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Ambulant vor Stationär: Mehr als eine Kostenfrage

Ambulante Eingriffe, wo medizinisch sinnvoll, haben Vorteile für Betroffene: schnellere Genesung bei sich zu Hause und weniger spitalassoziierte Infektionen. Dabei wird auch das Gesundheitswesen entlastet.
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Ambulantes Gesundheitszentrum des Universitätsspitals Zürich am Flughafen in Kloten. (Bild: Keystone)

Sich operieren lassen und am selben Tag wieder nach Hause gehen? Viele sogenannt einfache und planbare Eingriffe lassen sich heute gut ambulant durchführen. Seit Januar 2019 gilt in der Krankenpflege- und Leistungsverordnung (KLV) die Regelung «Ambulant vor Stationär» (AvS) (siehe Kasten). Diese Regelung dient in erster Linie den Patienten. Denn die betroffenen Menschen erholen sich zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung in der Regel schneller. Dies, da sie sich dort mehr bewegen und selbstständiger sind – beides Faktoren, die sich positiv auf die körperliche und mentale Gesundheit auswirken und den Heilungsprozess fördern können. Gleichzeitig wird das Risiko gesenkt, im Spital erworbene Komplikationen zu erleiden. So sinkt etwa allein schon durch eine verkürzte Aufenthalts- und damit Kontaktzeit das Risiko einer Ansteckung mit Spitalkeimen.

Ambulante Behandlungen werden zunehmend auch durch den stetigen Fortschritt in der Medizin erleichtert. Denn moderne schonende Operations- und Anästhesietechniken belasten die operierte Person weniger und verkürzen so die Heilungszeit weiter. Dabei braucht es im ganzen Prozess eine gute Anleitung der Patienten und ein gutes Betreuungsnetz für die Tage nach der Operation.

Je nach Gesundheitszustand der Patienten ist manchmal trotzdem eine stationäre Durchführung angezeigt. Am Ende entscheidet die Ärztin oder der Arzt, ob eine ambulante Durchführung für die betroffene Person sinnvoll möglich ist. Insbesondere Patienten mit Zusatzerkrankungen, die das Risiko für Komplikationen auch bei kleinen Eingriffen erhöhen, werden wohl auch in Zukunft eine stationäre Behandlung und Überwachung benötigen.[1]

Ambulante Behandlungen entlasten das Gesundheitswesen

Heute wird in der Schweiz allerdings noch zu viel stationär operiert.[2] Das ist historisch so gewachsen und wird auch durch verschiedene Fehlanreize beeinflusst. Einfache Eingriffe werden in Akutspitälern mit teurer Infrastruktur durchgeführt, die im Normalfall dafür gar nicht nötig wäre. Das verursacht unnötige Kosten. Patienten, die am gleichen Tag heimgehen können, benötigen kein Spitalbett und keine 24-Stunden-Überwachung. Sie sind auch selbstständiger als (schwer) kranke Menschen, brauchen weniger Unterstützung und insgesamt eine weniger komplexe Betreuung.

Es ist daher wichtig, dass in den Schweizer Spitälern die Strukturen und Prozesse von ambulanten und stationären Behandlungen entflochten und optimiert werden können. So haben sich etwa in den letzten Jahren zunehmend Zentren für ambulantes Operieren entwickelt: Ihre Operationssäle und -einrichtungen sind einfacher und daher günstiger. Die Prozesse (Eintritt, Umkleiden, Beobachtung nach dem Eingriff, Anweisungen für zu Hause, Entlassung, keine Betreuung in der Nacht usw.) werden auf diese spezifische Patientengruppe und ihre Bedürfnisse abgestimmt und vereinfacht. Diese Entwicklung muss nun weitergehen.

Auch wirtschaftlich sinnvoll

Ein Beispiel: Für eine ambulante Kniegelenkspiegelung werden durchschnittlich rund 2200 Franken verrechnet. Stationär werden für denselben Eingriff rund 7400 bis 10’200 Franken in Rechnung gestellt. Ähnlich ist es bei einer Reihe gynäkologischer Eingriffe, bei denen gemäss KLV-Regelung prinzipiell nur noch die ambulante Durchführung vergütet wird. Hier liegen die Tarife für eine ambulante Durchführung zwischen 900 und 1900 Franken. Werden dieselben Eingriffe stationär durchgeführt, können zwischen 6000 und 7600 Franken verrechnet werden.[3] Diese grossen Unterschiede bei der Vergütung zeigen, weshalb sich ambulante Eingriffe in einer stationären Struktur für den Leistungserbringer nicht oder kaum auszahlen. Diese Fehlanreize verleiten dazu, einfache Eingriffe stationär durchzuführen – ohne Zusatznutzen für die Patienten.

