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Das CO2-Grenzausgleichs­system der EU: Stand der Verhandlungen

Produzenten können strenge Umweltvorschriften in der EU umgehen, indem sie die Produktion ins Ausland verlagern. Das will die EU nun unterbinden. Mit Folgen für die Schweiz.

Das CO<sub>2</sub>-Grenzausgleichs­system der EU: Stand der Verhandlungen

Stahl und andere emissionsintensive Importe in die EU sollen mit einer CO2-Ausgleichssteuer belegt werden, so der Vorschlag der EU-Kommission. (Bild: Keystone)

Es könnte ein folgenreicher Entscheid werden, wenn die EU ihre internen Verhandlungen Ende dieses Jahres abschliesst.[1] Konkret geht es um das von der Europäischen Kommission im Juli 2021 vorgeschlagene CO2-Grenzausgleichssystem[2] (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM). Dieses ist Teil des Klimapakets «Fit for 55» der Europäischen Union, das die Treibhausgasemissionen der EU bis 2030 um 55 Prozent reduzieren soll.

Die ehrgeizige Agenda beinhaltet eine starke Verschärfung der EU-Treibhausgasemissionsvorschriften. So soll etwa das EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS) überarbeitet und auf weitere Sektoren ausgeweitet werden. Zudem soll die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten schrittweise auslaufen. Dies gilt insbesondere für Industrieanlagen in emissionsintensiven, dem Handel ausgesetzten Produktionssektoren für Stahl, Aluminium, Strom, Zement und Düngemittel. Die Reformen dürften zu steigenden CO2-Preisen und damit höheren Produktionskosten in diesen Sektoren führen.

Problematische Produktionsverlagerungen

Hintergrund für die höhere Besteuerung von CO2-Emissionen via Modernisierung des EHS in der EU ist der Wunsch nach einer Internalisierung externer Produktionskosten gemäss dem Verursacherprinzip. Sie soll finanzielle Anreize für die Dekarbonisierung der Industrie in der EU und generell zur Überwindung negativer Umwelteffekte schaffen. Um zu verhindern, dass Unternehmen die Belastung durch das Emissionshandelssystem umgehen, indem sie ihre Produktion aus der EU in Länder mit weniger strengen Umweltregulierungen verlagern, hat die EU-Kommission CBAM entwickelt.

Die EU geht davon aus, dass Länder mit einer vergleichsweise laschen Umweltpolitik eine die Umwelt stärker verschmutzende Produktion von Waren und Dienstleistungen anziehen. Die Überlegung ist, dass ein Anstieg der Produktionskosten in der EU, der aus dem reformierten EU-Emissionshandelssystem resultiert, zur Abwanderung emissionsintensiver Produktionen aus der EU in sogenannte Verschmutzungsparadiese mit laschen Umweltregulierungen führt. Unter dem Strich würden dadurch die Treibhausgaseinsparungen der EU verringert oder sogar zunichtegemacht.

Studien[3] zeigen, dass die Furcht der EU nicht ganz unbegründet ist. Ihnen zufolge liegen die durchschnittlichen Verlagerungsraten für Länder mit klimapolitischen Regelungen und CO2-Preisen, die vergleichbar sind mit jenen der EU, bei zwischen 10 und 30 Prozent. Konkret heisst das: Für jede im Rahmen des EU-EHS reduzierte Tonne CO2 könnten die Emissionen im Ausland um bis zu 300 Kilogramm steigen. Das Ausmass der Kohlenstoffverlagerung hängt jedoch von einer Reihe weiterer Faktoren ab. So nimmt die Verlagerungsrate zu, je grösser die Differenz der Kohlenstoffpreise zwischen den Ländern ist, je grösser die Koalition von Ländern zur Eindämmung des Klimawandels ist (in diesem Fall die EU), je intensiver der Kohlenstoffausstoss in der Produktion und je höher die Preiselastizität der Nachfrage ist. Umgekehrt nimmt die Verlagerungsrate ab, je höher die Handelskosten sind und je besser die Wettbewerbsfähigkeit desjenigen Landes ist, das die Emissionsvorschriften verschärft.

