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Beendet die Zinswende den Immobilienboom?

Tiefe Hypothekarzinsen und fehlende Renditemöglichkeiten haben in den letzten Jahren zu einem Bauboom geführt und die Preise in die Höhe getrieben. Sind solche Anlagen mit der Zinswende der Nationalbank nun plötzlich unattraktiv geworden?
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Baugespann in Zumikon ZH: Der Bau neuer Wohnungen dürfte in Zukunft abnehmen. (Bild: Keystone)

Häuser mit einem guten Fundament sind ein Synonym für Beständigkeit und Sicherheit. Im Englischen gibt es sogar die Redensart «safe as houses», wenn man betonen will, dass etwas komplett sicher ist. Als sehr beständig hat sich auch die Preisentwicklung von Wohnrenditeimmobilien erwiesen. Denn seit mehr als 20 Jahren hat die Preiskurve nur in eine Richtung gezeigt: stetig nach oben.

Einwanderung befeuert Nachfrage

Zwei Gründe sind unter anderem dafür ausschlaggebend. Erstens: Vor allem in den urbanen Zentren war die Nachfrage nach Mietwohnungen tendenziell stärker als das Angebot. Denn seit der Mitte der Nullerjahre beeinflusst die Einführung der Personenfreizügigkeit mit den EU- und Efta-Staaten die Rate der Einwanderung in die Schweiz und sorgt dafür, dass die Bevölkerung stärker wächst als das Angebot an Wohnraum. In den Jahren nach der Einführung der Personenfreizügigkeit betrugen die Wachstumsraten der ausländischen Bevölkerung über 3 Prozent. Inzwischen hat sich die Zahl reduziert. 2020 lag das Wachstum der ausländischen Bevölkerung bei 1,5 Prozent.

Der zweite Grund liegt im Anlageverhalten der Investoren. Seit der Finanzkrise 2008 haben die Notenbanken ihre Geldschleusen weit geöffnet. 2015 beschloss die Schweizerische Nationalbank, den Zins auf den Guthaben von Girokonten oberhalb eines Freibetrages auf –0,75 Prozent zu senken. Im Sog dieser Minuszinsen sind auch die Zinsen der festverzinslichen Anlagen gesunken, die klassischerweise den institutionellen Investoren als konservatives Anlagevehikel dienten. Banken, Versicherungen, Pensionskassen und andere institutionelle Investoren mussten also nach alternativen Anlagegefässen mit überschaubarem Risiko Ausschau halten und wurden fündig bei Immobilienanlagen. Das Problem dabei: Der daraus entstandene Bauboom von Wohnrenditeimmobilien hat auch zu Übertreibungen geführt. So sind beispielswiese in eher ländlichen Kantonen wie Wallis, Solothurn oder Thurgau deutlich mehr Wohnungen entstanden, als nachgefragt wurden. Die Leerwohnungsziffer betrug dort im letzten Jahr jeweils mehr als 2 Prozent.

Zinswende trifft Eigenheimbesitzer

Vor rund einem Jahr hat sich die kommende geldpolitische Wende bereits langsam bemerkbar gemacht in Form von wachsender Inflation. Die inzwischen rekordhohen Teuerungsraten haben die Zentralbanken schliesslich zum Handeln gezwungen, obwohl sie letztes Jahr noch beteuerten, die Inflation sei nur ein temporäres Phänomen. Auch die Schweizerische Nationalbank hat den Zins Mitte Juni angehoben: von –0,75 auf noch –0,25 Prozent. Weitere Schritte sind zu erwarten, sollte die Inflation weiter ansteigen.

Wie wirkt sich diese Zinswende auf die Bautätigkeit aus? Kalt erwischt wurden sicherlich die Eigenheimbesitzer. Denn inzwischen sind die Zinssätze für Festhypotheken bereits gestiegen. Die Zinssätze für fünfjährige Hypotheken sind seit Anfang Jahr um 1,56 Prozentpunkte gestiegen, was mehr als einer Verdoppelung entspricht. Bei den zehnjährigen Hypotheken hat der Anstieg 1,75 Prozentpunkte betragen. Das heisst: Wer jetzt seine Hypothek ablöst, muss mit deutlich höheren Wohnkosten rechnen – auch abgesehen von den gestiegenen Heizkosten.

