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Die Freundin der Haie

Der internationale Handel kann auch verheerende Folgen haben, wie das Beispiel der Jagd auf Haie zeigt. Doch die ökonomische Theorie kommt den Haien zu Hilfe und zeigt, wo das Problem liegt.

Die Freundin der Haie

Ein weisser Hai vor der Küste Mexikos. (Bild: Keystone)

Als ich vor zehn Jahren den Dokumentarfilm «Sharkwater» und weitere Dokumentationen zum Verhalten von Haien anschaute, war ich überrascht und schockiert. Überrascht, weil Haie über erstaunliche Sinne der Wahrnehmung verfügen und gegenüber dem Menschen viel weniger gefährlich sind, als man uns in Filmen und Medien glauben macht. Schockiert, weil ich erfuhr, dass Haie massenweise – man spricht von über 100 Millionen Tieren pro Jahr – und auf brutale Weise getötet werden: Man schneidet ihnen die Flossen vom Leib und wirft die noch lebenden Haie anschliessend zum grossen Teil ins Meer zurück, wo sie langsam zu Boden sinken und verenden. Zudem wurden im Film Berge von getrockneten Haifischflossen gezeigt, die über den internationalen Handel in der asiatischen Küche landen.

Dies war der Startschuss zur eigenen Forschung: Ich wollte verstehen, was hier abläuft, zumal im Film die Ursache für dieses «Multimilliarden-Geschäft» in einer «verbesserten Marktwirtschaft» («Improved Market Economics») gesehen wurde, was ich als implizite Kritik am Profitstreben in offenen Marktwirtschaften interpretierte. Ich fragte mich, ob hier dieselben Mechanismen am Werk sind, auf die mein Kollege Scott Taylor in einer bahnbrechenden Forschungsarbeit zur Beinahe-Ausrottung des amerikanischen Büffels um 1870 hingewiesen hatte.[1]

Taylor bewies darin, dass eine Innovation in der europäischen Gerbereiindustrie es von heute auf morgen möglich machte, die dicke Büffelhaut für zahlreiche Anwendungen zu verarbeiten. Dies löste ein regelrechtes Abschlachten der amerikanischen Büffel aus, die innerhalb weniger Jahre von mehreren Millionen bis auf ganz wenige Exemplare dezimiert wurden: Ihre Häute wurden nach Europa exportiert, das Büffelfleisch hingegen verrottete in den frei zugänglichen «Great Plains» – der Prärie, die sich in der Mitte der USA von Nord nach Süd erstreckt.

«Droht den Haien dasselbe Schicksal?», ging es mir durch den Kopf. Oder vielleicht noch schlimmer: «Gehören die seit Millionen von Jahren majestätisch schwimmenden Haie schon bald der Vergangenheit an, mit wohl katastrophalen Konsequenzen für das ökologische Gleichgewicht der Meere?»

Ethik allein genügt nicht

Im Parlament in Bern fand in dieser Zeit eine interessante Debatte statt.[2] Der Walliser SVP-Nationalrat Oscar Freysinger hatte im April 2013 die Motion «Kein Import von Haifischflossen» eingereicht, welche der Bundesrat zur Ablehnung empfahl. Sie wurde vom Nationalrat zwei Jahre später aber deutlich angenommen. Die Motion betraf die Art, wie die Haie aufgrund des sogenannten Shark-Finnings getötet wurden. «Es ist der menschlichen Zivilisation unwürdig, ein solches Prozedere weiterhin zu dulden. Die Schweiz sollte mit dem Beispiel vorangehen und den Import von Haifischflossen verbieten», so die Motion.

Der Bundesrat teilte diese Auffassung, war aber gegen ein Importverbot. Er betonte, dass die Schweiz gemäss Zollstatistik gar keine Haifischflossen importiere und dass auf internationaler Ebene einiges gegen diese Art des Haifischfangs getan werde. Zudem hatte der Bundesrat auch Bedenken, ob ein Importverbot kompatibel wäre mit der Welthandelsorganisation (WTO). Doch Freysinger überzeugte dies nicht: «Entweder ist man für den Tierschutz und verhält sich zivilisiert, auch den Haifischen gegenüber, oder man kann das Wort ‹Zivilisation› von seiner Fahne streichen.»

In der Debatte im Ständerat hob der Solothurner SP-Ständerat Roberto Zanetti die Chance der Schweiz hervor, hier ein klares Signal zu senden, «dass dieses ‹shark finning› (…) schlicht und einfach unanständig, abscheulich und abstossend ist». Trotzdem lehnte die kleine Kammer die Motion ab, sodass es nie zum Importverbot für Haifischflossen gekommen ist.

Die ökonomische Theorie hilft

Die ökonomische Theorie setzt auf einer anderen Ebene an. Sie betont nicht die «unzivilisierte Art» des Tötens, sondern ein viel grundsätzlicheres Problem. Ihr zufolge droht einer sogenannten gemeinschaftlichen Ressource – wie den Haien im Meer – das Schicksal, übernutzt zu werden und elendiglich zugrunde zu gehen. Man spricht von der Tragödie der gemeinschaftlichen Ressourcen oder eben der «Tragedy of the Commons». Dasselbe gilt auch für andere Fische und Wildtiere, die erwähnten amerikanischen Büffel oder das Klima. Die ökonomische Theorie zeigt, dass hier nur wirksame Zugangsbeschränkungen helfen können.

