Die Wohnfläche pro Person nimmt in der Schweiz weiter zu – insbesondere in Wohnungen, die von ihren Eigentümern bewohnt werden. (Bild: Keystone)
Zwischen 1990 und 2021 stieg die Wohnungsfläche in der Schweiz um 54 Prozent, die Bevölkerung hingegen nur um 31 Prozent. Insbesondere beim Bauen, beim Unterhalt und beim Klimatisieren der erforderlichen Wohnobjekte ist der Ressourcenverbrauch (Rohstoffe und Energie) hoch. Vor diesem Hintergrund hat der Schweizerische Nationalfonds das Projekt «Nachhaltige Wirtschaft: ressourcenschonend, zukunftsfähig, innovativ»[1] lanciert. Es untersucht, welche Massnahmen Bewohnende, Eigentümerschaft und die Behörden umsetzen können, um den Ressourcenverbrauch in den Phasen Bau, Nutzung und Sanierung von Wohngebäuden zu senken. Das Projekt wird von den Eidgenössischen Technischen Hochschulen Lausanne (EPFL) und Zürich (ETHZ) durchgeführt und verbindet Methoden aus den Natur- und Sozialwissenschaften.
Charakteristich für das Projekt ist der Einbezug zweier Wohngenossenschaften – der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ) und der Société Coopérative d’Habitation Lausanne (SCHL) – sowie des Versicherers und Asset-Managers Die Mobiliar. Dabei wurden die insgesamt rund 11’000 Wohnungen der drei Partner einer gründlichen Prüfung unterzogen und Massnahmen entwickelt, mit denen der materielle Fussabdruck der Wohnobjekte gesenkt werden kann, ohne gleichzeitig den Energieverbrauch der Wohnungen zu erhöhen. Die enge Zusammenarbeit mit diesen grossen Immobilieneigentümern, die sich an der Entwicklung der Massnahmen beteiligten, garantiert die Akzeptanz und die Wirtschaftlichkeit der empfohlenen Massnahmen.
Agentenbasierte Modelle
In einem ersten Schritt haben die Studienautoren detailliert den Istzustand der Gebäudebestände sowie die Zahl der Mietpersonen erhoben. Gleichzeitig wurde aufgezeichnet, wie sich die Zahl der Wohnungen und Mietpersonen aller drei Kooperationspartner historisch entwickelt hat. Mithilfe eines Massen- und Energieflussmodells quantifiziert die Studie den Ressourcenbedarf und die ökologischen Auswirkungen. Ebenfalls erhoben wurden die Faktoren, die für einen Umzug und bei der Wohnungswahl entscheidend sind. Die Studie erfasste ausserdem die Ressourceneffizienz während der Bauphase und die Faktoren, die zu einem Umbau oder zum Rückbau und anschliessenden Wiederaufbau von Gebäuden führen.
Basierend auf diesen Daten, entwickelten die Autoren ein sogenanntes agentenbasiertes Modell, das die Entscheidungen der Mietpersonen mit jenen der Eigentümer verknüpft. Gleichzeitig wurden mittels dynamischer Modellierung für alle drei Immobilienbestände verschiedene Entwicklungs- und Ressourceneffizienzpfade simuliert.
Die Initialisierung der Modelle erfolgte auf der Grundlage des Immobilienbestands der Kooperationspartner. Die Gebäude der Mobiliar sind noch relativ neu: 68 Prozent der Wohnungen wurden nach dem Jahr 2000 gebaut. Bei den beiden Genossenschaften beträgt dieser Anteil nur 28 Prozent. Die durchschnittliche Wohnungsfläche ist im Laufe der Jahre stetig gestiegen und betrug im Jahr 2021 81,4 m2. Die beiden Wohngenossenschaften bieten durchschnittlich jedoch kleinere Wohnungen an als der Versicherer (Genossenschaften: 77,2 m2; Mobiliar: 87,9 m2). Eine bei den Mietparteien durchgeführte Umfrage ergab, dass die Genossenschaftswohnungen im Schnitt von jeweils 2,5 Personen bewohnt werden, bei der Mobiliar sind es 2,1 Personen.
Vier mögliche Szenarien
Mit den erhobenen Daten wurden vier Szenarien[2] ausgearbeitet. Sie zeigen, wie sich die durchschnittlichen Wohnungsflächen und die Wohnfläche pro Person bis 2050 je nach angewandter Massnahme entwickelt (siehe Abbildung).
Werden die beobachteten Trends und Verhaltensweisen auf das Jahr 2050 extrapoliert, dürfte die durchschnittliche Wohnungsfläche im Vergleich zu 2020 um 6,3 Prozent wachsen. Da die Personenzahl pro Haushalt weiterhin schrumpft, würde die Wohnfläche pro Bewohner gar um 11,1 Prozent steigen.
Gemäss einem ersten Szenario könnten die Eigentümerschaften eine verhältnismässig strenge Regel zur Belegungsdichte bei der Wohnungsvergabe anwenden: Ihr zufolge müsste die Zahl der Mietpersonen mindestens der Anzahl Zimmer entsprechen und dürfte die Anzahl Zimmer plus zwei nicht übersteigen. Dieser Grundsatz, der ausschliesslich zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Mietvertrags angewendet würde, erhöht die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner und reduziert den Anstieg der Wohnfläche pro Person auf 5,7 Prozent.