Bei Wohnrenditeliegenschaften sieht die Situation etwas anders aus. Denn grosse professionelle oder institutionelle Anleger sind meistens nicht auf einen Bankkredit angewiesen, um ihr Immobilienportfolio zu erweitern. Sie werden jetzt andere Überlegungen anstellen: Wie sinnvoll ist es zum Beispiel, teure Renditeobjekte an Toplagen mit Bruttorenditen von unter 2 Prozent zu kaufen, wenn sich mit der Vergabe von Hypotheken 2,5 Prozent oder mehr verdienen lässt? Im Endeffekt bedeutet das: Die Zeiten des viel beschworenen Anlagenotstandes sind vorbei. Aber wird dadurch auch der Neubau von Wohnrenditeimmobilien abnehmen? Jede dritte Mietwohnung gehört heute einem institutionellen Investor.

Immobilienanlagen nicht mehr das Nonplusultra

Aufgrund der Faktenlagen und des regelmässigen Austauschs mit Vertretern der Immobilienwirtschaft bin ich zu folgender Einschätzung gelangt: Ja, für eine gewisse Zeit wird der Bau von neuen Wohnungen – sei es durch Private oder institutionelle Anleger – vermutlich zurückgehen. Tatsächlich sind die Baugesuche für Wohnungsneubau gemäss dem Bauindex des Baumeisterverbandes auch bereits gesunken: Verglichen mit der Vorjahresperiode betrug der Rückgang in den vergangenen zwölf Monaten 6 Prozent. Doch diese Entwicklung könnte sich mit Verzögerung abspielen, denn der Baumarkt ist eher träge und braucht eine gewisse Zeit, um auf Veränderungen zu reagieren. Schliesslich müssen auch Projekte, die durch Corona in Verzögerung geraten sind, abgearbeitet werden.

Für diese Entwicklung sind zwei Hauptgründe verantwortlich. Erstens: Viele Investoren müssen nun ihre Portfoliostrategie überdenken – vor allem, wenn ihre Immobilienquote aufgrund der Verluste an den Aktien- und Obligationenmärkten gestiegen ist. Will heissen: Betongold wird nicht mehr automatisch das Nonplusultra bei Anlageentscheiden sein. Es werden also weniger Interessenten bei einem Wohnungsbauprojekt mitbieten. Zweitens: Mitverantwortlich sind aber auch die durch die Inflation und Lieferkettenschwierigkeiten gestiegenen Baukosten im Hochbau. Diese haben sich gemäss dem halbjährlichen Baupreisindex des Bundesamts für Statistik (BFS) im April 2022 verglichen mit dem Vorjahr um 8,1 Prozent erhöht. Hinzu kommen noch die verschiedenen energietechnischen Auflagen, die beim Neubau immer stärker als Kostenfaktor ins Gewicht fallen.

Nachfrage bleibt hoch

Dennoch: Die Nachfrage nach Wohnraum wird auch künftig auf einem konstant hohen Niveau verharren. Denn beim gegenwärtigen Fachkräftemangel werden zugewanderte Personen weiterhin eine neue Bleibe in der Schweiz suchen. Zudem werden kurzfristig auch geflüchtete Menschen aus der Ukraine Wohnraum nachfragen, sodass ein Teil der heute leer stehenden Wohnungen absorbiert wird. Und auch leer stehende Wohnungen in ländlichen Gebieten dürften tendenziell mehr Abnehmer finden. Denn Arbeitnehmer, die teils im Homeoffice und teils am Unternehmenssitz arbeiten, sind wieder bereit, längere Pendelzeiten auf sich zu nehmen.

Trotzdem sind viele Parameter noch unbekannt. Wird es zum Beispiel gelingen, die Inflation in den Griff zu kriegen, ohne die Wirtschaftsleistung durch zu viele Zinserhöhungen abzuwürgen? Gewisse Brancheninsider weisen auch auf eine mögliche Preiskorrektur bei Wohnrenditeimmobilien hin. Getrieben durch die Zinswende, wollen sich nämlich viele Manager von Immobilienportfolios von Objekten oder gar ganzen Portfolios trennen, was zwangsläufig zu einem Preisrückgang in diesem Segment führen wird.

Die Schweiz hat sich in den vergangenen Krisen als resilienter erwiesen, als es die pessimistischen Wirtschaftsauguren prognostizierten. Wagen wir also ein optimistisches Szenario: In einem solchen wird sich der Boom der Wohnrenditeliegenschaften abkühlen. Die gleichbleibende Nachfrage nach Wohnraum wird auf einen leichten Rückgang beim Angebot stossen, was ermöglichen wird, einen Teil der leer stehenden Wohnungen zu absorbieren. Diese konstante Nachfrage dürfte auch dafür sorgen, dass sich eine Preiskorrektur in einem noch gesunden Ausmass bewegen dürfte.

Zitiervorschlag: Scognamiglio, Donato (2022). Beendet die Zinswende den Immobilienboom? Die Volkswirtschaft, 13. September.