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Thinktank der Österreichischen Nationalbank

Thinktank der Österreichischen Nationalbank

«Für Ökonominnen gilt das Gleiche wie für Piloten: Man muss auch durch ein Gewitter fliegen können.» (Bild: Alamy)

Meine berufliche Laufbahn hat mich in verschiedene Felder der Volkswirtschaft geführt, bevor ich im Herbst 2021 in die Österreichische Nationalbank (OeNB) kam. Besonders prägend waren zehn Jahre in der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, die mir die Bedeutung von funktionierenden Institutionen in Afrika bewusst machten. Zu Beginn der Finanzkrise 2008 wechselte ich in den privaten Bankensektor und begleitete die Schuldenkrise im Euroraum und später die Annexion von Teilen der Ukraine durch Russland 2014 als Länderrisikoanalystin. Solche Krisenerfahrungen sind sehr wertvoll, denn für Ökonominnen gilt das Gleiche wie für Piloten: Man muss auch durch ein Gewitter fliegen können.

Die Hauptabteilung für Volkswirtschaft der Österreichischen Nationalbank, die ich nun leite, ist der Thinktank innerhalb der Notenbank. Wir unterstützen mit Forschung und Beratung die geldpolitische Positionierung des OeNB-Gouverneurs, die Stimme Österreichs im geldpolitischen Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Wie alle Zentralbanken ist auch die Österreichische Nationalbank eine Institution mit hohem Prestige, deren Wirken aber in der Öffentlichkeit nicht immer hinreichend wahrgenommen wird.

In meiner Funktion widme ich mich sowohl dem Management als auch der strategischen Ausrichtung der Volkswirtschaft in der Notenbank. Ich habe unsere interne Organisationsstruktur moderner gestaltet, sodass das Team von rund 50 Ökonomen die aktuellen Herausforderungen flexibel bewältigen kann. Mein Tagesgeschäft besteht darin, die interne Arbeit in die richtigen Kanäle zu leiten – sei es den Gouverneur zu beraten oder am Monetary Policy Committee der EZB, dem Vorfeldkomitee des geldpolitischen Rates, teilzunehmen.

Das wirtschaftliche Wachstum in Österreich hängt stark von russischem Gas ab

Die zurzeit grösste Herausforderung ist die hohe Inflation der Eurozone, auf die die richtige geldpolitische Antwort zu finden ist. Durch den Krieg in der Ukraine wurde ein Angebotsschock auf den Energie- und Nahrungsmittelmärkten ausgelöst, der auf eine notwendig gewordene geldpolitische Normalisierung trifft. Die EZB war gerade im Begriff, von expansiver zu neutraler geldpolitischer Ausrichtung zu wechseln, und muss sich nun die Frage stellen, wie durch Energiepreise getriebene, hohe Inflationsraten effektiv bekämpft werden können, ohne die an sich gut fortschreitende wirtschaftliche Erholung von der Pandemie zu gefährden.

Auch andere Entwicklungen machen unsere Prognosearbeit spannend: Das wirtschaftliche Wachstum in Österreich hängt stark von russischem Gas ab. Werden die Ausstiegspläne rasch genug implementiert, kann das der Dekarbonisierung der Wirtschaft helfen – es kann aber auch zu Zielkonflikten mit der Energiestrategie kommen. Wie eine sich verschärfende Klimakrise auf Wachstum und Inflation wirkt, ist eine der vielen Zukunftsfragen, denen wir uns gerade intensiv widmen.

Zitiervorschlag: Birgit Niessner (2022). Thinktank der Österreichischen Nationalbank. Die Volkswirtschaft, 05. Juli.