Angesichts der schon in den 1990er-Jahren von Biologinnen beobachteten Dezimierung der Bestände einzelner Haifischarten wie etwa des Hammerhais um 80 Prozent innerhalb weniger Jahre hätte man die Jagd nach Haien schon lange beschränken müssen. Ob man dabei das Angebot mit Quoten oder Steuern, den internationalen Handel mit selektiven Export- bzw. Importverboten oder die Nachfrage mit Steuern oder Verboten einschränkt, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass man den Zugang auf eine wirksame Weise beschränkt. Oder anders gesagt: Wenn der Zugang nicht beschränkt wird, kann der internationale Handel verheerende Wirkungen haben, indem eine grosse Nachfrage an einem Ort auf dieser Welt eine gemeinschaftliche Ressource an einem anderen Ort anzapfen und innert kürzester Zeit an den Rand der Existenz bringen kann.

Der Grund für das im Film «Sharkwater» betonte Problem ist also nicht eine vermeintlich «verbesserte Marktwirtschaft». Im Gegenteil. Es ist das Verkennen der Politik, dass gewisse Märkte nur dann funktionieren können, wenn man sie entsprechend reguliert. Der fehlende Eingriff bei den gemeinschaftlichen Ressourcen im Allgemeinen und den Haien im Speziellen stellt ein Staatsversagen sondergleichen dar. Ob es an den Interessen gut organisierter Gruppen oder am fehlenden Verständnis der Funktionsweise einer Marktwirtschaft liegt, bleibe dahingestellt.

Wo stehen wir heute?

Die Einführung und Verschärfung von Finning-Verboten in zahlreichen Ländern (auch in der EU) hat bisher primär dazu geführt, dass die Produktionskosten leicht stiegen, die Fischerboote vergrössert wurden und die verendeten Haikörper, zuerst ohne und dann samt den Flossen, an Land gebracht wurden. Eine substanzielle Reduktion des Haifischfangs wurde damit aber nicht erreicht, ja war oft nicht einmal das Ziel dieser durch die Moral motivierten Massnahmen. Auch die hängige Bürgerinitiative in der EU «Stop Finning – Stop the Trade» folgt dieser Tradition. Dort heisst es nämlich: «Wir wollen den Handel mit Flossen in der EU beenden (…), die sich nicht natürlich am Körper des Tiers befinden.»[3] Not tut stattdessen eine drastische Beschränkung des Fangs, des Handels und der Nachfrage von und nach Haien, wie das die ökonomische Theorie verlangt.

Die Forschung von mir und dem Ökonomen Tobias Erhardt zeigt zudem, dass die Haiarten, welche eine niedrige Reproduktionsrate aufweisen, unter den gegebenen Umständen extrem verwundbar sind.[4] Wenn wir den Zugang zu allen Haien nicht sofort drastisch beschränken, droht eine Haifischart nach der anderen auszusterben. Da die Nachfrage nach Haifischen auf relativ wenige Länder konzentriert ist (siehe Tabelle), sollte man alles daransetzen, die Nachfrage in diesen Ländern sowie die Exporte beziehungsweise Importe von Haien in diese Länder zu beschränken. Ein Lichtblick stellt die aktuelle Entscheidung der Convention on International Trade in Endangered Species (Cites) an ihrem jüngsten Treffen im November in Panama dar. Dort haben die 183 Mitgliedsländer beschlossen, die Liste der derzeit 14 Haiarten, deren internationaler Handel überwacht und wenn nötig beschränkt wird, substanziell um ein Mehrfaches zu erhöhen.

Angebot von und Nachfrage nach Haien

Angebot: Weltweiter Fang von Knorpelfischen (Haie, Rochen, Chimären). Nachfrage: Importe von Haifischflossen. Gemessen in Tonnen.
Quelle:  FAO, Berechnungen des Autors / Die Volkswirtschaft

 

Dem Zürcher FDP-Ständerat Felix Gutzwiller kamen in der Schlussdiskussion im Ständerat damals doch Zweifel an der Argumentation. Er wies darauf hin, dass gehäutete Bauchlappen des vom Aussterben bedrohten Dornhais unter dem Namen «Schillerlocken» oder «See-Aal» in der Schweiz ohne Weiteres gekauft werden können und dass somit vielleicht ein grösseres, über das Finning hinausgehendes Problem bestehe. Es passierte dann aber nichts. Die Haie hätten eine Freundin. Schade ist nur, dass der Mensch sich mit der ökonomischen Theorie nur schwer anfreundet.

 

  1. Siehe Taylor (2011). []
  2. Siehe protokollierte Debatte auf Parlament.ch. []
  3. Siehe Stop-finning-eu.org. []
  4. Siehe Erhardt und Weder (2020). []

Literaturverzeichnis
  • Erhardt, Tobias und Rolf Weder (2020). Shark Hunting: On the Vulnerability of Resources with Heterogeneous Species, Resource and Energy Economics, 2020, 61 (August), 1–18.
  • Taylor, M. Scott (2011). Buffalo Hunt: International Trade and the Virtual Extinction of the North American Bison, American Economic Review, December, 101, S. 3162–3195.

Bibliographie
  • Erhardt, Tobias und Rolf Weder (2020). Shark Hunting: On the Vulnerability of Resources with Heterogeneous Species, Resource and Energy Economics, 2020, 61 (August), 1–18.
  • Taylor, M. Scott (2011). Buffalo Hunt: International Trade and the Virtual Extinction of the North American Bison, American Economic Review, December, 101, S. 3162–3195.

Zitiervorschlag: Rolf Weder (2022). Die Freundin der Haie. Die Volkswirtschaft, 13. Dezember.