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Wie viel Berufsbildung steckt im Schweizer Arbeitsmarkt?

Die Berufsbildung trägt zum Erfolg des gut funktionierenden Schweizer Arbeitsmarktes bei. Sie bietet den grossen Vorteil, dass sie sich durch ihre Arbeitsmarktnähe rasch an neue Gegebenheiten anpassen kann. In den letzten zehn Jahren fand eine Höherqualifizierung in Richtung tertiärer Bildungsabschlüsse statt.
Erwerbstätige mit beruflicher Grundbildung sind bei den Handwerksberufen besonders stark vertreten. Eine Bäckerin bei den Schweizer Berufsmeisterschaften in Bern. (Bild: Keystone)

Wenn es darum geht, den Schweizer Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich zu charakterisieren, kommt man sehr rasch auf das duale Berufsbildungssystem zu sprechen. In keinem anderen System ist die Ausbildung so eng mit dem Arbeitsmarkt verbunden. Von der tiefen (Jugend-)Arbeitslosigkeit über die allgemein hohe Arbeitsmarktbeteiligung bis zur ausgewogenen Lohnverteilung – in all diesen Bereichen scheint das gut funktionierende Berufsbildungssystem einen Beitrag zum Erfolg zu leisten. Die Ausbildungsbereitschaft – insbesondere auch jene der kleinen und mittelgrossen Unternehmen – spielt dabei eine zentrale Rolle. Der folgende Artikel zeigt auf, welchen Stellenwert die Berufsbildung für den Schweizer Arbeitsmarkt hat und wie sich dieser über die letzten rund zehn Jahre verändert hat.

Berufliche Grundbildung stark verbreitet

Um die Bedeutung der Berufsbildung zu beschreiben, greifen wir auf Auswertungen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake)[1] zurück. Von den Erwerbspersonen[2] im Jahr 2020 hatten 58 Prozent einmal eine berufliche Grundbildung – also je nach Beruf eine zwei-, drei- oder vierjährige Lehre – absolviert. Die Lernenden erhalten nach bestandenem Qualifikationsverfahren ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) oder ein Eidgenössisches Berufsattest (EBA). Diese werden in der ganzen Schweiz anerkannt. Ein Drittel der Erwerbspersonen mit beruflicher Grundbildung hatte anschliessend eine weiterführende Ausbildung auf der Tertiärstufe abgeschlossen. 29 Prozent aller Erwerbspersonen hatten zuerst einen allgemeinbildenden Abschluss – etwa eine gymnasiale Maturität – erworben, wovon vier Fünftel danach noch eine tertiäre Ausbildung angehängt hatten. 13 Prozent verfügten über keine nachobligatorische Schulbildung (siehe Abbildung 1).

Im Vergleich zu 2010 hat sich der Anteil der Erwerbspersonen, die mit einer beruflichen Grundbildung ins Erwerbsleben eingestiegen sind, von damals 60 Prozent nur leicht verringert. Hingegen ist der Anteil jener, die nach der beruflichen Grundbildung eine Tertiärausbildung absolviert haben, um 4 Prozentpunkte auf 19 Prozent sehr deutlich gestiegen. Es fand also innerhalb der beruflichen Bildung eine bemerkenswerte Höherqualifizierung statt. Im gleichen Zeitraum gewann die Allgemeinbildung insgesamt an Bedeutung, wobei diese Zunahme auf den steigenden Anteil an Erwerbspersonen mit einem Hochschulabschluss zurückzuführen ist. Erfreulich ist, dass der Anteil von Personen, die lediglich über einen obligatorischen Schulabschluss verfügen, um 5 Prozentpunkte abgenommen hat.

