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Die Standortfrage beschäftigt das produzierende Gewerbe

Schweizer Unternehmen bekennen sich grundsätzlich zur inländischen Produktion. Denn diese trägt nicht zuletzt auch zu stabilen globalen Produktionsnetzwerken bei. Doch insbesondere KMU kämpfen mit den hohen inländischen Kosten und dem Zugang zu Fachkräften.
Der Fachkräftemangel wird insbesondere für KMU zur Herausforderung. Ein Arbeiter in der Metallindustrie. (Bild: Keystone)

Oft wird vergessen: Die Schweiz ist nicht nur ein Land der Banken, Versicherungen und sonstigen Dienstleistungen. Hierzulande wird in der verarbeitenden Industrie auch viel «Handfestes» produziert. Volkswirtschaftlich wird unter diesem Wirtschaftszweig die «gewerbliche mechanische, physikalische oder chemische Umwandlung von Stoffen oder Teilen in Waren» verstanden (siehe Abbildung 1). Im Gegensatz zu anderen Kategorien der Industrie, wie etwa dem Bergbau oder dem Bauwesen, sind «das Ergebnis des Herstellungsverfahrens entweder Fertigwaren für den Gebrauch oder Verbrauch und Halbwaren zur weiteren Be- oder Verarbeitung».[1]

Abb. 1: Branchenzugehörigkeit der Unternehmen beim Swiss Manufacturing Survey 2022

Anmerkung: Dargestellt ist die prozentuale Branchenzugehörigkeit nach NOGA-Kategorie der Unternehmen beim Swiss Manufacturing Survey 2022. In der Studie wurden alle Branchen der Schweizer Fertigungsindustrie kontaktiert. Aufgrund der freiwilligen Teilnahme an der Studie kann die finale Stichprobe die Schweizer Fertigungsindustrie jedoch nur teilweise abbilden.
Quelle: Friedli et al. (2022).

 

Betrachtet man die Pro-Kopf-Wertschöpfung in der verarbeitenden Industrie, ist die Schweiz sogar weltweit führend.[2] Aber auch national leistet sie gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS) einen relevanten Beitrag zum Bruttoinlandprodukt (BIP): Im Jahr 2021 trug die verarbeitende Industrie 20,7 Prozent zum BIP bei und damit mehr als der «Handel». Das entspricht einer Wertschöpfung von 38,8 Mrd. Franken.[3]

Eine Studie des Bundesamtes für Statistik zeigt zudem, dass nahezu jeder zehnte Arbeitnehmende in der Schweiz in einem produzierenden KMU tätig ist.[4] Solche KMU haben somit eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung, zumal dies mehr Arbeitnehmende sind als in allen produzierenden Grossunternehmen zusammen.

Über 300 Unternehmen befragt

Was sind die Stärken und Schwächen des verarbeitenden Gewerbes? Und welche Chancen und Herausforderungen treibt es in Zukunft um? Antworten darauf liefert die neueste Umfrage des Swiss Manufacturing Survey der Universität St. Gallen und der ETH Zürich (siehe Kasten), anlässlich welcher über 300 Unternehmen befragt wurden.

Die diesjährige sechste Auflage des Swiss Manufacturing Survey ist eine besondere. War dieser alljährliche Bericht über die verarbeitende Industrie in der Schweiz die beiden letzten Jahre noch massiv durch die Ungewissheit der Corona-Pandemie geprägt, lassen sich 2022 erstmals wieder langfristige Aussagen machen. Doch ganz frei von disruptiven Ereignissen ist auch 2022 nicht: Der Schweizer Franken ist so stark wie nie zuvor, und der Ukraine-Krieg dauert noch immer an – auch wenn nur wenige Unternehmen mit eigenen Produktionsstandorten oder Lieferanten in Russland oder der Ukraine direkt davon betroffen sind.