In einem zweiten Szenario wird die Kapazität der Eigentümerschaft, neue Wohnobjekte zu bauen, durch fünf geteilt. Das soll sie dazu zwingen, ihr bestehendes Immobilienportfolio zu verdichten. Diese Massnahme reduziert das Wachstum der durchschnittlichen Wohnungsfläche auf 2,9 Prozent.
Haushalte sensibilisieren
In einem dritten Szenario sollen verschiedene Massnahmen der Behörden oder der Eigentümerschaft die Haushalte für den ökologischen Fussabdruck von Wohngebäuden sensibilisieren. Die Idee dahinter ist, dass so immer mehr Haushalte nach Wohnungen suchen, die ihrer jeweiligen Personenzahl entsprechen, insbesondere durch den Umzug aus viel zu grossen Wohnungen in kleinere Objekte. Diese Massnahme wirkt sich nicht auf das Wohnangebot aus, bewirkt aber, dass sich der Anstieg der Wohnfläche pro Person auf 6,4 Prozent beschränkt.
Die besten Resultate werden allerdings erzielt, wenn man die Massnahmen aus dem ersten und dem zweiten Szenario miteinander kombiniert. So beschränkt man in einem vierten Szenario die Kapazität der Eigentümerschaft, neue Wohnhäuser zu bauen, und verschärft die Regeln zur Belegungsdichte. In diesem Fall steigt die durchschnittliche Wohnungsfläche nur um 2,8 Prozent, während die Wohnfläche pro Person um 3,4 Prozent wächst. Der Trend zu grösseren Wohnungsflächen setzt sich dadurch zwar weiter fort. Verglichen mit der aktuellen Hochrechnung für das Jahr 2050, verringert sich die Wohnfläche pro Person im vierten Szenario allerdings um 7 Prozent.
Durchschnittliche Wohnungsfläche und Wohnfläche pro Person: 4 Szenarien für das Jahr 2050
Anmerkung: Die Simulationen beziehen sich auf den Immobilienbestand der Wohngenossenschaften ABZ Zürich und SCHL Lausanne sowie der Mobiliar. Die Daten bilden die durchschnittlichen Flächen der drei Eigentümerschaften ab.
Quelle: Agriantoni (2022) / Die Volkswirtschaft
Trendwende nicht in Sicht
Die Wohnungsflächen der drei analysierten Immobilienbestände sind seit dem Jahr 2000 um 10 Prozent gewachsen. Somit sind sie schneller angestiegen als die Zahl der Mietpersonen. Dieser Trend scheint sich vorerst nicht zu verlangsamen. Führen die drei Eigentümerschaften ihre Investitionspraxis fort wie bisher, rechnen wir bis ins Jahr 2050 mit einem Anstieg der Wohnfläche pro Person von 11 Prozent. Beschränkungen der Bautätigkeit, verhältnismässig strikte Vorschriften bei der Vergabe von Wohnobjekten und mehr Umweltbewusstsein seitens der Mietparteien könnten dieses Wachstum, das den ökologischen Fussabdruck des Wohnens direkt beeinflusst, auf 3 Prozent beschränken.
Die vorgeschlagenen Massnahmen werden aber nicht ausreichen, um eine Trendwende zu bewirken: Die Wohnfläche pro Person wird im Jahr 2050 dennoch relativ hoch liegen (43,1 m2 gegenüber 38,8 m2 im Jahr 2021). Dieser Trend ist in anderen Segmenten des Wohnungsmarktes noch ausgeprägter, insbesondere bei Einfamilienhäusern und Wohnungen, die von ihren Eigentümern selber bewohnt werden. Wenn die Gebäude gleichzeitig nur unzureichend energetisch saniert werden, ist nicht von der Hand zu weisen, dass sehr viel ehrgeizigere Massnahmen nötig sein werden, um den ökologischen Fussabdruck des Wohnens zu verkleinern.
- Siehe Website des Projekts «Ökologischer Fussabdruck im Wohnungswesen» auf Nfp73.ch. []
- Siehe Agriantoni (2022). []
Literaturverzeichnis
- Agriantoni M. (2022). Towards Sufficiency in Housing: Agent-based Model and Transition Scenarios, Dissertation EPFL Nr. 9208, Lausanne.
- Website des Projekts «Ökologischer Fussabdruck im Wohnungswesen» [zuletzt besucht am 12.08.2022].
Bibliographie
- Agriantoni M. (2022). Towards Sufficiency in Housing: Agent-based Model and Transition Scenarios, Dissertation EPFL Nr. 9208, Lausanne.
- Website des Projekts «Ökologischer Fussabdruck im Wohnungswesen» [zuletzt besucht am 12.08.2022].
Zitiervorschlag: Agriantoni, Margarita; Thalmann, Philippe (2022). Ökologischen Fussabdruck im Wohnungswesen reduzieren. Die Volkswirtschaft, 13. September.