Suche

Abo

ÖV subventionieren oder Benzin besteuern?

Eine höhere CO2-Steuer hat die Bevölkerung an der Urne abgelehnt. Wären Subventionen in den ÖV und in erneuerbare Energien valable Alternativen zur abgelehnten Steuererhöhung? Aus theoretischer Sicht ist die Antwort nein.
Weniger Autos, mehr ÖV: Ob allerdings unter dem Strich ein Gewinn fürs Klima resultiert, ist bei einer Subventionierung des ÖV unklar. (Bild: Keystone)

Bei kaum einem Thema ist der Unterschied zwischen Sonntagspredigten und dem politischen Alltag augenfälliger als in der Klimapolitik. Selbstverständlich wollen alle das Klima retten, doch wenn es konkret wird, dann bröckelt die Eintracht.

Im Jahr 2015 hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, bis 2030 ihren jährlichen CO2-Ausstoss auf die Hälfte des Niveaus von 1990 zu reduzieren. Doch bereits der erste konkrete Vorschlag zur Erreichung dieses Ziels wurde mit dem CO2-Gesetz im Juni 2021 an der Urne verworfen. Das Gesetz sah insbesondere eine Erhöhung der CO2-Abgabe, einen höheren Treibstoffzuschlag und eine Flugticketabgabe vor.

Aufgrund der stark gestiegenen Ölpreise im Zuge des Ukraine-Kriegs weht derzeit der politische Wind aus der anderen Richtung. Deutschland hat mit dem sogenannten Tankrabatt temporär die Treibstoffsteuer sogar gesenkt, US-Präsident Biden will sie temporär gänzlich aussetzen, und auch in der Schweiz liegen parlamentarische Vorstösse mit ähnlichen Forderungen vor.[1]

Aus ökonomischer Sicht gibt es wenige Fragen, auf welche die Antwort konzeptionell so eindeutig ist. Wenn CO2-Emissionen negative externe Effekte verursachen, resultiert daraus ein Marktversagen. Dieses besteht darin, dass die ausgestossene Menge an Kohlenstoffdioxid gesellschaftlich betrachtet zu hoch ist. Die theoretische Lösung ist eine Steuer auf CO2-Emissionen, damit die Verursachenden in ihren individuellen Entscheidungen die gesamten Kosten einkalkulieren – also auch die externen Kosten für die Gesellschaft.

Subventionen politisch beliebter

Dennoch hat es die korrekte Bepreisung von CO2 schwer. Eine CO2-Steuer klingt auf den ersten Blick unattraktiv, weil sie den Treibstoff verteuert. Auch die Tatsache, dass die Steuereinnahmen wieder an die Bevölkerung rückverteilt werden, ändert daran wenig. Denn die Rückverteilung über die Krankenversicherungsbeiträge ist zu wenig sichtbar und daher auch fast 15 Jahre nach deren Einführung den meisten gar nicht bekannt.

Bessere Chancen haben Subventionen für erneuerbare Energien oder für den öffentlichen Verkehr (ÖV). So werden etwa die SBB und regionale Verkehrsbetriebe jährlich mit Milliarden an Steuergeldern unterstützt. Im Kanton Waadt will eine Volksinitiative zudem den öffentlichen Verkehr gratis machen; ein zentrales Argument ist der Umweltschutz. Und im Kanton Genf wurde 2014 eine Initiative zur Senkung der Billettpreise im lokalen ÖV angenommen.

Eine konsequente Besteuerung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) scheint politisch also schwierig umsetzbar. Wären ÖV-Subventionen demnach eine valable Alternative?

