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Prämienverbilligung: Geld auszahlen hilft weniger

Prämienvergünstigungen sollen einkommensschwache Haushalte entlasten. Eine neue Studie zeigt, dass es wirkungsvoll war, die Prämien bei den Versicherungen direkt zu reduzieren, anstatt die Ermässigung den Empfängern auszuzahlen.
Prämienverbilligungen werden heutzutage in allen Kantonen mit den Krankenkassenprämien verrechnet. (Bild: Keystone)

Geldprobleme bedeuten oft grossen Stress für die betroffenen Personen und beeinflussen deren Entscheidungsverhalten. Um die Situation zu verbessern, wird bei staatlichen Programmen meist ausgiebig über die Höhe der Transfers diskutiert. Wenig bekannt, und wohl auch deshalb bisher wenig beachtet, ist die Wirkung des Transferprozesses an sich, sprich, wie das Geld an die unterstützten Personen gelangt.[1]

Zahlungsverzüge trotz Subventionen

Seit 1996 sind alle Personen in der Schweiz verpflichtet, eine Krankenversicherung abzuschliessen. Da die Prämien dafür unabhängig vom Einkommen sind, stellen sie für Haushalte mit geringen Mitteln eine grosse finanzielle Belastung dar. Aus diesem Grund sind die Kantone verpflichtet, die Prämien von Personen in «bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen» zu subventionieren. Obwohl heute jährlich fünf Milliarden für diese individuelle Prämienverbilligung eingesetzt werden und über ein Viertel der Bevölkerung unterstützt wird, bezahlen viele Versicherte ihre Prämien nicht rechtzeitig.

Geld- oder Sachtransfer?

In politischen Debatten zu möglichen Verbesserungen der finanziellen Situation von ärmeren Haushalten werden oft zusätzliche Steuergelder als Lösung gefordert. Andere politische Akteure sehen die Ursache der Probleme eher bei den Betroffenen selbst und möchten daher den Handlungsspielraum der Empfänger einschränken. Denn bei Transferprogrammen, welche auf ein bestimmtes Gut fokussiert sind, stellt sich immer die Frage, wie die Mittel an die Empfänger gelangen sollen. Dabei gibt es zwei grobe Kategorien: Geldtransfers und Sachtransfers. Bei Geldtransfers wird Geld direkt überwiesen, und die Empfänger beschaffen sich die Ware oder die Dienstleistung selbst. Sachtransfers dagegen ermöglichen den Empfängern, die Ware oder die Dienstleistung zu einem reduzierten Preis oder gar kostenfrei zu beziehen.

Systemvielfalt in den Kantonen

In der Schweiz hat der Bund bei der Einführung der obligatorischen Krankenversicherung den Kantonen diese Wahl frei überlassen. So entschieden sich einige Kantone, den für die Prämien vorgesehenen Geldbetrag Anfang Jahr auf das Konto der Empfänger auszuzahlen. Andere bevorzugten die Steuermittel den Krankenkassen zu geben, welche dann ihrerseits die monatlichen Prämien im jeweiligen Umfang reduzierten, was hier einem Sachtransfer entspricht.

Selbst wenn sich auf den ersten Blick diese Situation eignen würde, um mittels eines einfachen Kantonsvergleichs die Wirksamkeit der beiden Auszahlungssysteme zu analysieren, wären die daraus gewonnenen Erkenntnisse höchst zweifelhaft. Denn die Anzahl an verspätet bezahlten Rechnungen in einem Kanton wird durch viele Faktoren bestimmt, unter anderem auch durch die dortige Bevölkerungsstruktur, die wiederum potenziell sogar die ursprüngliche Wahl des Auszahlungssystems beeinflusste. Ohne ein kontrolliertes Zufallsexperiment ist es daher kaum möglich, den kausalen Effekt von Geld- und Sachtransfers auf die finanzielle Situation der Begünstigten zu bestimmen. Glücklicherweise ergab sich in der Schweiz eine für Forscher einmalige Gelegenheit, diesem idealen Experimentdesign so nahe wie möglich zu kommen, nämlich in Form eines sogenannten natürlichen Experiments. Denn 2012 hat das Parlament entschieden, obwohl dazumal dafür keine empirische Evidenz existierte, dass die Prämienverbilligung ab dem 1. Januar 2014 in allen Kantonen nur noch als Sachtransfer ausbezahlt werden soll.

