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Roland Bilang, Geschäftsführer Avenergy Suisse, Zürich

Über 98 Prozent der Fahrzeuge auf unseren Strassen haben einen Verbrennungsmotor. Wenngleich dieser Anteil in den kommenden Jahren deutlich schrumpfen wird, gehen Schätzungen davon aus, dass er zur Mitte des Jahrhunderts immer noch 50 Prozent beträgt. Abseits der Strasse, beispielsweise in der Land-, der Bau- und der Flugwirtschaft, ist der Verbrennungsmotor bis 2050 ziemlich alternativlos, da die Energiedichte von Batterien zu gering ist. Deswegen sind klimaschonende Energiesysteme entwickelt worden, die derzeit weltweit eingeführt werden.

Auf der einen Seite handelt es sich dabei um gasförmige oder flüssige Treibstoffe biogenen Ursprungs. Diese decken in der Schweiz heute etwa 4 bis 5 Prozent der Treibstoffe im Strassenverkehr und sind auch bei den Flugtreibstoffen auf dem Vormarsch. Obwohl das Potenzial biogener Treibstoffe noch lange nicht ausgeschöpft ist, scheint es unwahrscheinlich, dass für eine vollständige Versorgung mit erneuerbaren Energieträgern weltweit ausreichend Biomasse zur Verfügung steht.

Strombasierte Lösungen werden auch bei den Verbrennungsmotoren ihren Beitrag leisten müssen

Somit werden strombasierte Lösungen auch bei den Verbrennungsmotoren ihren Beitrag leisten müssen. Hier stehen Ansätze im Zentrum, synthetische Diesel und Benzine aus CO2-freiem Wasserstoff und aus der Luft gefiltertem CO2 herzustellen. Damit wird der CO2-Kreislauf ohne zusätzlichen fossilen Ressourcenverbrauch geschlossen. Natürlich muss auch der Strom, der bei der Herstellung der synthetischen Treibstoffe in grossen Mengen verwendet wird, aus CO2-freien Quellen stammen. Dies wird daher voraussichtlich in Grossanlagen erfolgen, die über genügend erneuerbare Elektrizität aus Wind und/oder Sonne verfügen. Als Standorte bieten sich Länder mit Meeresküsten und in Äquatornähe an. Geplant werden solche Anlagen beispielsweise vom Erdölförderungsunternehmen Aramco in Spanien und Saudi-Arabien, von Porsche und Siemens in Chile und von einem Konsortium unter Beteiligung des Schweizer Pionierunternehmens Climeworks in Norwegen. Noch in diesem Jahrzehnt sollen an diesen Standorten synthetische Energieträger im industriellen Massstab hergestellt werden. Bis 2030 sollen es 5 bis 10 Prozent des Bedarfs sein, bis 2050 schliesslich 100 Prozent.

Aus dieser Entwicklung lassen sich drei Schlüsse ziehen: Erstens müssen synthetische Treibstoffe in Zukunft, genau wie heute die fossilen, in die Schweiz importiert und hier gelagert werden können. Daraus folgt zweitens, dass unsere heutige Import-, Lager- und Vertriebsinfrastruktur für Erdölprodukte erhalten und gepflegt werden muss. Sie darf nicht dem Irrglauben geopfert werden, dass es bald nur noch batteriebetriebene Fahrzeuge geben wird. Zu guter Letzt darf die Politik den Regulierungsrahmen nicht zu früh und nicht zu eng setzen, damit synthetische Treibstoffe überhaupt eine Chance im Markt haben.

Zitiervorschlag: Bilang, Roland (2022). Synthetische Treibstoffe: Elektromobilität allein reicht nicht. Die Volkswirtschaft, 25. Oktober.