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Emissionshandel: Wie wirksam ist er?

Bis 2010 reduzierte der EU-Emissionshandel in Grossbritannien den CO2-Ausstoss kaum. Aber: Beteiligte Firmen investierten für die Zukunft deutlich mehr in eigene emissionsmindernde Technologien. Damit ersparten sie dem Staat hohe Subventionsbeiträge für grüne Technologien.
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Am Emissionshandelssystem teilnehmen müssen besonders emissionsintensive Industrien. Kohlekraftwerk in England. (Bild: Adobe Stock)

Im Kampf gegen steigende Treibhausgasemissionen vertrauen viele auf grüne Innovationen.[1] Elektroautos und Solaranlagen könnten CO2-Emissionen effektiv reduzieren, so die Hoffnung. Um die Entwicklung solcher Technologien zu beschleunigen und Emissionen herunterzufahren, hat die EU im Jahr 2005 das EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS) eingeführt, das nach dem sogenannten Cap-and-Trade-Prinzip funktioniert (siehe Kasten). Seit 2013 kennt auch die Schweiz ein solches System, seit 2020 sind die beiden Systeme der Schweiz und der EU miteinander verknüpft.

Doch wie beeinflusst der Emissionshandel die technologischen Entscheidungen von Unternehmen? In der Vergangenheit kamen unter anderem in den USA verschiedene Cap-and-Trade-Systeme wie zum Beispiel das Acid Rain Program 1995 zur Anwendung, um umweltschädliche Emissionen wie Schwefeldioxid, Stickstoffoxide oder Blei zu reduzieren. Die Programme haben dazu geführt, dass Unternehmen vorwiegend bereits existierende «saubere» Verfahren und Technologien implementiert haben, um ihre Emissionen zu senken. Einen Anschub zur Entwicklung neuer, grüner Innovation gab es kaum, da die benötigten Technologien zur Emissionsreduktion bereits ausreichend vorhanden waren.

Beim aktuellen EU-Emissionshandelssystem sind die Voraussetzungen dagegen ganz anders. Denn für die Treibhausgasminderung gibt es noch nicht genügend rentable, «saubere» Technologien, um die Emissionen ausreichend herunterzufahren. Die EU hofft deshalb, dass das EHS die Firmen zur Entwicklung neuer Technologien anregen wird. Doch ist ein Cap-and-Trade-System dazu überhaupt in der Lage?

Britische Besonderheit gibt Aufschluss

Mit dieser Frage beschäftigt sich der Klima-Ökonom Raphael Calel von der Washingtoner Georgetown University. In seiner im «American Economic Journal» publizierten Studie untersucht er, wie die Firmen auf das EHS der EU reagiert haben. Haben sie vorwiegend existierende «saubere» Technologien implementiert oder neue Technologien entwickelt? Um dies zu beantworten, nutzt er Daten von britischen Firmen im Zeitraum 2000 bis 2012. Diese enthalten detaillierte Firmeninformationen – über den Umsatz und die Anzahl Angestellte, aber auch über CO2-Emissionen, Patente und Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E).

Um den Effekt des EU-EHS auf Firmenentscheidungen zu bestimmen, nutzt Calel eine Besonderheit Grossbritanniens: Dort mussten lediglich jene Firmen am EU-EHS teilnehmen, die mindestens eine «grosse» Produktionsanlage mit hoher Produktionskapazität betreiben. Firmen hingegen, die mehrere kleine Anlagen betreiben, hinsichtlich Kriterien wie der Anzahl Angestellte oder der Produktionseffizienz aber mit grossen Firmen vergleichbar sind, unterstanden dem EU-EHS nicht. Anhand solcher Firmen-Vergleichspaare versucht Calel den Effekt zu bestimmen, den das Emissionshandelssystem der EU auf die Firmenentscheidungen hat.

