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Elektromobilität: Die Schweiz war mal Pionierin

Die Anfänge der Elektromobilität reichen bis zu jenen des Autos um 1900 zurück. Das Rennen jedoch gewann der Explosionsmotor. Vorerst, denn in den 1970er-Jahren verschaffte der Umweltgedanke dem Elektromotor neuen Auftrieb. Damals war die Schweiz weltweit Pionierin – und heute?

Elektromobilität: Die Schweiz war mal Pionierin

Eine wirkungsvolle Werbemassnahme für Elektromobile. Start der Tour de Sol in Suhr AG im Juli 1991. (Bild: Keystone)

In den Anfängen der Automobilität war der Elektromotor eine attraktive Alternative zum Explosionsmotor. In den Augen der meisten Experten hatte er sogar gute Chancen, das Auto der Zukunft anzutreiben.[1] Auch in der Schweiz wurden Fahrzeuge mit Elektroantrieb hergestellt. Die Schweizer Firma Tribelhorn baute ab 1902 in Zürich Elektrofahrzeuge, die Compagnie de l’industrie électrique et mécanique (Ciem) in Genf konstruierte 1905 einen Hybridmotor. Weitere Firmen folgten. Zwischen 1915 und 1917 erschien in der Schweiz sogar eine Zeitschrift für das Elektromobil.

Durchgesetzt hat sich damals aber der Explosionsmotor. Dem Elektroantrieb blieben lediglich einige Nischen wie Spezialfahrzeuge für Behinderte oder Fahrzeuge für die lokale Logistik, wie zum Beispiel Gabelstapler. Dem internationalen Trend folgend, wurde die Produktion in den 1920er-Jahren auch in der Schweiz grösstenteils aufgegeben. Die Idee des Elektroantriebs hielt sich aber hartnäckig in den Hinterköpfen einiger innovativer Schweizer Ingenieure. Erst nach 1970, als im Zeichen eines umweltpolitischen Aufbruchs die Begrenztheit der fossilen Brennstoffe vermehrt thematisiert wurde, bekamen energieeffiziente Elektromobile neuen Auftrieb.

Geburtsstunde der Tour de Sol

Die Schweizer Pioniere der Elektromobilität in den 1970er-Jahren waren nicht mit dem Automobilgewerbe verbunden, sondern wollten mit der Förderung der Sonnenenergie allgemein neue Energiepfade betreten. Elektroantriebe stellten daher nur einen von mehreren Pfeilern eines Energiesystems dar, das gänzlich auf erneuerbaren Ressourcen basierte. Diese Pioniere organisierten sich 1974 in der Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie (SSES). Die Renaissance des Elektromobils in der Schweiz ist deshalb gleichzeitig auch die Geburtsstunde des Solarmobils. Marktreife Solarzellen – die Voraussetzung dafür – waren schon ab 1974 erhältlich, auch aus heimischer Produktion.

Um 1980 geriet die Solarbranche in eine tiefe Krise. Der erste Schwung der neuen Umweltbewegung war verpufft, die Rezession hemmte Investitionen in diese als unausgereift geltende Zukunftstechnologie. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, eine mehrtägige Werbefahrt mit Solarmobilen durch die ganze Schweiz durchzuführen, um damit ein möglichst grosses Medienecho hervorzurufen und nicht zuletzt neue Investoren anzulocken. Die Tour de Sol war geboren. Die Initianten hatten also die Form des Rennens gewählt, welche schon in der Frühgeschichte des Autos so bedeutsam für die Schaffung gesellschaftlicher Resonanz und Akzeptanz gewesen war.

Offensichtlich hatte die Idee den Nerv der Zeit getroffen, denn eine durch die Waldsterbedebatte aufgeschreckte Öffentlichkeit wartete mit Ungeduld auf neue Lösungen für einen umweltverträglichen Verkehr. Dies bewies die zwischen dem 25. und dem 29. Juni 1985 von Romanshorn nach Genf führende erste Tour de Sol eindrücklich. Mit Ringier konnte ein national führender Verlag als Sponsor gewonnen werden, der dem Anlass unter anderem durch eine Sondernummer der «Schweizer Illustrierten»[2] zu ungeahnter Popularität verhalf und dafür sorgte, dass die Tour de Sol zu einem weit über die Schweizer Grenzen hinaus beachteten Volksfest wurde.

