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Wie Berufe den Anforderungen der Wirtschaft angepasst werden

Die Arbeitswelt verändert sich laufend und damit auch die Anforderungen an die Berufsleute. Mindestens alle fünf Jahre werden Ausbildungsinhalte von Berufslehren in der Schweiz überprüft und aktualisiert. Der Prozess dafür ist gesetzlich klar geregelt und kommt auch dann zum Zug, wenn ein völlig neuer Beruf entsteht.

Wie Berufe den Anforderungen der Wirtschaft angepasst werden

Der Milchtechnologe ist aus den Berufen Käser und Molkerist entstanden. Käseproduktion in der Emmentaler Schaukäserei. (Bild: Keystone)

Technologische Entwicklungen, neue digitale Hilfsmittel und veränderte Kundenbedürfnisse bewirken Veränderungen in den Unternehmen. Diese widerspiegeln sich auch in den Berufen. In der Milchbranche zum Beispiel hat sich aus den beiden Berufen Käser und Molkerist die Ausbildung zum Milchtechnologen entwickelt. Manche Berufe wie jene des Seilbahners und der Podologin werden totalrevidiert. Andere Berufe wie der Medizinproduktetechnologe entstehen komplett neu, genauso wie ab Sommer 2023 Entwicklerin digitales Business EFZ, ein neuer Beruf in der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT).

Grosse Reformwelle in 2004

Berufslehren müssen deshalb immer wieder an neue Entwicklungen angepasst werden. Grundsätzlich sorgen die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) wie Sozialpartner und Berufsverbände in Zusammenarbeit mit dem Bund und den Kantonen für die Grundlagen. Diese stellen die solide und zeitgemässe Ausbildung in allen Berufslehren sicher.

Die grosse Reformwelle in der beruflichen Grundbildung wurde mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Berufsbildung am 1. Januar 2004 ins Rollen gebracht. Im Reformprozess wurde jeder Berufsabschluss auf seine Aktualität hin überprüft und an die neuen gesetzlichen Grundlagen angepasst. Nun steht mit einer Fünfjahresüberprüfung die Weiterentwicklung der Berufe im Zentrum (siehe Abbildung). Dabei handelt es sich um momentan rund 245 Berufe. Im Jahr 2004 waren es erst rund 200.

Stellen die OdA, der Bund oder die Kantone in der Fünfjahresüberprüfung einen Revisionsbedarf fest, wird bei kleinen Anpassungen eine Teilrevision eingeleitet. Sind einschneidende Veränderungen nötig, startet eine Totalrevision. Die einzelnen Schritte im Berufsentwicklungsprozess sind durch das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) klar vorgegeben.

Reformprozess der Berufe

Quelle: SBFI / Die Volkswirtschaft

Totalrevision beim Beruf des Podologen

Beim Beruf des Podologen EFZ stellten die Verantwortlichen 2017 einen so grossen Veränderungsbedarf fest, dass eine Totalrevision notwendig war. Damit verbunden war auch eine Analyse des Berufes an sich. In Workshops sammelten, notierten und strukturierten ausgelernte Podologen ihre aktuellen beruflichen Tätigkeiten. Zudem diskutierten sie mögliche künftige Veränderungen im Berufsfeld und deren Auswirkung auf die tägliche Arbeit in den Podologiepraxen. Nebst der Schwierigkeit, die zentralen künftigen Entwicklungen zu benennen, stand dabei immer wieder die Frage im Zentrum, welche Handlungskompetenzen die Berufsleute für die Arbeit in den Betrieben benötigen.

Auf Grundlage der Resultate aus dem Workshop entstand das zentrale Dokument für den Berufsentwicklungsprozess: das Qualifikationsprofil. Kurz und bündig werden darin das Berufsbild und das Anforderungsniveau beschrieben sowie die relevanten Handlungskompetenzen aufgelistet. Für Podologen zum Beispiel die Handlungskompetenz «Orthesen nach Mass anfertigen». Der Prozess und die damit verbundenen Diskussionen sind emotional: Manche Workshopteilnehmende möchten alte, lieb gewonnene Tätigkeiten vor dem Verschwinden bewahren. Aber auch die Relevanz von zukünftigen Entwicklungen wird oft unterschiedlich beurteilt. Lassen sich sowohl die Workshopteilnehmenden als auch die Verantwortlichen der OdA unvoreingenommen darauf ein, lässt sich ein zukunfts- und praxisorientiertes Qualifikationsprofil erarbeiten.

Bildungsplan entwickeln

Im nächsten Schritt entwickelte die Arbeitsgruppe der Podologen auf der Grundlage des Qualifikationsprofils den Bildungsplan. Dieser definiert auf Grundlage der Handlungskompetenzen für den Betrieb, für die überbetrieblichen Kurse und die Berufsfachschule, was ausgebildet werden muss. Daher bestand die Gruppe aus Vertretungen der drei Lernorte. Kontroverse Diskussionen darüber, welche Inhalte in eine zukunftsorientierte Grundbildung gehören, sind ein zentraler Bestandteil des Prozesses. Der Fokus liegt dabei auf den Betrieben: Was bedeutet die Umsetzung der Handlungskompetenzen konkret im beruflichen Alltag?