KMU stehen vor Herausforderungen

Das Ziel der diesjährigen Studie war es, konstante Erfolgsfaktoren für die hiesigen Produktionsunternehmen zu identifizieren und deren Bedeutung für die aktuelle volatile Zeit zu interpretieren. In der Umfrage wurden die Unternehmen zu ihren Standortentscheidungen, der Innovationsfähigkeit, ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit sowie den Stärken des Schweizer Werkplatzes befragt.

Die Auswertung der letzten sechs Jahre zeigt: Unverändert hoch bewerten die befragten Firmen die qualitativ hochwertigen und innovativen Produkte sowie die Zuverlässigkeit und Flexibilität der hiesigen Unternehmen. Als wesentlichen Beitrag zum Erfolg nennen die Befragten neben den politischen Rahmenbedingungen in der Schweiz insbesondere die ausreichende Verfügbarkeit an qualifizierten Arbeitskräften.

Allerdings: Die Arbeitnehmenden erweisen sich laut Studie auch als Herausforderung. Denn nach den hohen Mitarbeiterkosten ist das zweitgrösste Hindernis für Schweizer Unternehmen die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften in Produktion, Forschung und Entwicklung. Das zeigt, dass die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften immer relevanter wird und insbesondere für produzierende KMU eine Herausforderung darstellt. Denn nur 19 Prozent dieser Unternehmen schätzen sich selber als attraktiven Arbeitgeber ein (siehe Abbildung 2).

Abb. 2: Attraktivität der Unternehmen in der verarbeitenden Industrie für Arbeitnehmende gemäss Selbsteinschätzung (2021)

Anmerkung: Dargestellt ist die Eigeneinschätzung der befragten Unternehmen hinsichtlich ihrer Attraktivität für Arbeitnehmende in der Schweiz.
Quelle: Friedli et al. (2022).

Ausbau der Produktion im Inland

Gleichzeitig erwarten Schweizer Unternehmen, dass qualifizierte Mitarbeiter in den nächsten Jahren zentral sein werden, um die Produktionskapazitäten im Inland auszubauen. Dieser Ausbau ist ein erklärtes Ziel von 67 Prozent der Befragten. Knapp die Hälfte der Befragten will auch im europäischen Ausland wachsen, ein Drittel in Amerika und lediglich 11 Prozent in Asien. Afrika und Ozeanien sind auch in Zukunft keine relevanten Märkte für Schweizer Industrieunternehmen.

Denn trotz wesentlicher Herausforderungen wie den hohen Lohnkosten und der starken Schweizer Währung hat die Schweiz mit ihren hoch qualifizierten Arbeitskräften und einem stabilen Umfeld zentrale Standortvorteile, die das Land auch für die Produktion international attraktiv machen. Die Diskussion über einfachere und robustere Lieferketten während der Corona-Krise dürfte zu einem zusätzlichen Ausbau der Fertigungskapazitäten im Inland führen.

Verlagerung ins Ausland als Option

Um die Kapazitäten im In- und Ausland erhöhen zu können, ist es für KMU jedoch ebenso wichtig, ihre Fertigungskosten zu reduzieren. Im Vergleich zu grossen Unternehmen sehen KMU hier ein bedeutendes Potenzial, ihre Effizienz zu erhöhen und nationale Kostennachteile abzubauen.

Eine Möglichkeit, diese Kosten zu senken, sind aber für KMU weiterhin auch Standortverlagerungen ins Ausland. Dadurch erhoffen sich die KMU zudem immer häufiger, den Zugang zu Fachkräften verbessern zu können.

Grossunternehmen im verarbeitenden Gewerbe nennen diese Option hingegen kaum. Dies kann durchaus damit zusammenhängen, dass grosse produzierende Unternehmen einen Imagevorteil gegenüber KMU haben (siehe Abbildung 2). Für bekannte Konzerne dürfte es somit auch leichter sein, im umkämpften Schweizer Arbeitsmarkt Fachkräfte zu gewinnen. Für kleinere Unternehmen wird es hingegen auch künftig im Inland nicht einfacher werden. Insbesondere, da auch in Zukunft gut ausgebildetes Personal ein zentraler Erfolgsfaktor der Schweizer Produktion sein wird.