Effiziente Produktion lässt Emissionen sinken

Die Daten zeigen, dass die CO2-Intensität – das heisst die CO2-Emissionen pro 1000 Pfund Bruttowertschöpfung – in Grossbritannien zwischen 2000 und 2010 um 25 Prozent gesunken sind (siehe Abbildung 1). Allerdings scheint die Einführung des EHS im Jahr 2005 keinen sichtbaren Einfluss auf die CO2-Intensität gehabt zu haben: Es ist keine Veränderung des Trends nach 2005 zu erkennen. Ausserdem ist gleichzeitig auch der Arbeitseinsatz pro 1000 Pfund Bruttowertschöpfung gesunken. Das lässt vermuten, dass in diesem Zeitraum die Produktion schlichtweg effizienter wurde – unabhängig vom EHS. Das bestätigt auch die Analyse der Firmen-Vergleichspaare. Diese zeigt, dass die CO2-Intensität der britischen Firmen im EU-EHS durchschnittlich nicht gesunken ist. Das EU-Emissionshandelssystem hat die Einführung bereits existierender emissionsvermindernder Technologien vermutlich also nicht beschleunigt – sonst würden wir einen deutlichen Rückgang der CO2-Intensität nach 2005 beobachten.

Abb. 1: CO2-Intensität und Arbeitsproduktivität in Grossbritannien (1997–2012)

Quelle: Calel (2020) / Die Volkswirtschaft

Grüne Innovationen boomen

Stattdessen haben die britischen Firmen die grüne Innovation intensiviert. Bereits vor der Einführung des EU-EHS – von 2000 bis 2005 – war die Anzahl grüner Patentanmeldungen jährlich um 9 Prozent gestiegen (siehe Abbildung 2). Doch 2005, mit der Einführung des EHS, verdoppelte sich die Wachstumsrate grüner Patente sogar. In der gleichen Zeitspanne entwickelte sich die Gesamtmenge aller Patente deutlich weniger schnell. Daraus lässt sich schliessen, dass das EHS einen schnellen Anstieg von grünen Innovationen ausgelöst hat.

Diese Vermutung bestätigt auch die Analyse der Firmenpaare: Firmen, die vom EHS reguliert sind, haben rund 25 Prozent mehr grüne Patente angemeldet als vergleichbare Firmen, die nicht im EHS sind – und das, obwohl in der gleichen Zeitspanne die Anzahl nicht grüner Patentanmeldungen insgesamt zurückgegangen ist. Überraschend dabei: Die Einführung des EHS scheint diesen Rückgang sogar leicht gebremst zu haben. Calel schätzt, dass die britischen EHS-Firmen auch rund 4 Prozent mehr nicht grüne Patente auf den Markt gebracht haben als Firmen, die nicht am EU-EHS teilnahmen. Das Emissionshandelssystem der EU hat also die Innovationsneigung der Firmen insgesamt gesteigert, vor allem aber hin zur grünen Innovation.

Abb. 2: Patentanmeldungen in Grossbritannien (1998–2012)

Quelle: Calel (2020)

Wirksam und verhältnismässig günstig

Doch haben die Firmen lediglich Patente angemeldet, die bereits vor Einführung des EU-EHS entwickelt wurden, oder haben sie tatsächlich in die Innovation investiert und neue (zusätzliche) Patente angemeldet? Um diese Frage zu beantworten, nutzt der Wissenschaftler Daten zu Firmenausgaben für Forschung und Entwicklung. Er schätzt, dass das EU-EHS in Grossbritannien zwischen 2005 und 2012 zu einem 32-prozentigen Anstieg der Investition in grüne Forschung und Entwicklung geführt hat – ohne dass andere Forschung darunter leiden musste.

Diese Resultate sind ermutigend. Allerdings nahm nur ein kleiner Teil der britischen Firmen am EU-EHS teil. Die meisten Unternehmen unterstanden dem Cap-and-Trade-System nicht und haben entsprechend weniger in grüne F&E investiert. Der Autor schätzt, dass zwischen 2005 und 2012 die Anzahl grüner Patentanmeldungen über ganz Grossbritannien hinweg betrachtet lediglich um 0,1 bis 0,25 Prozent gestiegen ist. Die Investition in grüne Forschung und Entwicklung ist um 1 bis 2 Prozent angestiegen.