Der CBAM-Vorschlag der Europäischen Kommission lässt solche wettbewerblichen Argumente allerdings unerwähnt. In ihrer Begründung stützt sich die Kommission vollständig auf die umweltpolitischen Gründe zur Vermeidung von Emissionsverlagerungen in Verschmutzungsparadiese. Im Falle einer Anfechtung der Regulierung vor der Welthandelsorganisation (WTO) ist das ein gutes juristisches Argument.

Der Vorschlag der Kommission

Die Einzelheiten der Gesetzgebung werden derzeit zwischen der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat in der sogenannten Trilog-Phase des EU-Gesetzgebungsverfahrens verhandelt. Der ursprüngliche CBAM-Vorschlag der Kommission sieht vor, den inländischen EHS-Preis für die Herstellung von Stahl, Aluminium, Zement, Elektrizität und Düngemitteln auch für Emissionen zu erheben, die in Einfuhren gleichartiger Produkte enthalten sind. Die Importeure dieser Produkte sollen gemäss dem Vorschlag CBAM-Erklärungen einreichen und CBAM-Zertifikate zum wöchentlichen EHS-Durchschnittspreis erwerben.

Die CBAM-Erklärung erlaubt dem Importeur, Daten über die tatsächlichen Emissionen des Importprodukts vorzulegen. Die Emissionsdaten müssen jedoch vorgängig von Prüfern der zuständigen nationalen Behörde eines EU-Mitgliedsstaates geprüft werden. Liegen keine geprüften Daten vor, sollen Standardwerte verwendet werden: entweder die durchschnittliche Emissionsintensität des Industriesektors im Herkunftsland oder – wenn keine solchen Daten verfügbar sind – die Emissionsintensität der 10 Prozent schlechtesten Anlagen in der EU.

Darüber hinaus will die Kommission explizite Kohlenstoffkosten, welche die Importeure im Herkunftsland bereits bezahlt haben, anrechnen. Nicht vorgesehen sind implizite Kohlenstoffkosten, die aus der in Produktionsprozessen verwendeten Elektrizität stammen. Während des dreijährigen Übergangszeitraums von 2023 bis 2026 sind die befugten Importeure nur verpflichtet, jährliche Berichte über die Importmengen und die eingebetteten Emissionen vorzulegen. Der Erwerb von CBAM-Zertifikaten soll erst ab 2026 Pflicht sein.

Länder, die vollständig in das EU-Emissionshandelssystem integriert oder mit diesem verbunden sind, sollen von der CBAM-Abgabepflicht ausgenommen werden. Dazu gehören die Efta-Länder Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz. Trotz dieser Ausnahme kommt auf diese Länder ein Mehraufwand im Handel mit emissionsintensiven Waren mit der EU zu.

Wird nun alles viel teurer?

Zu erwarten ist nur ein relativ geringer Anstieg der Handelskosten für die Handelspartner in den Herkunftsländern. Das zeigt jedenfalls eine erste Simulationsstudie[4]. Diese basiert auf dem Vorschlag der EU-Kommission. Insgesamt schätzen die Autoren dieser Studie, die vor dem Ukraine-Krieg erstellt wurde, die zusätzlichen Kosten für Importe aus Russland auf 602 Millionen Euro, aus der Ukraine auf 402 Millionen Euro, aus der Türkei auf 274 Millionen Euro, aus China auf 208 Millionen Euro, aus Südkorea auf 123 Millionen Euro und aus den Vereinigten Staaten auf 25 Millionen Euro. Diese Einnahmen würden dann dem EU-Haushalt zufliessen.

Allerdings: Misst man den Anteil der Grenzausgleichssteuer an den Gesamtexporten der erfassten Sektoren im Herkunftsland, so werden die vergleichsweise starken Auswirkungen deutlich – insbesondere für osteuropäische Nicht-EU-Staaten und Entwicklungsländer[5]. Untersuchungen[6] deuten darauf hin, dass die Regierungen verschiedener betroffener Volkswirtschaften bereits damit begonnen haben, Klimagesetze zu entwerfen und Mechanismen zur Kohlenstoffbilanzierung zu installieren, um sich auf das Inkrafttreten von CBAM Anfang 2023 vorzubereiten.