Zwei gegenläufige Effekte

Stellen wir uns zur Veranschaulichung vor, es gäbe zwei Mobilitätsformen: das Auto (stellvertretend für den MIV) und den ÖV. Eine ÖV-Subventionierung würde nun einerseits dazu führen, dass der ÖV im Vergleich zum Auto günstiger wird. Gleichzeitig würde aber auch die gesamte motorisierte Mobilität (ÖV und MIV zusammen) im Vergleich zu allen anderen Konsumgütern günstiger.[2]

Diese beiden Preisveränderungen lösen in der Theorie zwei Arten von Verhaltensanpassungen – sogenannten Substitutionseffekten – aus.

Erstens löst die Veränderung der relativen Preise zwischen Auto und ÖV eine Substitution zugunsten des ÖV aus. Wie stark diese Verlagerung ist, hängt von der Substitutionselastizität ab. Je höher sie ist, desto eher reduziert die ÖV-Subventionierung die CO2-Emissionen. Und: Die Substitution hilft dem Klima umso mehr, je grösser die Unterschiede bei den CO2-Emissionen pro Personenkilometer zwischen Auto und ÖV sind. Noch sind diese relativ gross, aber mit zunehmendem Anteil Elektroautos werden die Unterschiede immer kleiner.

Zweitens steigert die ÖV-Subventionierung insgesamt den Konsum an motorisierter Mobilität (wozu auch der ÖV zählt), weil diese relativ zu allen anderen Gütern günstiger wird. Wie stark dieser Effekt ist, hängt von der Substitutionselastizität zwischen der motorisierten Mobilität und allen anderen Gütern ab. Je stärker sich der Mobilitätskonsum insgesamt erhöht, desto eher erhöht die ÖV-Subventionierung letztlich die CO2-Emissionen und schadet so der Umwelt.

Im Falle einer CO2-Besteuerung würde der erste Effekt unverändert zu einer Erhöhung des ÖV  zulasten des Autos führen. Da die CO2-Steuer gleichzeitig die motorisierte Mobilität insgesamt verteuert, reduziert der zweite Effekt die motorisierte Mobilität zusätzlich. Daher sind eine Besteuerung des Autos und eine Subventionierung des ÖV nicht äquivalent. Wie stark sich diese unterscheiden, hängt von der Stärke des zweiten Effekts ab.

Studie bestätigt Theorie

Eine Schweizer Forschergruppe der ETH Zürich, der Universität Basel und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat die Wirkung solcher Preisveränderungen auf das Mobilitätsverhalten anhand einer CO2-Steuer analysiert.[3] Ein Teil der 3656 Studienteilnehmenden musste in der zweiten Hälfte der acht Wochen dauernden Studie für die verursachten externen Kosten einen Aufpreis bezahlen. Durch diese preislichen Anreize wurde die Mobilität insgesamt teurer, der ÖV wurde im Vergleich zum Auto allerdings relativ günstiger. Ein Autokilometer kostete zur Deckung der externen Kosten rund 1.67 Franken. Der ÖV war mit rund 22 Rappen (Bus), 8 Rappen (Tram) bzw. 62 Rappen (Zug) deutlich günstiger. Um diese Teilnehmenden durch die höheren Kosten der Mobilität nicht schlechterzustellen als die Vergleichsgruppe, wurden sie gleichzeitig mit einem grosszügigen fixen Mobilitätsbudget entschädigt.

Die Studie findet beide oben beschriebenen Verhaltenseffekte. So führte die CO2-Steuer tatsächlich zu einer Abnahme der zurückgelegten Autokilometer und einer Zunahme der ÖV-Kilometer.[4] Obwohl auch der ÖV teurer wurde, wurden trotzdem mehr ÖV-Kilometer zurückgelegt. Der Grund ist der Substitutionseffekt: Weil der Preis pro Autokilometer stärker gestiegen ist als pro ÖV-Kilometer, ersetzten die Leute teilweise das Auto durch den ÖV.

Allerdings hielt sich die Substitution nicht die Waage. Insgesamt gingen die Autokilometer stärker zurück, als die ÖV-Kilometer stiegen. Unter dem Strich nahm die motorisierte Mobilität (Auto und ÖV) also ab. Ein gutes Zeichen für die Umwelt. Die Studie bestätigt auch: Der Konsum an motorisierter Mobilität insgesamt ist nicht fix vorgegeben, sondern reagiert auf veränderte Preise.

