payment-Footprint — Zahlungsdaten als Solvenzsignal

Banken kennen den Zahlungsverkehr ihrer Kunden. Diesen Informationsvorteil könnten sie nutzen, um zuverlässige Kreditnehmer zu identifizieren.
Viele KMU haben heute Mühe, eine Finanzierung zu erhalten, weil Banken ihre Kreditwürdigkeit kaum einschätzen können. (Bild: Keystone)

Ohne effizientes Zahlungssystem ist eine komplexe Wirtschaft nicht denkbar. Egal ob Sie in der Migros ein Joghurt kaufen oder einen neuen Firmenwagen: Jeder wirtschaftlichen Transaktion steht eine Übertragung von Geld in die andere Richtung gegenüber. Die Summe dieser Zahlungsbewegungen eines Menschen oder Unternehmens nennen wir den «Payment-Footprint» — den Fussabdruck des Zahlungsverkehrs. Er stellt ein annähernd perfektes Abbild aller Markttransaktionen dar und enthält aus diesem Grund eine grosse Menge an granularer Information. Neue Forschung an der Universität Basel untersucht, ob Kreditinstitute diese Informationen für die Beurteilung der Bonität ihrer Firmenkunden nutzen können.

Kreditrisiko besser bewerten

Banken können den grössten Teil des Zahlungsverkehrs ihrer Kunden sehen. Die einzige Ausnahme sind Zahlungen mit Bargeld. Doch Barzahlungen sind immer seltener und werden zunehmend durch elektronische Zahlungen mittels Debit- oder Kreditkarten im Laden oder durch E-Banking ersetzt. Banken verfügen deshalb über ein zunehmend genaues Abbild der wirtschaftlichen Aktivitäten ihrer Kunden.

Dieses Wissen ist wertvoll. Denn bevor eine Bank einem Kunden einen Kredit gewährt, will sie beurteilen, wie gross dessen Ausfallwahrscheinlichkeit ist. Hier gewährt der Payment-Footprint wichtige Hinweise: Beispielsweise gibt er Einblicke, wie das kreditnehmende Unternehmen im Vergleich zu seinen Mitbewerbern in der gleichen Branche und in der gleichen Gegend abschneidet. Zudem kann man auch einseitige Abhängigkeiten von einzelnen Kunden (Klumpenrisiken) erkennen.

In einer kürzlich durchgeführten Big-Data-Studie[1] konnten wir von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel zeigen, dass maschinelle Lernalgorithmen (ML) die Ausfallwahrscheinlichkeit von Kreditnehmern ziemlich präzise schätzen können. Um die Nützlichkeit der Zahlungsverkehrsdaten zu untersuchen, entwickeln wir in unserer Studie ein Kreditrisikomass, das ausschliesslich auf dem Zahlungsverkehr basiert. Traditionelle Informationen wie den Kreditbüro-Score lassen wir bewusst weg. Es zeigt sich, dass unser auf dem Payment-Footprint basierendes Kreditrisikomass einen künftigen Zahlungsausfall besser signalisiert als der Kreditbüro-Score (siehe Kasten).

In der Praxis bereits verbreitet

Unsere Studie basiert auf einem grossen Datensatz eines Zahlungsdienstleistungsanbieters in Indien. Der Wert des Payment-Footprints ist allerdings auch in fortgeschrittenen Volkswirtschaften etabliert. So haben Moody’s sowie die Wirtschaftsauskunftei Crif in Grossbritannien zahlungsbasierte Echtzeitanalysen für KMU entwickelt. In den USA hat Fico, der wichtigste Kreditauskunftsdienstleister, den «Ultrafico»-Score entwickelt; dabei wurde der klassische Kreditscore mit Zahlungsprofilen ergänzt. Und in Europa bietet das Fintech-Unternehmen Yolt Kreditgebern die Analyse von Zahlungsdaten an.