Die Rolle der Politik

Instinktsicher meldete sich nun auch die Bundespolitik. Im Patronatskomitee der Tour de Sol sassen unter anderen die damaligen Nationalräte und späteren Bundesräte Adolf Ogi, Kaspar Villiger und Moritz Leuenberger. Viel Aufmerksamkeit also für einen Blick in die Werkstatt von Bastlern mit ihren originellen, aber doch eher beschränkt verkehrstauglichen Mobilen, welche teilweise schon bei kleineren Steigungen von Hand geschoben werden mussten. Doch die weiteren Austragungen der Tour de Sol bis zu ihrem Ende im Jahr 1993 zeigten, dass mit der Idee eines Rennens viel für die Technologieentwicklung getan werden konnte. Dennoch war die Zeit noch nicht reif für den elektrischen Antrieb, was nicht zuletzt auf die mangelnde Leistungsfähigkeit der damaligen Batterien zurückzuführen war.

In dieser Situation war sicher hilfreich, dass der Staat die langfristige Perspektive nicht aus den Augen verloren hatte und weiter an die Zukunft der Elektromobilität glaubte. Bereits 1989 hatte eine Studie im Auftrag des Diensts für Gesamtverkehrsfragen, damals eine Stabsstelle beim Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek), und des Bundesamts für Energiewirtschaft, des heutigen Bundesamts für Energie (BFE), die Vor- und Nachteile der sogenannten Mini-Elektromobile untersucht. 1992 entstand im Rahmen des nationalen Programms Energie 2000, des Vorläuferprogramms von Energie Schweiz, das Förderprogramm für Leicht-Elektromobile (LEM). Die Leitung hatte Urs Muntwyler, einer der zentralen Protagonisten der Tour de Sol.

Schweizer Grossversuch mit Elektromobilen

Als mit Abstand wichtigstes Projekt des Förderprogramms erwies sich bald die Idee eines Grossversuchs mit Elektromobilen in einer Schweizer Gemeinde. Das Interesse war beträchtlich. Nach einem umfassenden Auswahlverfahren wurde die Tessiner Gemeinde Mendrisio als Standort erkoren.

Die Bilanz des Grossversuchs ist ambivalent. Die gesteckten Absatzziele wurden nicht erreicht, hingegen konnte die Alltagstauglichkeit der Fahrzeuge demonstriert werden. Vor allem aber zeigte die Begleitforschung, dass ein Marktpotenzial für elektrische Zweiräder, sogenannte E-Bikes, bestand. Auf dieser Basis wurden in vielen Gemeinden und in Zusammenarbeit mit Schweizer Pionieren der Marken Dolphin und Flyer sowie Bund und Kantonen Förderprogramme für E-Bikes aufgelegt. In der Regel enthielten diese auch Kaufbeiträge als finanzielle Anreize. Damit leistete die Schweiz einen wichtigen Beitrag für die Erfolgsgeschichte des E-Bikes in Europa. Die Schweiz hat ihren begrenzten Handlungsspielraum in diesen Jahren recht erfolgreich genutzt.

Mittlerweile befindet sich die Elektromobilität in der Schweiz auf der Überholspur: Im Zeichen des Klimawandels steigen Schweizer vermehrt auf alternative Antriebe um. Deren Marktanteil wächst rasant und liegt gemäss Auto-Schweiz kumuliert seit Jahresbeginn bei 49,5 Prozent der Neuverkäufe. Knapp ein Drittel dieser Fahrzeuge fährt rein batterieelektrisch. Jedes dritte verkaufte Schweizer Fahrrad ist mittlerweile ein E-Bike. In diesen Zahlen spiegeln sich europaweite oder sogar globale Trends und weniger die nach der Jahrtausendwende eher erlahmenden Anstrengungen der nationalen Politik.

  1. Haefeli, 2010 []
  2. «Schweizer Illustrierte», 1986. []

Literaturverzeichnis
  • Haefeli, Ueli (2010). Die Renaissance des Elektromobils in der Schweiz nach 1970. Visionärer Technologiepfad oder Weg in die Sackgasse? In: Schiedt, Hans-Ulrich et al. (Hg.), Verkehrsgeschichte, Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte – Société Suisse d’histoire économique et sociale, Band 25, Zürich: Chronos, 343–356.
  • Schweizer Illustrierte (1986). Solarmobile, Sonderheft der Schweizer Illustrierten 30, Zofingen.

Bibliographie
  • Haefeli, Ueli (2010). Die Renaissance des Elektromobils in der Schweiz nach 1970. Visionärer Technologiepfad oder Weg in die Sackgasse? In: Schiedt, Hans-Ulrich et al. (Hg.), Verkehrsgeschichte, Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte – Société Suisse d’histoire économique et sociale, Band 25, Zürich: Chronos, 343–356.
  • Schweizer Illustrierte (1986). Solarmobile, Sonderheft der Schweizer Illustrierten 30, Zofingen.

Zitiervorschlag: Ueli Haefeli (2022). Elektromobilität: Die Schweiz war mal Pionierin. Die Volkswirtschaft, 25. Oktober.