
Marc Marthaler im Swisscom-Gebäude an der Genfergasse in Bern. «Die nächste Generation Lernende ist extrem wichtig, insbesondere angesichts des Fachkräftemangels.» (Bild: Keystone / Remo Nägeli)
Berufsbildung muss von oben getragen werden. Obwohl unser CEO Christoph Aeschlimann erst seit Kurzem im Amt war, nahm er sich schon kurz nach seinem Antritt die Zeit, beim Lehrabschlussevent der Lernenden dabei zu sein; eine grosse Wertschätzung. Die nächste Generation Lernende ist extrem wichtig, insbesondere angesichts des Fachkräftemangels.
Eindeutig im IT-Bereich, da sind auch wir stark betroffen. Das sogenannte Post and Pray, wo das Unternehmen ein Inserat ausschreibt und hofft, dass sich jemand bewirbt, ist Vergangenheit.
Die Bedarfsprognose 2030 der nationalen Organisation der Arbeitswelt ICT-Berufsbildung Schweiz hat aufgezeigt, dass 2021 schweizweit 4500 ICT-Fachkräfte in den Markt eintreten werden. Fast 80 Prozent sind auf die berufliche Grundbildung zurückzuführen. Auch viele Profile der höheren Berufsbildung und der Fachhochschule haben ursprünglich eine Lehre absolviert. Dies zeigt, wie wichtig es ist, als Unternehmen in diesen Bereich zu investieren.
Wir wollen noch effektiver und effizienter jene Lernenden finden, die am besten zu Swisscom und unserem Ausbildungsmodell passen.
Bewerbende beantworten zunächst Fragen per Video und werden anschliessend zu einem NEX-Day, einem halbtägigen Assessment, eingeladen. So lernen wir zuerst die Menschen kennen und erleben sie in konkreten Situationen, bevor wir Dossiers analysieren. Letztes Jahr hatten wir fast 8000 Bewerbungen auf 253 Stellen. Viele Bewerbungen haben nicht auf die ausgeschriebene Stelle gepasst. Solche Copy-and-paste-Bewerbungen, also Bewerbungen, die an viele Unternehmen gleichzeitig geschickt werden, wollen wir nicht.
Dem stimme ich nicht zu. Das Bildungssystem in der Schweiz ist gut und zu Recht auch international anerkannt. Aufgrund unseres speziellen Ausbildungsmodells und der hohen Anzahl an unspezifischen Bewerbungen haben wir uns entschieden, den Prozess umzukehren. Nach der Zusage müssen die Lernenden ihr Dossier nachreichen.
Wir wollen noch effektiver und effizienter jene Lernenden finden, die am besten zu Swisscom und unserem Ausbildungsmodell passen.
Während der NEX-Days werden auch Interviews geführt. Natürlich sprechen wir dort über schulische Erfahrungen und Leistungen. Wir haben viele Berufe mit hohen Anforderungen, und da braucht es gewisse kognitive Voraussetzungen. Beim Anmeldeprozess müssen die Bewerbenden bestätigen, dass sie die Voraussetzungen – also beispielsweise das Anforderungsprofil eines Berufes – für die Stelle erfüllen.
Die letzten drei Monate haben gezeigt, dass wir bei der reinen Videobeurteilung schneller waren als zuvor beim Dossierprozess. Wenn man aber den gesamten Prozess inklusive NEX-Days anschaut, besteht noch Optimierungsbedarf.
Hauptkriterien werden sein, ob wir mit dem neuen System die passenden Lernenden gefunden haben und ob wir Zeit im Bewerbungsprozess sparen. Es wird verschiedene Evaluationsphasen geben. Im ersten Quartal nächstes Jahr machen wir erste prozessuale Evaluationen.

Wir haben uns schon vor dieser Vereinbarung stets daran gehalten. Wir müssen Schülerinnen und Schüler das sein lassen, was sie sind: Schülerinnen und Schüler. Ohne Vereinbarung würden die Stellen immer früher ausgeschrieben werden. Wo endet das? Schon im Alter von vierzehn, fünfzehn ist es herausfordernd, sich zu entscheiden, welche Lehre man machen möchte. Noch früher wäre aus meiner Sicht falsch.