Alle diese Initiativen wurden durch die Einführung der Open-Banking-Politik möglich. Diese erlaubt es Dritten, mit Zustimmung der Kunden auf Transaktionsdaten von Banken zuzugreifen. Der Payment-Footprint gepaart mit dem Open-Banking-System könnte weitreichende Auswirkungen auf das Kreditwesen haben. Doch dazu später mehr.

Bank geht auf Kreditnehmer zu

Bei kleineren Unternehmen, die bis anhin noch keine Finanzierung von einer Bank erhalten haben, fehlen herkömmliche Daten wie die Kredithistorie oder Ratings. Ihr Payment-Footprint ist dann besonders nützlich und kann der Bank helfen, ihre Qualität schnell und kostengünstig zu beurteilen.

Laut einer Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco)[2] kann ein Drittel aller KMU nicht abschätzen, welches Rating sie von ihrer Bank erhalten würden. Viele KMU sind entmutigt, sich um Finanzierung von ihrer Bank zu bemühen, weil sie den Prozess als schwerfällig empfinden und befürchten, die Anforderungen bezüglich Sicherheiten nicht erfüllen zu können. Diese sind oft sehr hoch und darauf zurückzuführen, dass die Bank Schwierigkeiten hat, die Solidität der einzelnen KMU mit vertretbarem Aufwand genügend präzise zu ermitteln.

Die Seco-Studie konstatiert denn auch, dass ein Drittel der entmutigten KMU, basierend auf ihren Unternehmensmerkmalen, einen Kredit hätte erhalten können, hätten die Banken diese Unternehmenscharakteristiken gekannt. Die Nutzung des Payment-Footprints könnte solche solvente, aber entmutigte KMU ausfindig machen. Dabei würden die Rollen vertauscht: Anstatt dass KMU sich bei ihrer Hausbank um einen Kredit bemühen, könnte die Bank den Zahlungsverkehr ihrer Kunden maschinell auswerten und dann gezielt auf geeignete Kunden zugehen.

Solvenzbeurteilung in Echtzeit

Zahlungsdaten können aber nicht nur zur Akquisition von neuen Kreditnehmern genutzt werden. Selbst bei gut dokumentierten Kreditnehmern können sie die Risikobewertung verbessern. Bei solchen Kreditnehmern stützen die Banken ihre Risikobewertung in der Regel auf Informationen wie Finanzberichte, Prüfungsberichte und Steuererklärungen, die nur sporadisch aktualisiert werden.

Der grosse Vorteil des Zahlungsverkehrs ist, dass die Bank detaillierte Informationen in Echtzeit erhalten kann. Sie kann damit zeitnah erkennen, wenn sich die Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers verschlechtert. Klumpenrisiken, Umsatzeinbrüche oder Veränderungen der Zahlungsmoral zeigen sich in Echtzeit.

Open Banking schafft Vorteile

Das alles klingt äusserst vielversprechend für die Banken. Doch die Datenanalyse hat auch Grenzen. Ein Hindernis für die Bank ist etwa, dass sie nicht den gesamten Zahlungsverkehr des Kreditnehmers beobachten kann, beispielsweise wenn der Kreditnehmer weitere Bankverbindungen hat. Dies kann die Aussagekraft des beobachteten Teils des Zahlungsverkehrs einschränken. Die Verbreitung von neuen, reinen Digitalbanken – sogenannten Neo-Banken wie Revolut oder Neon, die im Zahlungsverkehr zunehmend eine Konkurrenz darstellen – kann dieses Problem noch verschärfen.

Das oben angesprochene Open Banking kann Banken helfen, das Problem der unvollständigen Übersicht, die durch die Nutzung von mehreren Konten entsteht, zu überwinden. Beim Open Banking handelt es sich um ein System, bei dem Banken und andere befugte Institute mit Zustimmung der Kunden auf Zahlungsdaten bei anderen Finanzinstituten zugreifen können. Obwohl Banken durch dieses System ihre Monopolmacht über die Zahlungsdaten verlieren, glauben wir, dass es den Banken gleichzeitig auch die Möglichkeit gibt, das Potenzial des Payment-Footprints zu nutzen.

