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Ein europäisches Einheitspatent für Erfindungen

Ein europäisches Einheitspatent für Erfindungen

«Patente werden nicht nur von grossen internationalen Konzernen eingereicht. Die meisten Patentanmeldungen in Europa stammen von KMU, Start-ups und Hochschulen.» (Bild: Keystone)

Ich komme ursprünglich aus der akademischen Welt. Seit meinem Amtsantritt als Chefökonom des Europäischen Patentamtes (EPA) eröffnet sich mir ein einzigartiger Einblick in den technologischen Fortschritt und dessen wirtschaftliche Bedeutung für Europa und die Welt. Das EPA verfügt über eine umfangreiche Expertise. Zuoberst auf der Prioritätenliste unserer Organisation steht die Analyse des technischen Fortschritts im Bereich der nachhaltigen Entwicklung. Unter anderem erarbeiten wir wirtschaftliche Studien, teils auch in Zusammenarbeit mit der Internationalen Energieagentur, der Europäischen Investitionsbank oder der Weltorganisation für geistiges Eigentum.

Angesichts der aktuellen Herausforderungen in Bezug auf Gesundheit, Energie, Geopolitik oder Umwelt hängt die Zukunft der europäischen Wirtschaft mehr denn je von ihrer Innovationskraft und Kreativität ab. Das Patentsystem spielt dabei eine entscheidende Rolle, da es langfristig abgesicherte Investitionen in Innovationen sichert und die Einführung neuer Technologien auf dem europäischen Markt erleichtert.

Jene Branchen, die pro Mitarbeiter überdurchschnittlich viele Immaterialgüterrechte wie Patent-, Design- und Markenrechte anmelden, generieren nicht nur 45 Prozent des BIP der EU und 41 Prozent des Schweizer BIP. Sie erweisen sich in Krisen auch als agiler und resilienter. Im Übrigen stieg die Zahl der Patentanmeldungen im Jahre 2021 um 4,5 Prozent.

Patente werden nicht nur von grossen internationalen Konzernen eingereicht. Die meisten Patentanmeldungen in Europa stammen von KMU, Start-ups und Hochschulen. Diese «kleinen» Erfinder sorgen oft für bahnbrechende Innovationen und sichern das strategisch wichtige Wachstumspotenzial für Europa. Für sie besteht die Herausforderung darin, die neuen Technologien auf europäischer oder gar internationaler Ebene zu vermarkten.

Die baldige Einführung des europäischen Einheitspatents und des einheitlichen Patentgerichts wird die wirtschaftliche Bedeutung von Patenten nochmals stärken

Dem vom EPA erteilten europäischen Patent kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Dieses Patent trägt nämlich dazu bei, die Erfindungen in allen 44 Vertragsstaaten – einschliesslich aller EU-Mitgliedsstaaten und der Schweiz – zu schützen. Bisher konnten die Validierung, die Verteidigung und der Schutz eines solchen Patents in einigen europäischen Staaten komplex und teuer werden. Die baldige Einführung des sogenannten europäischen Einheitspatents[1] und des einheitlichen Patentgerichts soll dies ändern und so die wirtschaftliche Bedeutung von Patenten nochmals stärken: Mit dem neuen Einheitspatent können die Nutzer ihre Erfindungen mit nur einem einzigen Antrag beim EPA in 25 EU-Mitgliedsstaaten gleichzeitig schützen lassen.

Das EPA pflegt eine riesige Patentdatenbank[2]. Sie ist für staatliche und private Entscheidungsträger eine einzigartige Quelle für Business-Intelligence zu vielversprechenden Technologien. Zudem kann sich das EPA innerhalb des europäischen Patentnetzes auf eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den nationalen Patentämtern stützen. Dazu zählt auch das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum.

Darüber hinaus unterstützen über 300 in ganz Europa verteilte Patentinformationszentren die KMU, Hochschulen und Forschenden bei ihren Patentanmeldungen. Als das für ganz Europa zuständige Patentamt übt das EPA globalen Einfluss aus und ist in der Lage, aktuelle und künftige strukturelle Trends im Innovationsbereich zu erkennen.

  1. Der Start des europäischen Einheitspatents wird für das Frühjahr 2023 erwartet. []
  2. Die Datenbank Espacenet kann online über EPO.org und über Patstat analysiert werden. []

Zitiervorschlag: Yann Ménière (2022). Ein europäisches Einheitspatent für Erfindungen. Die Volkswirtschaft, 10. Oktober.