Diese Frage wird in Zukunft relevant. Die Berufsmaturität vermittelt zusätzliche vertiefte allgemeinbildende Inhalte und Theorie für ein Studium an einer Hochschule. Bei komplexen Vorhaben wie einer Revision eines Berufes kann nicht im Vorfeld schon alles bedacht werden. Da braucht es die Direktinvolvierten, welche eine Lösung dafür erarbeiten.
Vor rund 20 Jahren war es der Beruf Mediamatiker EFZ. Aktuell entsteht neu die Entwicklerin digitales Business EFZ. Wichtig ist auch, dass nicht nur neue Berufe entstehen. Im Zuge der Digitalisierung haben sich auch andere Berufe verändert und wurden angepasst.
Die Lernenden werden an der Schnittstelle Mensch/Wirtschaft/Technik arbeiten und unterstützen die digitale Transformation im Unternehmen. In kleinen Betrieben werden wohl die Digitalisierung von Daten und die Vereinheitlichung der Toollandschaft im Vordergrund stehen, bei Grossunternehmen eher Prozessoptimierungen und die gezielte Verknüpfung von Software und Kunden, wo die Lernenden auch als Schnittstelle fungieren.
Wir setzen alles daran, die Lernenden – sofern sie das wollen – nach der Lehre weiterzubeschäftigen.
Den Elektroniker brauchen wir schon seit Längerem nicht mehr, weil wir über Jahre selber keine Geräte gebaut oder repariert haben. Beim Telematiker wurde erkannt, dass er in der Wirtschaft keinen Mehrwert mehr bietet. Die Lehre Kundendialog lassen wir ebenfalls auslaufen, weil der Fachkräftebedarf bei Swisscom einfach zu gering ist.
Intern können wir unsere eigenen Fachkräfte ausbilden und dem Fachkräftemangel entgegensteuern. Es ist ein Gewinn, wenn unterschiedliche Generationen zusammenarbeiten. Lernende sind eine Entlastung, weil sie schon in der Lehre produktiv sind. Extern tun wir etwas Gutes, weil wir nicht nur für uns ausbilden, sondern für die gesamte Wirtschaft. Nicht alle Lernenden bleiben bei uns.
Ja, aber es ist unterschiedlich je nach Beruf und Projekt. Bei den Lernenden im Detailhandel und im KV, bei den Mediamatikern und den Fachleuten Kundendialog sind die Ausbildungskosten rasch amortisiert, bei weit über zwei Dritteln. Bei den Informatikern dauert es aufgrund der Komplexität des Berufs und der fachlich sehr hohen Anforderungen länger. Wir setzen alles daran, diese Lernenden – sofern sie das wollen – nach der Lehre weiterzubeschäftigen.
Bei uns liegt die Quote bei 2,9 Prozent. Letztes Jahr lag sie bei 2,2 Prozent, also erfreulich tief.
Jeder Lernende, der es nicht schafft, ist einer zu viel. Es wäre aber zu einfach, zu sagen, eine Lernende, die durchgefallen ist, habe sich zu wenig angestrengt oder einfach nur Pech gehabt. Kürzlich gab es eine Studie, die besagt, dass die psychische Belastung der Lernenden stark zugenommen habe. Auch jetzt, nach Corona, ist es eine anspruchsvolle Zeit.
In der Regel können sie das, vorausgesetzt, ihr Scheitern ist nicht selbstverschuldet. Wenn jemand trotz intensiver Begleitung die Prüfungen nicht ernst nimmt und nicht bereit ist, zu investieren, sind wir konsequent. Dann dürfen die Lernenden nicht wiederholen.
Der Lehrplan 21 ist kompetenzorientiert aufgebaut, was ich erfreulich finde. Betroffene Schulen und Lehrpersonen sind gefordert, ihr Verständnis von Lernen und Lehren zu prüfen und eventuell neu zu gestalten. Ich wünsche mir, dass die Lehrpersonen diese grosse Herausforderung angehen, mutig ausprobieren und sich stetig weiterentwickeln.
Zitiervorschlag: Interview mit Marc Marthaler, Swisscom (2022). «Lernende sind schon während der Ausbildung produktiv». Die Volkswirtschaft, 11. November.