Subventionierte Leistungen reduzieren Zahlungsprobleme

Diese Reform erlaubte die Entwicklung der finanziellen Probleme in den Kantonen, welche von diesem Wechsel betroffen waren, mit der Entwicklung in den Kantonen, welche schon immer die Auszahlung an die Krankenkassen verwendeten, vor und nach 2014 zu vergleichen. Die zwei Gruppen von Kantonen fungieren dabei wie Behandelte und Kontrollgruppe in einem klassischen Laborexperiment. Um Zahlungsschwierigkeiten zu messen, stützen wir uns auf Daten der grössten Krankenversicherung der Schweiz. Für den Zeitraum 2012 bis 2019 analysierten wir über 13 Millionen Prämienrechnungen. Konkret prüften wir, ob für diese eine Mahnung oder gar eine Betreibung ausgelöst wurde.

Der Wechsel von Geld- zu Sachtransfers resultierte in einer sofortigen und nachhaltigen Verbesserung der Zahlungsprobleme (siehe Abbildung). Hatte bei Bezügern von Prämienverbilligungen in den Reformkantonen vor der Harmonisierung 2014 noch fast jede zehnte Prämienrechnung mindestens eine Mahnung zur Folge, reduzierte sich dieser Anteil in den Folgejahren um durchschnittlich 1,7 Prozentpunkte oder beinahe 20 Prozent. Schwere finanzielle Probleme, gemessen an der Betreibungswahrscheinlichkeit, traten aufgrund der Reform circa 12 Prozent weniger häufig auf.

Mahnungswahrscheinlichkeit Prämienvergünstigungsempfänger beim Wechsel von Geld- zu Sachtransfers in Prozent (2012–2019)

Anmerkung: Die Reformkantone umfassen Zürich, Bern, Freiburg, Basel-Stadt, St. Gallen und Aargau und die Kontrollkantone Luzern, Uri, Schwyz, Nidwalden, Basel-Landschaft, Graubünden und Thurgau. Im Schnitt wurden über die Beobachtungsperiode circa 9,3 von 100 Prämienrechnungen an Empfänger von Prämienverbilligungen gemahnt.
Quelle: CSS, Luzern.

Kein Hinweis auf Verlagerung der Probleme

Nur aufgrund des Zahlungsverhaltens bei Prämienrechnungen auf die generelle finanzielle Gesundheit der subventionierten Haushalte zu schliessen, wäre jedoch etwas gewagt. Aus diesem Grund haben wir die gleiche Analyse auch für in Rechnung gestellte Kostenbeteiligungen für medizinische Leistungen durchgeführt. Diese werden nicht durch die Prämienverbilligung unterstützt und stellen für die Personen vergleichsweise schwierig planbare und budgetierbare Ausgaben dar. Trotz der möglicherweise beschränkten Liquidität nach dem Wechsel zu Sachtransfers gibt es keine Hinweise auf eine verschlechtere Zahlungsfähigkeit bei diesen Ausgaben nach der Reform. Es ist daher mit hoher Sicherheit davon auszugehen, dass in der obligatorischen Krankenversicherung subventionierte Versicherungsleistungen zu insgesamt weniger finanziellen Problemen bei den unterstützten Personen führen als Geldtransfers in gleicher Höhe.

Die Studie zeigt also: Finanzielle Probleme von wenig begüterten Personen sind nicht nur eine Frage der Mittel, sondern auch der Art und Weise, wie die finanzielle Unterstützung geleistet wird. Dies gibt einen Hinweis auf das Potenzial einer evidenzbasierten Ausgestaltung von staatlichen Transferprogrammen. Anpassungen können das Wohlergehen der Empfänger verbessern, ohne dass die Gesellschaft dafür zusätzliche öffentliche Mittel verwenden muss.

  1. Dieser Artikel basiert auf unserer Studie «Transfer Payment Systems and Financial Distress: Insights from Health Insurance Premium Subsidies» im «Journal of the European Economic Association», Oktober 2022. []

Zitiervorschlag: Christian P. R. Schmid, Nicolas Schreiner, Alois Stutzer (2022). Prämienverbilligung: Geld auszahlen hilft weniger. Die Volkswirtschaft, 02. November.