Allerdings: Die Verlagerung von stationären zu ambulanten Behandlungen hat auch Auswirkungen auf die Kostenträger. Bei der ambulanten Behandlung übernehmen die Krankenversicherer nämlich 100 Prozent der Vergütung, bei der stationären Behandlung sind es nur 45 Prozent, und die Kantone übernehmen die restlichen 55 Prozent. Die Kantone sparen somit, wenn ambulant operiert wird. Bei den Krankenversicherern (und damit den Prämienzahlern) kommt es dank dem grossen Unterschied zwischen dem ambulanten und dem stationären Tarif zu einem neutralen Ergebnis. Das bedeutet: Unter dem Strich erhöht die KLV-Regelung zu AvS die Krankenversicherungsprämien nicht. Dies wurde im Monitoring des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zur Auswirkung dieser Regelung und auch vom Verband der Krankenversicherer Curafutura in seinem 2021 veröffentlichten eigenen Monitoring bestätigt.[4]

Effizienzsteigerung durch Zusammenarbeit

Das BAG hatte das Lausanner Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung (Idheap) beauftragt, die Auswirkungen der KLV-Regelung zu AvS zu evaluieren. Der kürzlich veröffentlichte Evaluationsbericht[5] zeigt klar auf, dass diese Regelung die Verlagerung hin zu ambulantem Operieren wirksam unterstützt, bei gleichbleibenden Kosten für die Versicherer. Die Evaluation kommt aber auch zum Schluss, dass noch Verbesserungen nötig sind. Einerseits betonen die Autoren die Wichtigkeit, Prozesse und Strukturen von ambulantem und stationärem Operieren zu entflechten. Die Leistungserbringer sollen mit Unterstützung der Kantone diese begonnene Entwicklung konsequent weiterführen.

Andererseits haben zahlreiche Kantone für ihre Bürger weiter gehende Listen mit 16 bis 18 Gruppen von ambulanten Eingriffen eingeführt.[6] Die Evaluation zeigt auf, dass die unterschiedlichen Listen schweizweit zu Effizienzverlusten, insbesondere bei der Kommunikation zwischen Leistungserbringern und Krankenversicherern, führen. Daher empfehlen die Studienautoren, die bestehenden Listen in der KLV und in den Kantonen zu einer gemeinsamen Liste zusammenzuführen. Zudem macht der Evaluationsbericht deutlich, dass alle beteiligten Akteure zu einer Verbesserung der Situation beitragen müssen.

Der Bund ist nun daran, zusammen mit den Kantonen eine Lösung zu diskutieren, wie eine einheitliche Liste eingeführt werden könnte. Bei einer allfälligen Erweiterung der bestehenden KLV-Liste wird er, wie schon bisher, darauf achten, dass die Kosten für die Prämienzahler nicht ansteigen. Der Bund ist sich bewusst, dass auch Fehlanreize im System bestehen, die das ambulante Operieren bisher gebremst haben. Deren Behebung, wie etwa die einheitliche Finanzierung von stationären und ambulanten Leistungen durch die Kantone und Versicherer, kann die Ambulantisierung weiter fördern. Die damit verbundenen Kosteneinsparungen kämen dann vermehrt auch den Prämienzahlenden zugute.

  1. Siehe IAAS (2006) und IAAS (2014). []
  2. Siehe Obsan (2018). []
  3. Siehe Obsan (2022), Datentabellen. []
  4. Siehe Obsan (2022) sowie Curafutura (2021). []
  5. Siehe Bundi et al. (2022). []
  6. Siehe Übersicht GDK «Ambulant vor Stationär». []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Otto, Stefan; Zglinski, Dorota A. (2022). Ambulant vor Stationär: Mehr als eine Kostenfrage. Die Volkswirtschaft, 29. August.

Regelung zu Ambulant vor Stationär
Seit dem 1. Januar 2019 werden gemäss Krankenpflege- und Leistungsverordnung (KLV) sechs Gruppen von operativen Eingriffen nur noch bei ambulanter Durchführung von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) vergütet, ausser es liegen besondere Umstände vor die eine stationäre Durchführung erfordern. Betroffen sind ausgewählte Eingriffe aus folgenden Eingriffsgruppen:
  • Krampfaderoperationen der Beine
  • Eingriffe an Hämorrhoiden
  • Einseitige Leistenhernienoperationen
  • Untersuchungen/Eingriffe am Gebärmutterhals oder an der Gebärmutter
  • Kniespiegelungen inkl. Eingriffe am Meniskus
  • Eingriffe an den Mandeln
Die besonderen Umstände, die eine stationäre Durchführung rechtfertigen können, sind in der Regel Begleiterkrankungen, die das Risiko von Komplikationen bei Operationen erhöhen können. Das können beispielsweise schwere Erkrankungen der Lunge oder am Herzen sein.