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Neuerungen zum 50. Geburtstag der Konsumentenstimmung

Der Konsumentenstimmungsindex wurde erstmals vor 50 Jahren erhoben. Wirtschaft und Gesellschaft haben sich seither stark gewandelt, der Index besteht jedoch weiter. Nun wird die Datenerhebung grundlegend weiterentwickelt.
Schweizerinnen und Schweizer beurteilen den Zeitpunkt für grössere Anschaffungen derzeit als schlecht. Vater mit seinem Sohn an der Kasse der Ikea in Spreitenbach im Kanton Aargau. (Bild: Keystone)

Die Schweizer Konsumentenstimmung wurde erstmals Ende 1972 erhoben (siehe Kasten). Damals lebten 6,3 Millionen Personen in der Schweiz. Fast die Hälfte der Erwerbstätigen war im Industriesektor beschäftigt und immerhin rund 8 Prozent im Landwirtschaftssektor. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) belief sich nominal auf 141 Milliarden Franken.[1] Die Schweizer blickten auf eine Zeit starker wirtschaftlicher Expansion zurück, die Konsumentenstimmung notierte bei rekordhohen 20 Punkten. 50 Jahre später haben sich Wirtschaft und Gesellschaft stark gewandelt. Mittlerweile sind gut drei Viertel aller Beschäftigten im Dienstleistungssektor tätig, das BIP hat sich real mehr als verdoppelt, und die Bevölkerung ist um 40 Prozent gewachsen. Vor dem Hintergrund der sehr unsicheren Lage liegt die Konsumentenstimmung aktuell allerdings mit –47 Punkten auf einem historischen Tiefstwert.

Die bewegte Geschichte der Schweizer Wirtschaft widerspiegelt sich im Index der Konsumentenstimmung: Phasen von negativem oder schwachem BIP-Wachstum haben sich häufig mit Rückgängen der Konsumentenstimmung angekündigt (siehe Abbildung 1). So korrespondierte etwa die langwierige Wachstumsschwäche der 1990er-Jahre mit anhaltend tiefen Werten. Auch dem starken BIP-Rückgang in der Finanzkrise 2009 ging ein abrupter Einbruch der Konsumentenstimmung voraus.

Abb. 1: Zusammenhang zwischen der Konsumentenstimmung und dem BIP der Schweiz, real, saison- und Sportevent-bereinigte Quartalszahlen  (1980–2022)

Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft

Krieg belastet die Stimmung

Wie in anderen Ländern ist die Konsumentenstimmung in der Schweiz in letzter Zeit durch besonders starke Schwankungen geprägt. Im zweiten Quartal 2020 brach sie wegen der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Eindämmungsmassnahmen geradezu ein. Nach einer ebenso bemerkenswerten Aufholbewegung kam es im Zuge des Ukraine-Kriegs zu einem zweiten historischen Einbruch. Im vierten Quartal 2022 befindet sich die Konsumentenstimmung auf dem tiefsten je gemessenen Niveau. Dies hat unterschiedliche Gründe.

Zum einen äusserten sich die Befragten im Oktober 2022 beachtenswert negativ bezüglich der Entwicklung der allgemeinen Wirtschaftslage in den darauffolgenden zwölf Monaten. Der entsprechende Teilindex lag nur noch wenig über den Werten, die während der Finanzkrise erreicht wurden. Nur im April 2020, während der ersten Corona-Welle, waren die Erwartungen für die Wirtschaftsentwicklung kurzfristig noch negativer. Damals war insbesondere der Anteil der Befragten, welche eine «wesentlich schlechtere» Entwicklung der Wirtschaft erwarteten, schlagartig angestiegen. Dagegen erwartet im Jahr 2022 ein grösserer Anteil der Befragten, dass sich die Wirtschaftslage «etwas verschlechtern» wird. Demnach gehen sie von einer Abschwächung der Konjunktur aus, nicht aber von einem Einbruch vergleichbar mit dem Frühjahr 2020.

Zurückhaltend bei Anschaffungen

Ähnlich verhält es sich bei der Frage, ob aktuell ein guter oder ein schlechter Zeitpunkt für grössere Anschaffungen wie zum Beispiel Haushaltsgeräte oder Möbel sei. Damit wird die Neigung zu umfangreicheren Ausgaben der Haushalte erfasst. Sie liefert besonders relevante Informationen bezüglich der kurzfristigen Entwicklung des privaten Konsums, dessen Anteil am BIP rund 50 Prozent ausmacht. Der Anteil der Befragten, die von einem schlechten Zeitpunkt für grössere Anschaffungen ausgingen, erreichte im Frühjahr 2020 während der ersten Corona-Welle den bislang höchsten Wert. Nach einer zwischenzeitlichen Entspannung ist die Häufigkeit im Verlauf des Jahres 2022 wieder sukzessive angestiegen, ohne aber das Maximum von 2020 zu erreichen.

