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Freihandelsabkommen und Nachhaltigkeit: Suche nach mehr Evidenz

Mögliche Nachhaltigkeitseffekte künftiger Freihandelsabkommen abzuschätzen, ist herausfordernd. Dennoch will der Bundesrat für wichtige Abkommen umfassende Nachhaltigkeitsanalysen durchführen lassen – erstmals für ein Abkommen mit Thailand.

Freihandelsabkommen und Nachhaltigkeit: Suche nach mehr Evidenz

Welche Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit hätte ein künftiges Freihandelsabkommen mit Thailand? Austernfischer in der Provinz Chanthaburi. (Bild: Keystone)

Der Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung im Kontext von Freihandelsabkommen (FHA) gewinnt immer mehr an Bedeutung und rückt zunehmend in den politischen Fokus. Insbesondere die Durchführung von Nachhaltigkeitsanalysen im Vorfeld von FHA-Abschlüssen – sogenannte Ex-ante-Nachhaltigkeitsanalysen – hat in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen. Vor diesem Hintergrund hat ein parlamentarischer Vorstoss der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates[1] den Bundesrat beauftragt, künftig vor dem Abschluss von FHA die Durchführung von umfassenden Nachhaltigkeitsstudien zu prüfen und die methodischen Möglichkeiten aufzuzeigen.

Schwierige Prognosen

Mittels Ex-ante-Nachhaltigkeitsanalysen sollen potenzielle Auswirkungen von geplanten oder sich in Aushandlung befindenden FHA auf die nachhaltige Entwicklung untersucht werden. Doch ist dies für jedes Abkommen und alle drei Nachhaltigkeitsbereiche (soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit) möglich? Oder gibt es bestimmte Grenzen, die zu berücksichtigen sind?

In erster Linie sind messbare Nachhaltigkeitseffekte in einem bestimmten Bereich durch ein FHA nur dann möglich, wenn das FHA zu einer signifikanten Veränderung der Handelsströme sowie der Handelskosten in diesem Bereich führen kann. Des Weiteren müssen potenzielle kausale Effekte durch eine Nachhaltigkeitsanalyse zuverlässig ermittelt werden können. Hier gibt es, wie so oft, eine Diskrepanz zwischen dem, was wissenschaftlich möglich ist, und dem, was gesellschaftlich sowie politisch gewünscht wird. In der Regel ist die Schätzung von quantifizierbaren Grössen, welche in erster Linie die ökonomische und teilweise die ökologische Nachhaltigkeit betreffen, mit vergleichsweise wenig methodologischen Schwierigkeiten verbunden. Schwieriger wird es jedoch bei sozialen Auswirkungen.

Kaum Umweltauswirkungen bei Mercosur

Aufgrund dieser Schwierigkeiten hat sich der Bundesrat bis anhin vor allem auf Umweltverträglichkeitsstudien beschränkt und jeweils von Fall zu Fall geprüft, ob eine solche Studie im Zusammenhang mit künftigen FHA zweckmässig ist. So ist es auch im Aktionsplan Grüne Wirtschaft festgehalten. Vor diesem Hintergrund hat die Schweiz für das Mercosur-Abkommen, welches in der Substanz bereits ausgehandelt ist, eine Umweltverträglichkeitsstudie in Auftrag gegeben. Die Studie kommt zum Schluss, dass die Umweltauswirkungen insgesamt gering ausfallen, und zwar insbesondere deshalb, weil das FHA kaum etwas an bestehenden Handelsflüssen mit umweltintensiven Produkten ändert und keine solchen entstehen lässt.

Diese Analyse im Umweltbereich ist durchaus interessant und aufschlussreich. Primärer Grund dafür ist, dass man für die analysierten Umweltbereiche quantitative Methoden nutzen konnte, die zu relativ zuverlässigen Ergebnissen führten. Doch sollten darüber hinaus die möglichen Auswirkungen auf weitere Aspekte der nachhaltigen Entwicklung, insbesondere im sozialen Bereich, analysiert werden?

Genau dieser Punkt war Gegenstand eines parlamentarischen Vorstosses der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates[2]. Dieser beauftragt den Bundesrat, künftig vor jedem Abschluss eines FHA die Durchführung von breiteren Nachhaltigkeitsstudien zu prüfen und die methodischen Möglichkeiten aufzuzeigen.