Abb. 1: Ausbildungsstruktur der 15- bis 64-jährigen Erwerbspersonen in der Schweiz, 2010 und 2020 (in Prozent)

Quelle: Bundesamt für Statistik (BFS) / Sake, Auswertungen Seco / Die Volkswirtschaft

Mehr Berufsbildung in der Deutschschweiz und bei Männern

Mit 61 Prozent lag der Anteil der Erwerbspersonen mit beruflicher Grundbildung in der Deutschschweiz über dem Schweizer Durchschnitt (siehe Abbildung 2). Im Tessin war er mit 57 Prozent leicht und in der Romandie mit 47 Prozent deutlich darunter, was die traditionell kleinere Rolle der beruflichen Ausbildung in der lateinischen Schweiz widerspiegelt. Seit 2010 hat die Allgemeinbildung in allen Sprachregionen an Bedeutung gewonnen. In der französischen Schweiz ist sie mit 35 Prozent der Erwerbspersonen aber eindeutig von grösster Relevanz, im Vergleich zu 29 Prozent im Tessin und 27 Prozent in der Deutschschweiz. Der Anteil der Erwerbspersonen ohne nachobligatorischen Schulabschluss ist in der Deutschschweiz am tiefsten. Dies dürfte ein Indiz dafür sein, dass die stärker verbreitete berufliche Grundbildung auch für schulisch schwächere Schüler die Chance bietet, einen eidgenössischen Abschluss auf Sekundarstufe II zu erlangen.

Eine Auswertung nach Geschlecht zeigt, dass Männer mit einem Anteil von 61 Prozent der Erwerbspersonen deutlich häufiger über eine Berufsausbildung verfügen als Frauen mit einem Anteil von 54 Prozent. Dies hängt auch damit zusammen, dass männlich geprägte Berufsabschlüsse häufiger über eine Berufsbildung erlangt werden als Berufe, die öfter von Frauen ausgeübt werden. Bei der Allgemeinbildung ist es gerade umgekehrt: So hat jede dritte Frau mindestens einen allgemeinbildenden Sek-II-Abschluss, während es bei den Männern nur jeder Vierte ist. Der Anteil ohne nachobligatorische Schulbildung liegt bei Frauen und Männern bei je 13 Prozent.

Abbildung 2: Ausbildungsstruktur der 15- bis 64-jährigen Erwerbspersonen nach verschiedenen Merkmalen, 2020 (in Prozent)

Quelle: BFS / Sake, Auswertungen Seco / Die Volkswirtschaft

Weniger Berufsbildung bei den Zugewanderten

Die Bedeutung der beruflichen Grundbildung auf der Sekundarstufe II ist in der Schweiz im internationalen Vergleich besonders gross. Dies bringt es mit sich, dass durch die Zuwanderung der Anteil an Erwerbspersonen mit beruflicher Grundbildung tendenziell abnimmt. Sichtbar wird dies, wenn man die Zusammensetzung der Ausbildungsabschlüsse nach Einwanderungsstatus abbildet. 2020 hatten von den Erwerbspersonen, die nach ihrem 15. Geburtstag in die Schweiz eingewandert waren, 46 Prozent einen allgemeinbildenden Bildungsweg durchlaufen. Nur 32 Prozent hatten eine berufliche Grundbildung absolviert. Der hohe Anteil an Erwerbspersonen mit einem allgemeinbildenden Abschluss bei den im Alter von über 15 Jahren Zugewanderten ist dabei sehr stark durch Personen mit einem Hochschulabschluss getrieben, welche in den letzten Jahren vor allem in der Europäischen Union (EU) und den Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) vermehrt rekrutiert wurden. Betrachtet man lediglich jene Personen (Nationalität Schweiz und Ausland), die im Alter von 15 Jahren bereits in der Schweiz gelebt haben, zeigt sich über die letzten zehn Jahre, dass die Berufsbildung weiterhin attraktiv bleibt. So hat sich deren Anteil gegenüber 2010, als er bei 66 Prozent lag, sogar noch leicht auf 68 Prozent erhöht.