Darauf aufbauend, definierte die Arbeitsgruppe die Leistungsziele für die überbetrieblichen Kurse und die Berufsfachschule. Diese Leistungsziele sollen die Ausbildung im Betrieb optimal unterstützen. Dies ist oft ein schmerzlicher Prozess, weil entschieden wird, welche über Jahre vermittelten Lerninhalte zukünftig weggelassen werden müssen.

Bildungsverordnung festlegen

Parallel zur Arbeit am Bildungsplan legten die Mitglieder der Schweizerischen Kommission für Berufsbildung und Qualität (B&Q) die Eckwerte der Bildungsverordnung fest. Sie ist für jeden Beruf das zentrale Entscheidungsorgan und setzt sich aus Vertretern des Bundes, der Kantone, der Fachlehrpersonen, der überbetrieblichen Kurse sowie Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen zusammen. Die Kommission diskutierte die von der Bildungsplan-Arbeitsgruppe vorbereiteten Vorschläge zur Ausgestaltung der Abschlussprüfung, zur Anzahl der Tage für überbetriebliche Kurse und zur Gestaltung der Lektionentafel für den Unterricht an der Berufsfachschule. Schlussendlich trifft sie die finale Entscheidung über die Bildungsverordnung. Sind die Bildungserlasse kontrolliert und bereinigt, erlässt das SBFI die Dokumente, und die Umsetzung beginnt.

Bildungsgrundlagen umsetzen

Nun gilt es die erneuerte Ausbildung in den Betrieben, den überbetrieblichen Kursen und den Berufsfachschulen einzuführen. Nur weil es neue Bildungsgrundlagen gibt, ändert sich die Ausbildung an den drei Lernorten nicht automatisch. Die Umsetzung braucht daher viel Zeit und Fingerspitzengefühl. Vorgegeben ist, dass die Ausbildung handlungskompetenzorientiert erfolgen soll. Dies bedeutet, dass einerseits die in Form von Handlungskompetenzen abgebildete berufliche Praxis im Vordergrund steht und nicht einzelne Lerninhalte wie beispielsweise Fachrechnen. Andererseits sind die Lernorte angehalten, ihre Ausbildung aufeinander abzustimmen. Dies geschieht, indem für alle Lernorte grob festgelegt wird, welche Handlungskompetenzen und Leistungsziele wann ausgebildet werden. So bilden zum Beispiel bei den Seilbahnen der Betrieb, die Berufsfachschule und die überbetrieblichen Kurse die Handlungskompetenz «Bahnbetrieb sicherstellen und überwachen» im gleichen Semester aus. Für die Berufsfachschule bedeutet dies meist eine einschneidende Umstellung. Lehrpersonen, die bis anhin Fächer wie Materialkunde unterrichtet haben, müssen sich auf den Unterricht nach der Struktur der Handlungskompetenzen einlassen. Dies bietet die Chance, den Unterricht praxisnah und für die Lernenden einfacher nachvollziehbar zu gestalten. Für die Lehrpersonen ist es aber oft sehr aufwendig, ihren Unterricht neu aufzubauen. Die Umsetzung dauert üblicherweise drei bis vier Jahre und schliesst mit der ersten regulären Durchführung des Qualifikationsverfahrens mit Abschlussprüfung ab.

Neue Berufe

Entsteht ein neuer Beruf wie beispielsweise der Medizinproduktetechnologe EFZ, läuft der Prozess grundsätzlich gleich ab. Anstatt einer Fünfjahresüberprüfung steht am Anfang eine Bedarfsabklärung, ob der Beruf im Markt auch Bestand hat. Ist dies gegeben, kann der Prozess der Berufsentwicklung beginnen. Die Herausforderung besteht darin, diejenigen Personen für die Workshops zu finden, die über die Anforderungen an den neuen Beruf am besten Bescheid wissen. Die Umsetzung ist für alle Beteiligten aufwendiger, da nicht auf bestehende Strukturen zurückgegriffen werden kann. So stellt sich zum Beispiel die Frage nach Schulorten und Standorten der überbetrieblichen Kurse. Berufsbildende müssen von Grund auf geschult und die Abläufe rund um das Qualifikationsverfahren eingespielt werden.

Zitiervorschlag: Barbara Petrini (2022). Wie Berufe den Anforderungen der Wirtschaft angepasst werden. Die Volkswirtschaft, 14. November.

Das Zentrum für Berufsentwicklung an der EHB

Das Zentrum für Berufsentwicklung (ZfB) an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB) berät, begleitet und unterstützt die Organisationen der Arbeitswelt und Trägerschaften der beruflichen Grundbildung sowie der höheren Berufsbildung in allen Etappen der Entwicklung ihrer Berufe. Dabei fördert es insbesondere die Handlungskompetenzorientierung an allen Lernorten. Überdies unterstützt das ZfB die Verbundpartner bei der digitalen Transformation sowie bei individuellen Anliegen innerhalb der Berufsbildung.