Suche nach dem kausalen Effekt

Der Bundesrat hat deshalb bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Studie zu verfügbaren Methoden für Ex-ante-Nachhaltigkeitsanalysen in Auftrag gegeben. Die Studie hebt hervor, dass in umfassenden Nachhaltigkeitsanalysen grundsätzlich quantitative, qualitative sowie hybride Methoden (Kombination aus quantitativen und qualitativen Methoden) vereint werden. So lässt sich der kausale Effekt von FHA auf verschiedene Nachhaltigkeitsgrössen bestmöglich schätzen. Die OECD-Studie zeigt zudem Voraussetzungen und Möglichkeiten, aber auch Grenzen auf, die mit den unterschiedlichen Methoden verbunden sind.

Sie unterstreicht, dass insbesondere in den quantifizierbaren Bereichen relativ gute und etablierte Methoden existieren, die für Ex-ante-Nachhaltigkeitsanalysen herangezogen werden können. Die Schätzung potenzieller Auswirkungen eines FHA auf andere Nachhaltigkeitsgrössen wie beispielsweise die biologische Vielfalt oder die Erfassung struktureller Arbeitsmarkteffekte ist hingegen herausfordernder. Hierzu eignen sich eher qualitative oder hybride Methoden.

Besonders schwierig ist die Schätzung des potenziellen Effektes auf Menschenrechtsfragen. In der Studie wird zwar aufgezeigt, wie die Veränderung entsprechender Grössen im Laufe der Zeit untersucht werden kann, die Schätzung des kausalen Effektes eines FHA auf diese Grössen ist jedoch äusserst schwierig und je nach Grösse und Wirtschaftsstruktur der Abkommenspartner nahezu unmöglich.

Besonderheiten der Schweiz

Des Weiteren thematisiert die OECD-Studie spezifische Faktoren und Herausforderungen, die für mittelgrosse und offene Volkswirtschaften wie die Schweiz besonders relevant sind.

Es ist zu beachten, dass die durch ein FHA der Schweiz beeinflussten Handelsströme weit weniger ausgeprägt sind als bei FHA zwischen grösseren Ländern oder Ländergruppen. Darüber hinaus ist der Liberalisierungsgrad der Schweiz global betrachtet bereits hoch, sodass nur noch marginale Handelsschritte mit entsprechend kleinen Auswirkungen möglich sind.

Hinzu kommt, dass Produkte, die aus Sicht der nachhaltigen Entwicklung am sensibelsten sind, oftmals Produkte aus der Rohstoffindustrie sind. FHA ändern jedoch kaum etwas an den Handelsbedingungen für diese Produkte, da diese bereits weitgehend liberalisiert sind. Alle diese Punkte bekräftigen, dass der Abschluss eines künftigen FHA der Schweiz mutmasslich relativ geringe Auswirkungen auf die Handelsströme zwischen der Schweiz und dem jeweiligen Partnerland hat. Daraus folgt, dass auch die damit verbundenen Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung voraussichtlich relativ gering sind.

Von Fall zu Fall prüfen

Vor diesem Hintergrund wird die Schweiz die Beurteilung der Notwendigkeit für eine Ex-ante-Nachhaltigkeitsanalyse von Fall zu Fall auf Grundlage einer Voranalyse durchführen. Eine vertiefte Analyse ist insbesondere dann sinnvoll, wenn unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Entwicklung sensible Branchen oder Bereiche identifiziert werden, die von der durch ein FHA erwarteten Veränderung der Marktzugangsbedingungen signifikant betroffen sind. Dies ist so auch in der kürzlich revidierten bundesrätlichen Strategie zur Aussenwirtschaftspolitik festgehalten, vor allem um den komplexen Zusammenhängen und den methodologischen Einschränkungen solcher Studien gerecht zu werden.

Da die Schweiz die meisten ihrer FHA im Rahmen der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) verhandelt, werden nach Möglichkeit solche Studien gemeinsam mit den anderen Efta-Staaten durchgeführt. Durch die Analyse der potenziellen Auswirkungen eines FHA im Rahmen der Efta können die potenziellen Effekte umfassender erfasst werden, weil der analysierte Markt grösser ist. Dies führt zu repräsentativeren Resultaten, was die Auswirkungen eines bestimmten FHA betrifft. Konkret wurde bereits beschlossen, als ersten Anwendungsfall eine Ex-ante-Nachhaltigkeitsanalyse für ein künftiges Freihandelsabkommen mit Thailand durchführen zu lassen, da Thailand ein wichtiger Handelspartner der Efta ist und die Verhandlungen gerade erst wiederaufgenommen wurden.

  1. Postulat 19.3011[]
  2. Postulat 19.3011[]

Zitiervorschlag: Anja Siffert (2022). Freihandelsabkommen und Nachhaltigkeit: Suche nach mehr Evidenz. Die Volkswirtschaft, 18. August.