Berufliche Grundbildung verhilft zu Arbeitsmarkterfolg

Personen mit einer beruflichen Grundbildung sind auf dem Schweizer Arbeitsmarkt sehr begehrt. Ihre Erwerbsbeteiligung ist hoch und ihre Erwerbslosenquote tief. Im Vergleich zu Erwerbspersonen mit allgemeiner Ausbildung nehmen sie sogar häufiger am Arbeitsmarkt teil und sind besser gegen tiefe Löhne versichert – unabhängig davon, ob sie anschliessend einen Abschluss auf Tertiärstufe erworben haben. Einzig bei den sehr hohen Löhnen sind Personen, die eine Berufsbildungslaufbahn gemacht haben, gegenüber solchen mit allgemeiner Hochschulbildung im Nachteil.[3]

Die Bedeutung der beruflichen Ausbildung ist je nach Branche sehr unterschiedlich. Am höchsten ist der Anteil Erwerbstätiger mit beruflicher Grundbildung in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, im verarbeitenden Gewerbe, in den Bereichen Verkehr und Lagerei sowie Handel und Reparatur. In diesen Branchen machen Erwerbstätige mit beruflicher Grundbildung mehr als zwei Drittel der Arbeitskräfte aus. In beruflicher Hinsicht sind Erwerbstätige mit beruflicher Grundbildung bei den Bürokräften und im Handwerk besonders stark vertreten.

Erwerbstätige mit einer allgemeinen Ausbildung sind demgegenüber häufiger in den Branchen Erziehung und Unterricht sowie Information und Kommunikation tätig. Auch sind sie öfter in freiberuflichen, technischen und wissenschaftlichen Dienstleistungsunternehmen vertreten. Nicht überraschend arbeiten sie auch überdurchschnittlich oft in intellektuellen und wissenschaftlichen Berufen sowie als Führungskräfte.

Berufsausbildung in Zukunft erfolgreich?

Der Anteil der Erwerbspersonen mit einer beruflichen Grundbildung ging in den letzten zehn Jahren leicht zurück. Allerdings gilt dies nicht für Personen, die sich im Alter von 15 Jahren bereits in der Schweiz befanden.

In der Berufsbildung selbst fand eine Höherqualifizierung in Richtung tertiärer Bildungsabschlüsse statt. Mit der höheren Berufsbildung und den Fachhochschulen stehen attraktive Karrierewege offen. Gerade diese Personen erzielen auf dem Arbeitsmarkt sehr gute Ergebnisse, nicht zuletzt, weil sie im Zuge des Strukturwandels und der technischen Entwicklungen, wie beispielsweise der Digitalisierung, von den Unternehmen stark nachgefragt werden.

Die Berufsbildung bietet den grossen Vorteil, dass sie sich durch ihre Arbeitsmarktnähe rasch an neue Gegebenheiten anpassen kann. Zudem besteht für Unternehmen ein ureigenes Interesse, Lernende für sich zu gewinnen und adäquat auszubilden. Die weiteren Artikel zum Themenschwerpunkt «Berufsbildung im steten Wandel» geben hierzu tiefere Einblicke.

  1. Die Sake ist repräsentativ für die ständige Wohnbevölkerung ab 15 Jahren. Grenzpendelnde und Kurzaufenthalterinnen und Kurzaufenthalter sind in dieser Betrachtung somit nicht enthalten. []
  2. Unter dem Begriff Erwerbspersonen werden erwerbstätige und erwerbslose (gemäss International Labour Organisation ILO) Personen subsummiert. Erwerbspersonen umfassen somit alle Personen, die ihre Dienstleistungen auf dem Arbeitsmarkt anbieten. Die qualitativen Aussagen, welche aus Abbildung 1 abgeleitet wurden, sind für Erwerbspersonen im Alter von 25 bis 64 sowie für die gesamte Wohnbevölkerung ab 15 Jahren sehr ähnlich. []
  3. Manuel Aepli, Andreas Kuhn und Jürg Schweri (2021). Der Wert von Ausbildungen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Grundlagen für die Wirtschaftspolitik Nr. 31. Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, Bern, Schweiz. []

Zitiervorschlag: Amélie Speiser, Bernhard Weber (2022). Wie viel Berufsbildung steckt im Schweizer Arbeitsmarkt. Die Volkswirtschaft, 15. November.