Unternehmen sind optimistisch

Nach einem herausfordernden Jahr 2021 schauen die Schweizer Unternehmen wieder positiver auf ihre Wirtschaftszahlen und ihre Zukunftspläne. Insgesamt wird bis 2025 ein deutlicher Anstieg der Kundenaufträge und Neuanstellungen im In- und Ausland erwartet. Sowohl grosse Unternehmen als auch KMU haben aus der Krise gelernt und diverse Massnahmen implementiert, um für zukünftige Herausforderungen gewappnet zu sein. Kurzfristig setzen die meisten Unternehmen vor allem auf erhöhte Lagerbestände. Viele investieren aber auch in die Diversifikation von Lieferanten und weitere strategische Ansätze wie etwa die zunehmende Eigenproduktion von Vorleistungen, Nahverlagerungen aus Übersee an europäische Standorte oder die Intensivierung ihrer Lieferantenbeziehungen.

Auch die gesamthafte Entwicklung der verarbeitenden Industrie überzeugt: Seit 1991 wächst die Wertschöpfung des produzierenden Gewerbes ohne signifikante negative Ausreisser jährlich um durchschnittlich 2,4 Prozent und somit um 0,8 Prozentpunkte mehr als das Schweizer BIP. Auch im von Covid geprägten Jahr 2020 lag die Branche mit –3,1 Prozent nicht wesentlich unter dem BIP. Besonders positiv fällt hingegen das letzte Wirtschaftsjahr aus: Während im Jahr 2021 das Schweizer BIP um 3,7 Prozent stieg, nahm das verarbeitende Gewerbe um ganze 11,2 Prozent zu.[5] Im ersten Quartal 2022 war weiterhin eine überdurchschnittliche, wenn auch abgeschwächte Entwicklung zu erkennen.[6]

Die Ergebnisse aus sechs Jahren Swiss Manufacturing Survey untermauern diese guten Zukunftsperspektiven der Branche. Der Standort Schweiz ist mit seinen Erfolgsfaktoren Qualität, Innovation, Flexibilität und Zuverlässigkeit international kaum wegzudenken. Besonders mit Blick auf volatilere Zeiten ist davon auszugehen, dass die Bedeutung des Standorts auch künftig weiter wachsen wird und einen Gegentrend zu den jahrzehntelangen Verlagerungen in Niedriglohnländer einläutet.

  1. BFS (2008). []
  2. Ferdows, K. (2021). []
  3. Seco (2022 a). []
  4. BFS (2019). []
  5. Seco (2022 b). []
  6. Seco (2022 a). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Thomas Friedli, Fabian Specht, Jessica Helbling (2022). Die Standortfrage beschäftigt das produzierende Gewerbe. Die Volkswirtschaft, 25. August.

Die Studie im Detail
Der Swiss Manufacturing Survey wird seit 2017 jährlich vom Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen und vom Lehrstuhl für Produktions- und Operationsmanagement der ETH Zürich durchgeführt. Zwischen April und Juni 2022 haben 308 Unternehmen mit insgesamt über 1100 Produktionsstandorten und aus 20 verschiedenen Branchen des verarbeitenden Gewerbes – vom Lebensmittelhersteller bis zum Maschinenbauer – dazu beigetragen. 70 Prozent der Teilnehmenden waren kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit weniger als 250 Mitarbeitenden.
Die Resultate des Surveys werden auch an der St. Galler Produktionsmanagement-Tagung vom 18. und 19. Oktober 2022 ein Thema sein. Dieser Anlass wird unter dem Titel «Robustheit, Resilienz und Reaktionsfähigkeit: Schlüssel zur Sicherung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit» stattfinden.