Im zweiten Quartal 2020 begründeten 40 Prozent aller Befragten, die von einem schlechten Zeitpunkt für grössere Anschaffungen ausgingen, dies mit der Corona-Lage (siehe Abbildung 2). Das ist nachvollziehbar, da es im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 zu temporären Schliessungen im stationären Detailhandel kam. Seither haben sich die Gründe deutlich gewandelt. Seit Mitte 2021 sind die Preise in den Vordergrund gerückt. Mittlerweile werden sie in knapp 50 Prozent der Fälle genannt. Die Entwicklung der Preise dämpft demnach die Kauffreude der Konsumierenden, auch wenn die Inflation in der Schweiz im internationalen Vergleich nach wie vor moderat ist. Daneben spielen Lieferengpässe weiterhin eine relevante Rolle. Schliesslich wurde die Unsicherheit zuletzt wieder etwas häufiger genannt. Eng damit verbunden ist auch die neue Antwortkategorie «Krieg».

Abb. 2: Genannte Gründe, warum aktuell ein schlechter Zeitpunkt für grössere Anschaffungen ist (2020–2022)

Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft
Anmerkung: Ausgewählte Kategorien, Mehrfachnennungen möglich

Die Entwicklung der Preise dürfte auch ein wichtiger Grund für die negative Beurteilung der eigenen finanziellen Lage in den vorangegangenen sowie in den folgenden zwölf Monaten sein. Die entsprechenden Teilindizes sind auf historische Tiefpunkte gesunken. Dies, obwohl die Lage am Arbeitsmarkt nach wie vor überdurchschnittlich gut beurteilt wird, sowohl bezogen auf die Sicherheit der Arbeitsplätze als auch auf die erwartete Entwicklung der Arbeitslosigkeit.

Auswirkungen auf Wirtschaftsentwicklung

In welchem Ausmass sich die negative Einschätzung der Befragten in naher Zukunft auf die Wirtschaftsentwicklung überträgt, bleibt abzuwarten. Einiges spricht dafür, dass die aktuelle geopolitische Lage einen überproportionalen Einfluss auf die Konsumentenstimmung haben könnte, die sich nicht vollständig in der realwirtschaftlichen Aktivität widerspiegelt. Beispielsweise haben sich die realen Detailhandelsumsätze im dritten Quartal trotz der historisch tiefen Konsumentenstimmung durchaus solide entwickelt, insbesondere im Bereich des Non-Food. Vorsichtig zuversichtlich stimmt auch, dass die Einschätzungen der Befragten im Verlauf des Befragungszeitraums im Oktober 2022 stabil geblieben sind beziehungsweise sich eher leicht verbessert haben.

In Zukunft soll die Konsumentenstimmung häufiger erhoben und veröffentlicht werden. Im Verlauf der Jahrzehnte wurde die Erhebung schrittweise weiterentwickelt. Zum einen wurde die Stichprobengrösse mehrmals erhöht, um präzisere Resultate zu erhalten. Zum anderen wurde der Fragebogen punktuell erweitert. Beispielsweise wurden 2007 zusätzliche Fragen eingeführt, welche eine Angleichung des Schweizer Index der Konsumentenstimmung an jenen der EU-Länder ermöglichten. Ausserdem gewinnt das Internet für die Befragung an Bedeutung, auch weil viele Personen immer schwerer telefonisch erreichbar sind. Im Jahr 2023 testet das Seco, parallel zur bisherigen Erhebung, ein überarbeitetes Erhebungskonzept. Dieses sieht vor, dass nicht mehr quartalsweise und per Telefon befragt wird, sondern kontinuierlich online. Bei erfolgreichem Abschluss der Testphase werden erste Ergebnisse in Monatsfrequenz voraussichtlich Anfang 2024 zur Verfügung stehen. Nach 50 Jahren steht damit eine wichtige Neuerung bevor. Oberstes Ziel ist dabei, die Informationsgrundlage für die Beurteilung der Konjunkturlage zu verbessern.

  1. Bundesamt für Statistik (BFS). []

Zitiervorschlag: Felicitas Kemeny, Simon Widmer (2022). Neuerungen zum 50. Geburtstag der Konsumentenstimmung. Die Volkswirtschaft, 06. Dezember.

Die Schweizer Konsumentenstimmung

Der Index der Konsumentenstimmung zählt zu den ältesten Schweizer Konjunkturindikatoren. Im Unterschied zu vielen anderen Umfragen adressiert er die privaten Haushalte. Er wird seit 1972 erhoben, zunächst vom damaligen Institut für Wirtschaftsforschung, der heutigen Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. Mit der Neuorganisation der Konjunkturbeobachtung wurde die Umfrage im Jahr 1980 dem Bundesamt für Konjunkturfragen übertragen, heute nimmt das Seco diese Aufgabe wahr. Folgende Teilindizes werden – analog zum Vorgehen in der Europäischen Union (EU) – zur Berechnung verwendet: erwartete Wirtschaftsentwicklung, finanzielle Lage in den vergangenen zwölf Monaten, erwartete finanzielle Lage in den kommenden zwölf Monaten, guter beziehungsweise schlechter Zeitpunkt für grössere Anschaffungen. Jeder Teilindex basiert auf einer entsprechenden Frage im Rahmen der Umfrage. Daneben werden Einschätzungen zu weiteren Aspekten der wirtschaftlichen Entwicklung erhoben, insbesondere zu den Preisen und zum Arbeitsmarkt. Derzeit findet die Erhebung quartalsweise statt, im Jahr 2023 wird parallel zur bestehenden Erhebung ein neues Konzept getestet. Die aktuelle Zeitreihe wird somit bis zum Abschluss der Testphase weitergeführt und auf der Website des Seco veröffentlicht.