Steuern effizienter als Subventionen

Unsere theoretischen Überlegungen wie auch die Studie zeigen: Die korrekte Bepreisung fossiler Treibstoffe bleibt das effizienteste Instrument zur Erreichung der Klimaziele. Denn sie führt gleichzeitig zu einer Substitution vom Auto zum ÖV und zu einem Rückgang des Mobilitätskonsums insgesamt. Wäre der Konsum an motorisierter Mobilität insgesamt fix vorgegeben und würde er nicht auf preisliche Veränderungen reagieren, dann hätten eine Subventionierung des ÖV und eine Besteuerung des MIV den gleichen Effekt. Die Studie zeigt jedoch, dass dies selbst kurzfristig nicht der Fall ist. Ausserdem ist wegen der gegenläufigen Substitutionseffekte bei einer Subventionierung des ÖV unter dem Strich unklar, ob überhaupt ein Gewinn für das Klima resultiert.

Natürlich gibt es auch sozialpolitische Einwände gegen Steuererhöhungen. Will man jedoch eine zusätzliche Belastung für die Bevölkerung und vor allem für Einkommensschwache vermeiden, dann tut man dies besser, indem man die Einkommenssteuer für tiefe Einkommen senkt oder die CO2-Steuer pro Kopf gleich hoch an die Bevölkerung rückerstattet. Einkommensschwache würden dadurch im Schnitt profitieren, weil sie eher weniger für Mobilität ausgeben. Nicht geeignet sind Senkungen der Treibstoffpreise wie in Deutschland. Sie vernichten den eigentlich erwünschten Umwelteffekt und sind aus sozialpolitischer Sicht sehr ineffizient.

Resultate sind übertragbar

Analoge Überlegungen zu Steuern und Subventionierungen gelten auch in anderen Bereichen: Beim Güterverkehr ist die konsequente Besteuerung des CO2-lastigen Verkehrs auf der Strasse effizienter als die Subventionierung der weniger CO2-lastigen SBB Cargo. Bei der Gebäudewärme ist die direkte Besteuerung fossiler Brennstoffe effizienter als die Subvention von Wärmepumpen oder Steuerabzüge für energetische Sanierungen.

Die erwähnte Studie kommt im Übrigen zum Schluss, dass die Reduktion der externen Kosten vor allem von denjenigen Teilnehmenden getrieben war, die Verständnisfragen zum Konzept der externen Effekte richtig beantworteten. Um eine Abwälzung der externen Kosten auf die Verursachenden politisch durchzubringen, muss man der Wählerschaft das Konzept überzeugend erklären. Vielleicht leisten wir mit diesem Artikel einen Beitrag dazu.

  1. Motionen Page (22.3115) und Chiesa (22.3634), Interpellation Quadri (22.3141). []
  2. Tatsächlich haben Steuern und Subventionen auch einen Einkommenseffekt; die MIV-Besteuerung einen negativen und die ÖV-Subventionierung einen positiven. Wir schalten diesen in unseren theoretischen Überlegungen aus, indem wir die Steuereinnahmen pro Kopf rückverteilen und die Subventionen pro Kopf der Bevölkerung belasten (sog. lump sum). []
  3. Siehe Axhausen et al. (2021). Empirical Analysis of Mobility Behavior in the Presence of Pigovian Transport Pricing[]
  4. Siehe Axhausen et al. (2021). Die Studienautoren stellten ebenfalls eine Zunahme der zu Fuss und mit dem Fahrrad zurückgelegten Kilometer fest. []

Zitiervorschlag: David Staubli, Ralph Winkler (2022). ÖV subventionieren oder Benzin besteuern. Die Volkswirtschaft, 12. September.