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Bringt Handel Wandel?

Das Thema Nachhaltigkeit fordert auch die Aussenwirtschaftspolitik der Schweiz. Führt internationaler Handel zu einem wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Wandel?

Bringt Handel Wandel?

Mit dem Wohlstand steigt die Nachfrage nach Umweltschutz: Klimaprotest in Berlin im Jahr 2020. (Bild: Keystone)

Der internationale Handel hatte auch schon einen besseren Ruf. Mit der militärischen Invasion Russlands in die Ukraine fühlen sich nun diejenigen Stimmen bestätigt, die es schon immer wussten: Der internationale Handel bringt nicht den erhofften gesellschaftlichen Wandel hin zu einer besseren Welt. Ins gleiche Horn blasen die Klimaaktivisten. Aus ihrer Sicht ist die Globalisierung für die weltweite Übernutzung natürlicher Ressourcen verantwortlich. Doch stimmen diese Anschuldigungen? Wie gross sind die Zielkonflikte zwischen Handel und Nachhaltigkeit tatsächlich?

Sozialer Aufschwung folgt

Zunächst einmal gilt es festzuhalten: Die Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 des Bundesrats bezieht sich auf die UNO-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und berücksichtigt drei Dimensionen – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, gesellschaftliche Solidarität und ökologische Verantwortung. Diese drei Ziele sollen nicht gegeneinander ausgespielt, sondern gleichrangig angestrebt werden. Trifft dieser Anspruch auf den internationalen Handel zu?

Die positiven Auswirkungen des Handels auf den Wohlstand sind an sich nach wie vor unbestritten. Dies gilt nicht nur für die Schweiz, sondern weltweit. Die zunehmende weltwirtschaftliche Verflechtung erleichterte die Verbreitung neuer Technologien, schaffte höheren ökonomischen Wohlstand sowie zusätzliche Arbeitsplätze. Seit 1990 verringerte sich der Anteil von Personen in extremer Armut weltweit um 78 Prozent (siehe Abbildung).

Der Befund stimmt deshalb grundsätzlich zuversichtlich: Wenn global integrierte Volkswirtschaften einen höheren Wohlstand verzeichnen als vom Handel abgeschottete Länder, sind im Dreieck der Nachhaltigkeit – zumindest zwischen der wirtschaftlichen und der sozialen Dimension – die Zielkonflikte überwindbar. Voraussetzung für ein symbiotisches Zusammenspiel der wirtschaftlichen und der sozialen Entwicklung sind allerdings Regierungen, die nicht nur den Zugang zu Märkten öffnen, sondern auch grundlegende Menschenrechte respektieren und in leistungsfähige Bildungssysteme, funktionsfähige Arbeitsmärkte sowie Sozial- und Gesundheitspolitik investieren.

Weltweiter Bevölkerungsanteil in extremer Armut (1990–2019)

Definition extreme Armut: Weniger als 2.15 Dollar pro Tag zu Preisen von 2017. Daten sind korrigiert um Inflation und international unterschiedliche Lebenshaltungskosten.

Quelle: Weltbank / Die Volkswirtschaft

 

Umweltschäden nur vorübergehend?

Schwieriger einzuschätzen beim internationalen Handel ist das Ausmass an Zielkonflikten zwischen der wirtschaftlichen und der ökologischen Dimension der Nachhaltigkeit. Geht mit zunehmendem Handel zwingend auch ein übermässiger Verbrauch natürlicher Ressourcen einher? Diese Frage kann nicht abschliessend beantwortet werden, da in der wissenschaftlichen Literatur weder klar positive noch klar negative Auswirkungen der Handelsliberalisierung auf die Umwelt nachgewiesen werden können.

Laut den optimistischen Interpreten geht ab einem bestimmten Wohlstandsniveau die wirtschaftsabhängige Umweltbelastung wieder zurück, wie dies die sogenannte Umwelt-Kuznets-Kurve suggeriert.

Begründet wird diese Hypothese damit, dass sich gewisse Determinanten mit steigendem Wohlstand verändern: So steigen die Präferenzen für mehr Umweltschutz, und es gibt mehr Innovationen für einen effizienteren Ressourceneinsatz. Ebenso setzt ein Strukturwandel ein hin zu einer weniger ressourcenbelastenden Dienstleistungsgesellschaft.

Tatsächlich können solche positiven Entwicklungen für lokale oder regionale Umweltbelastungen wie Luftschadstoffe oder Energieverbrauch empirisch bestätigt werden. Auf makroökonomischer Ebene lässt sich zeigen, dass es in den letzten Jahrzehnten in westlichen Industrieländern aufgrund technologischer Innovationen zumindest zu einer teilweisen Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und zunehmendem Ressourcenverbrauch gekommen ist. Und selbst frühere Entwicklungsländer wie Südkorea oder Taiwan entwickeln sich weiter in Richtung Dienstleistungsgesellschaften. Geht man davon aus, dass der internationale Transfer effizienterer Technologien die Emissionen gerade auch in Schwellen- und Entwicklungsländern gesenkt hat, kann dem internationalen Handel eine neutrale bis positive Auswirkung auf den Umgang mit natürlichen Ressourcen attestiert werden.

Höhere Einkommen, mehr Emissionen

Die pessimistischeren Stimmen verweisen jedoch auf die Tatsache, dass die Treibhausgasemissionen vor allem auch in weniger entwickelten Volkswirtschaften stark zugenommen haben. Dies kann damit erklärt werden, dass die internationale Marktöffnung sowie sinkende Transportkosten Produktionsstandorte von Hochlohnländern in Tieflohnländer verlagert haben. Zumindest indirekt wurden damit teilweise auch Emissionen in Tieflohnländer transferiert. Denn Vorleistungen, die zuvor in Industrieländern hergestellt wurden, konnte man neu aus weit entfernten Wirtschaftsräumen beziehen.