Doch die absoluten und relativen Kosteneffekte von CBAM könnten noch deutlich stärker werden. Dann nämlich, wenn sich das Europäische Parlament in den Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat durchsetzt. Denn während der Rat in seiner Position relativ nah am Kommissionsvorschlag geblieben ist, hat das Parlament einen wesentlich engagierteren Ansatz gewählt. Dieser sieht vor, dass die CBAM-Abgabe auch auf Wasserstoff, Polymere und organische Chemikalien erhoben wird und auch indirekte Emissionen erfassen soll, die aus der in Produktionsprozessen der abgedeckten Sektoren verwendeten Elektrizität stammen. Zudem sollen die zugewiesenen kostenlosen Zertifikate bereits 2032 auslaufen und nicht wie vorgesehen erst 2035.

Das EU-Parlament will ausserdem prüfen, ob später auch die übrigen EHS-Sektoren wie Papier, Glas etc. vom CBAM erfasst werden sollen. Und schliesslich hat das Parlament die Europäische Kommission aufgefordert, WTO-konforme Ausfuhrerstattungen für EHS-bedingte Kohlenstoffkosten vorzuschlagen.

Da der Abschluss der Trilog-Verhandlungen für Dezember 2022 erwartet wird, wird sich bald zeigen, welche Form der mit Spannung erwartete EU-Mechanismus zur Anpassung der Kohlenstoffgrenzwerte annehmen wird und wie die Handelspartner der EU auf die steigenden Handelskosten und den erhöhten Verwaltungsaufwand reagieren werden.

  1. Letzte Entwicklungen berücksichtigt bis zum Redaktionsschluss am 9.12.2022. []
  2. Siehe EU-Kommission (2021). []
  3. Siehe Felbermayr und Peterson (2020). []
  4. Siehe Assous et al. []
  5. Siehe Magacho, Espagne und Godin (2022). []
  6. Siehe Pauw, van Schaik und Cretti (2022). []

Literaturverzeichnis
  • Assous, Adrien, Thomas Burns, Byford Tsang, Domien Bangenechten und Belinda Schäpe (2021). A Storm in a Tea Cup. Impacts and Geopolitical Risks of the European Carbon Border Adjustment Mechanism. Sandbag und E3G. August.
  • Europäische Kommission (2021). Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council Establishing a Carbon Border Adjustment Mechanism. Brüssel. 14. Juli.
  • Felbermayr, Gabriel und Sonja Peterson (2020). Economic Assessment of Carbon Leakage and Carbon Border Adjustment. Kiel Institute for the World Economy (IfW Kiel). 14. April.
  • Magacho, Guilherme, Etienne Espagne und Antoine Godin (2022). Impacts of CBAM on EU Trade Partners: Consequences for Developing Countries. Agence française de développement. März.
  • Pauw, Pieter, Louise van Schaik und Giulia Cretti (2022). The CBAM Effect: How the World Is Responding to the EU’s New Climate Stick. Clingendael Institute. Mai.

Bibliographie
  • Assous, Adrien, Thomas Burns, Byford Tsang, Domien Bangenechten und Belinda Schäpe (2021). A Storm in a Tea Cup. Impacts and Geopolitical Risks of the European Carbon Border Adjustment Mechanism. Sandbag und E3G. August.
  • Europäische Kommission (2021). Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council Establishing a Carbon Border Adjustment Mechanism. Brüssel. 14. Juli.
  • Felbermayr, Gabriel und Sonja Peterson (2020). Economic Assessment of Carbon Leakage and Carbon Border Adjustment. Kiel Institute for the World Economy (IfW Kiel). 14. April.
  • Magacho, Guilherme, Etienne Espagne und Antoine Godin (2022). Impacts of CBAM on EU Trade Partners: Consequences for Developing Countries. Agence française de développement. März.
  • Pauw, Pieter, Louise van Schaik und Giulia Cretti (2022). The CBAM Effect: How the World Is Responding to the EU’s New Climate Stick. Clingendael Institute. Mai.

Zitiervorschlag: David Kleimann (2022). Das CO2-Grenzausgleichs­system der EU: Stand der Verhandlungen. Die Volkswirtschaft, 09. Dezember.