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Die richtigen Anreize können Berge versetzen

Die richtigen Anreize können Berge versetzen

Regenschirmbewegung für mehr Demokratie in Hongkong. (Bild: Keystone)

Ich hatte eine volkswirtschaftliche Habilitationsstelle inne, als ich mich 1999 entschied, zur Wirtschaftsredaktion der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) zu wechseln. Massgebend war die Aussicht, nicht nur im Elfenbeinturm zu forschen und zu argumentieren, sondern mich direkt mit Wirtschaftspolitik auseinanderzusetzen und vielleicht auch so einen Beitrag leisten zu können, dass politische Ziele effizienter erreicht werden.

Geprägt hat mich, was ich ab dem Jahr 2000 sechseinhalb Jahre lang als Wirtschaftskorrespondent für Russland und Zentralasien und danach vier Jahre lang in China gesehen und erlebt habe: Menschen, die ihre Erwerbstätigkeit lange als lästige Notwendigkeit sahen, begannen, Tag und Nacht zu arbeiten. Dies, weil sie realisierten, dass sie damit tatsächlich etwas verändern und Geld verdienen konnten. Sie zeigten mit einem Mal erstaunlichen Innovationsgeist, befeuert durch intensiven Wettbewerb. Das Angebot an Waren und Dienstleistungen nahm zu. Beschäftigte aus dem Staatssektor wechselten in die Privatwirtschaft, und im Ausland lebende Russen und Chinesen kehrten mit neuen Ideen und Tatendrang in ihr Heimatland zurück – bis Wladimir Putin und Xi Jinping begannen, das Rad zurückzudrehen. Unternehmer mussten nun damit rechnen, vom Staat vereinnahmt zu werden. Prompt sahen es Junge wieder als sicherer an, Zuflucht im Staatssektor zu suchen oder sich ins Ausland abzusetzen. Das traurige Resultat zeigt sich heute. Diese Erlebnisse demonstrieren, wie wichtig die richtigen wirtschaftlichen Anreize sind.

Alles ist nichts ohne Freiheit.

Ökonomen denken zuallererst an Effizienz. Es geht ihnen darum, den Kuchen grösser zu machen – und wenn er umverteilt werden soll, die Kosten dafür möglichst tief zu halten. Es braucht kraftvolle Stimmen mit sicherer Urteilsfähigkeit, die sich unermüdlich dafür einsetzen. Doch meine Erfahrungen haben mir bestätigt, dass dies nicht ausreicht. Denn alles ist nichts ohne Freiheit. Die Freiheit, so zu leben, wie man dies gerade für am attraktivsten hält. Die Freiheit, sein Eigentum gesichert zu wissen. Die Freiheit, nicht bloss ein gesichtsloses Rädchen im Dienste einer herrschsüchtigen Obrigkeit zu sein. All das ist genauso wichtig für ein lebenswertes Leben wie der materielle Zugewinn.

Als Chefökonom der NZZ interessieren mich politökonomische Zusammenhänge. Es ist mir wichtig, aufzuzeigen, wo Anreize effizienter gesetzt werden können und wie mit wirtschaftspolitischen Massnahmen der Wohlstand vergrössert und gesichert werden kann. Es geht mir aber auch darum, dass wir in unserer Arbeit bei der NZZ eine klare freiheitlich-marktwirtschaftliche Position vertreten. Und dass wir aufzeigen, wie weltwirtschaftliche und geopolitische Entwicklungen uns alle betreffen. Unser neues Produkt «NZZ PRO Global», unser Blick voraus auf Weltwirtschaft und Geopolitik, ist mir deshalb ein besonderes Anliegen.

Ich bin überzeugt: Wirtschaftspolitik kann mit den richtigen Anreizen und mit effizient gestalteten Institutionen Berge versetzen. Aber das muss freiheitlich und mit einem offenen Blick für die Welt geschehen. Wir Ökonomen in Wirtschaft, Politik und Medien sollten uns dafür einsetzen.

Zitiervorschlag: Peter A. Fischer (2022). Die richtigen Anreize können Berge versetzen. Die Volkswirtschaft, 05. Dezember.