Das klingt zunächst bescheiden. Calel zeigt aber, dass es sich dennoch um ein beeindruckendes Ergebnis handelt, wenn man es mit den staatlichen Aufwendungen vergleicht. Die britische Regierung hätte nämlich im analysierten Zeitraum (2005–2012) zwischen 81 und 138 Millionen Pfund an Steuergeldern investieren müssen, um den gleichen Anstieg grüner Patente durch Subventionen zu erreichen.[2] Stattdessen hat das EU-EHS dem Staat in diesen Jahren 1,3 Milliarden zusätzliche Einnahmen durch die Auktion von Emissionsrechten eingebracht.

 

  1. Dieser Artikel fasst im Rahmen der Serie «Next Generation» die Studie von Calel (2020) zusammen. []
  2. Für diese Berechnung nutzt der Autor Raphael Calel die Schätzungen von Dechezleprêtre et al. (2016). []

Literaturverzeichnis
  • Calel, Raphael (2020). Adopt or Innovate: Understanding Technological Responses to Cap-and-Trade, American Economic Journal: Economic Policy 12, 170–201.
  • Dechezleprêtre, Antoine, Elias Einiö, Ralf Martin, Kieu-Trang Nguyen und John Van Reenen (2016). Do Tax Incentives for Research Increase Firm Innovation? An RD Design for R&D. NBER Working Paper 22405.

Bibliographie
  • Calel, Raphael (2020). Adopt or Innovate: Understanding Technological Responses to Cap-and-Trade, American Economic Journal: Economic Policy 12, 170–201.
  • Dechezleprêtre, Antoine, Elias Einiö, Ralf Martin, Kieu-Trang Nguyen und John Van Reenen (2016). Do Tax Incentives for Research Increase Firm Innovation? An RD Design for R&D. NBER Working Paper 22405.

Zitiervorschlag: Stromeyer, Cara (2022). Emissionshandel: Wie wirksam ist er? Die Volkswirtschaft, 20. Dezember.

Wie funktioniert der Emissionshandel?
Das Emissionshandelssystem (EU-EHS) folgt dem sogenannten Cap-and-Trade-Prinzip. Hierbei wird für jedes Jahr eine Obergrenze («Cap») für die gesamten Treibhausgasemissionen innerhalb des Handelssystems festgelegt. Die Emissionsrechte werden den Unternehmen kostenlos zugeteilt oder versteigert und sind dann frei handelbar («Trade»). Auf dem Markt bildet sich dadurch ein Preis für Emissionsrechte. Jedes Jahr wird die Emissions-Obergrenze reduziert. Die Unternehmen haben dadurch einen Anreiz, ihre Emissionen stetig weiter zu reduzieren. Jene, die das nicht schaffen, können effizienteren Unternehmen Emissionsrechte abkaufen.a Der CO2-Preis ist über die letzten Jahre gestiegen und liegt seit etwa einem Jahr meist über 60 Euro pro Tonne CO2.

 

a European Commission (2022), EU Emissions Trading System (EU ETS), Climate Action.
Serie: Next Generation
Dieser Artikel ist Teil der Reihe «Next Generation». Darin fassen herausragende Studierende der Universität St. Gallen aktuelle und bedeutende Forschungsresultate von international renommierten Ökonominnen und Ökonomen kompakt zusammen. Betreut und herausgegeben wird die Reihe von Christian Keuschnigg, Professor für Nationalökonomie und öffentliche Finanzen, und Michael Kogler, Lehrbeauftragter für Volkswirtschaftslehre. Weitere Artikel der Reihe finden Sie hier sowie auf der Website der Universität St. Gallen.