Durch die Konsolidierung von Informationen über die anderen Bankkonten eines Kunden können Banken mit Open Banking nämlich einen vollständigeren Payment-Footprint erhalten. Durch die Nutzung von Open Banking hätten die Banken auch einen komparativen Vorteil gegenüber den neuen Fintech-Anbietern. Eine Bank hat einen sogenannten First-Mover-Vorteil. Denn sie verfügt bereits über eine grosse Menge an Zahlungsdaten, die ihr helfen, ihre Machine-Learning-Modelle besser zu trainieren.

Banken geniessen höheres Vertrauen

Da die gemeinsame Nutzung von Daten im Rahmen des Open-Banking-Systems mit der Zustimmung der Kunden erfolgt, spielt Vertrauen eine wichtige Rolle. Ein weiterer komparativer Vorteil ist daher, dass Banken ein hohes Mass an Vertrauen bei den Kunden geniessen, wenn es um den Umgang mit ihren Zahlungsdaten geht. Studien[3] haben wiederholt gezeigt, dass dieses Vertrauen gegenüber traditionellen Banken deutlich höher ist als gegenüber Fintechs und Bigtechs. Die vorherrschende und wohl auch berechtigte Meinung in der Bevölkerung ist, dass traditionelle Banken sorgfältiger mit Kundendaten umgehen als Fintech-Start-ups oder Giganten wie Facebook.

Banken haben im Wettlauf um die produktive Nutzung des Payment-Footprints also einen Vorsprung. Diejenigen Banken, die agil sind und die technologische Herausforderung annehmen, können diesen Vorsprung in eine nachhaltige Ertragsquelle umwandeln.

  1. Siehe Rishabh (2022). []
  2. Dietrich et. al. (2017). []
  3. Armantier et. al. (2021) und Chen et. al. (2021). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Yvan Lengwiler, Kumar Rishabh (2022). Payment-Footprint — Zahlungsdaten als Solvenzsignal. Die Volkswirtschaft, 11. Juli.

Studie vergleicht Kreditrating-Methoden

Eine Studie der Universität Basel hat den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Zahlungs- und Kreditvergabeaktivitäten von Finanzintermediären untersucht. Dazu wurde ein zahlungsbasiertes Kreditscore-Modell entwickelt, welches granulare Zahlungsdaten verwendet, um mittels maschinellen Lernens (ML) Algorithmen zu trainieren (Rishabh, 2022). Die Zahlungsinformationen für das Modell stammen aus über 99 Millionen anonymisierten Transaktionen, die von einem indischen Zahlungs-Fintech stammen. Dieses Fintech-Unternehmen nutzt das Zahlungsverhalten seiner Kunden für die Kreditentscheidung.

Der zahlungsbasierte Risikoscore wird anhand von 150 Variablen erstellt, die auf den detaillierten Zahlungsdaten basieren und ein umfassendes Bild des Kreditnehmers vermitteln. Wir untersuchten, wie gut ein zahlungsbasierter Risikoscore Kreditausfälle vorhersagt und ob er eine bessere Vorhersagekraft hat als der traditionelle Bureau Credit Score, der auf herkömmlichen Daten (Kreditgeschichte, gemeldete Zahlungsausfälle, Betreibungen) basiert.

Unsere Analyse zeigt: Risikobewertungen mittels Zahlungsverkehrsdaten schneiden bei der Vorhersage von Kreditausfällen wesentlich besser ab als die Kreditbüro-Scores. Wir stellen ausserdem fest, dass das Zahlungsverhalten des Kreditnehmers nach der Auszahlung des Kredits den Kreditgeber bereits 28 Tage nach der Auszahlung des Kredits vor einem drohenden Zahlungsausfall warnt.