Doch waren die in der Regel tieferen Umweltvorschriften in Schwellen- und Entwicklungsländern direkt dafür verantwortlich, dass weniger wertschöpfungsintensive Produkte ausgelagert wurden?[1] Die Evidenz zu dieser Hypothese ist unklar.[2] Dagegen spricht etwa der relativ geringe Anteil der Umweltkosten an den Gesamtkosten von Produktionsstätten. Zudem scheint vor allem auch der steigende Pro-Kopf-Konsum in Entwicklungsländern ein zentraler Treiber für die weltweit wachsenden Emissionen zu sein.[3] Denn wenn Millionen von Menschen die Armut verlassen, eine geheizte Wohnung und wirksamere Medikamente haben, nimmt unweigerlich auch der CO2-Ausstoss zu.

Aus Sicht der sozialen Nachhaltigkeit ist der zunehmende Wohlstand also eine erfreuliche Entwicklung. Aber bei der ökologischen Dimension der Nachhaltigkeit kommt es tatsächlich zu Zielkonflikten.

Pragmatische Umsetzung

Unter dem Strich bringt Handel dennoch positiven Wandel. Auch wenn sich die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik gewissen Zielkonflikten nicht entziehen kann. Der Bundesrat betont deshalb in seiner Aussenwirtschaftsstrategie, dass die Aussenwirtschaftspolitik «dem Erhalt und der Steigerung des Wohlstandes der Bevölkerung dient – im Einklang mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung».[4] Der Begriff «Einklang» verweist auf die eingangs erwähnten drei Zieldimensionen in der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030. Inhaltliche Zielkonflikte und negative Nebeneffekte werden gemäss der Strategie identifiziert und offengelegt. Dies gilt auch für die Aussenwirtschaftspolitik.

Beim Handel engagiert sich die Schweiz primär für multi- oder plurilaterale Lösungsansätze. Die Hebelwirkung ist dort am grössten. Im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) sowie anderer internationaler Organisationen und Gremien unterstützt sie beispielsweise Initiativen für die Liberalisierung des Handels mit Umweltgütern und -dienstleistungen wie Sonnen- oder Windkraftanlagen und deren Montage- und Unterhaltsdienstleistungen oder Technologien im Bereich Umweltanalytik und Entsorgung. Ebenso engagiert sich die Schweiz für den Abbau von umweltschädlichen Subventionen für fossile Energien. Die Diffusion von Technologien und Produkten mit besonderem umweltpolitischem Nutzen knüpft an die erwähnten positiven Erkenntnisse in den Bereichen Luftschadstoffe und Energieverbrauch an.

Um bilaterale Wirtschaftsbeziehungen nachhaltiger zu gestalten, sieht die Schweiz darüber hinaus in ihren Freihandelsabkommen verbindliche Nachhaltigkeitsbestimmungen vor. Die Vertragsparteien verpflichten sich darin, die mit dem Freihandelsabkommen verfolgten wirtschaftlichen Ziele mit jenen beim Umweltschutz und bei den Arbeitsrechten in Übereinstimmung zu bringen. Es werden auch vermehrt die potenziellen Nachhaltigkeitswirkungen der Abkommen geprüft. Zudem verstärken die Schweiz und ihre Efta-Partner laufend ihre Bemühungen zur Überwachung der Umsetzung der entsprechenden Bestimmungen.

Alles in allem erlaubt eine weitsichtige, aber auch pragmatische Verfolgung aller Nachhaltigkeitsziele, dass Handel auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zum weltweiten Wandel hin zu nachhaltigem Wohlstand leisten wird.

 

  1. Siehe den Artikel von Scott Taylor in diesem Schwerpunkt. []
  2. Siehe Hoekstra, Michel und Suh (2016). []
  3. Siehe Arto und Dietzenbacher (2014). []
  4. Siehe Bundesrat (2021). []

Literaturverzeichnis
  • Arto, Iñaki und Erik Dietzenbacher (2014). Drivers of the Growth in Global Greenhouse Gas Emissions. Environmental Science & Technology, 48:10, 5388–5394.
  • Bundesrat (2021). Strategie zur Aussenwirtschaftspolitik. Bern, 24. November 2021.
  • Hoekstra, Rutger, Bernhard Michel und Sangwon Suh (2016). The Emission Cost of International Sourcing; Using Structural Decomposition Analysis to Calculate the Contribution of International Sourcing to CO2-Emission Growth. Economic Systems Research, 28:2, 151–167.

Bibliographie
  • Arto, Iñaki und Erik Dietzenbacher (2014). Drivers of the Growth in Global Greenhouse Gas Emissions. Environmental Science & Technology, 48:10, 5388–5394.
  • Bundesrat (2021). Strategie zur Aussenwirtschaftspolitik. Bern, 24. November 2021.
  • Hoekstra, Rutger, Bernhard Michel und Sangwon Suh (2016). The Emission Cost of International Sourcing; Using Structural Decomposition Analysis to Calculate the Contribution of International Sourcing to CO2-Emission Growth. Economic Systems Research, 28:2, 151–167.

Zitiervorschlag: Eric Scheidegger (2022). Bringt Handel Wandel. Die Volkswirtschaft, 13. Dezember.