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Ökologisch hergestellt ist besser als lokal produziert

Der internationale Transport spielt beim ökologischen Fussabdruck unseres Warenkorbs nur eine untergeordnete Rolle. Daher ist es besser, «made in Green» zu kaufen statt «made in Switzerland».

Ökologisch hergestellt ist besser als lokal produziert

Wein aus dem kalifornischen Napa Valley schneidet aus ökologischer Sicht gut ab. (Bild: Alamy)

Für jedes international gehandelte Produkt ist es möglich, eine CO2-Bilanz zu erstellen: von der Produktion bis zum Endkonsumenten. Denn einerseits kann man den Energieverbrauch der Produktion im Ursprungsland und die damit verbundenen CO2-Emissionen messen. Andererseits können auch die Emissionen ermittelt werden, die durch die Treibstoffverbrennung beim Gütertransport ins Importland entstehen. Letzteres ist abhängig von der Materialdichte des Produkts, der zurückgelegten Distanz und dem gewählten Transportmittel.

Im Jahr 2018 erzeugte der Handel in und aus der EU und den USA im Schnitt zwischen 450 und 540 g CO2-Äquivalente (CO2e) pro gehandeltem Dollar. Davon stammen durchschnittlich 300 g CO2e aus der Produktion und zwischen 150 g und 240 g CO2e aus dem Transport. Man geht davon aus, dass der internationale Handel 2018 für ein Drittel (31,6%) der globalen Treibhausgasemissionen[1] verantwortlich ist. Davon können allerdings nur 10,4 Prozentpunkte effektiv dem Transport von Gütern und Dienstleistungen zugeschrieben werden.

Sinkender Einfluss des Transports

Den grössten Einfluss auf die transportbedingten Emissionen hat aber nicht etwa die zurückgelegte Distanz, sondern das Transportmittel. Gemäss den Berechnungen des Weltklimarats (IPCC) hat der Seeweg den geringsten CO2-Ausstoss. Ein Massengutfrachter – das heisst ein Schiff, das zum Transport von losen Massengütern wie Sand oder Getreide verwendet wird – stösst beispielsweise rund 6 g CO2e pro Tonnenkilometer (tkm) aus, bei Containerschiffen sind es 10 g. Im Vergleich dazu belastet die Luftfracht die Umwelt 74 Mal mehr (740 g CO2e pro tkm). Beim Strassentransport sind es 180 g (siehe Tabelle).

Der grösste Teil des internationalen Handels – fast 90 Prozent[2] – wird über den Seeweg[3] abgewickelt. Beim intraregionalen Handel ist es hingegen oft der Strassentransport (z. B. in Europa) oder der Luftweg (insbesondere in den USA). Beim internationalen Güterhandel wirkt sich der Transport folglich kaum auf das Gesamtvolumen der Treibhausgasemissionen aus.

Kohlenstoffintensität der verschiedenen Transportmittel

Anmerkung: g/tkm = Gramm pro Tonnenkilometer.
Quelle: IPCC (2014)

 

Der ökologische Fussabdruck des internationalen Handels ist vor allem darauf zurückzuführen, was gehandelt wird, und hängt weniger davon ab, wie die Güter transportiert werden. Die Emissionen fallen in den einzelnen Wirtschaftssektoren sehr unterschiedlich aus: So erzeugt etwa die Herstellung von chemischen und pharmazeutischen Produkten mehr CO2 pro Produktionseinheit (durchschnittlich 537 g pro Dollar) als die Textilproduktion (durchschnittlich 41 g pro Dollar). Doch selbst für ein und dasselbe Produkt existieren je nach Herstellungsland teilweise riesige Unterschiede bei den Emissionen, die während der Produktion anfallen. Die Herstellung von Stühlen in Schweden zum Beispiel erzeugt weniger CO2 als in Vietnam (19 g gegenüber 86 g pro Dollar).

Solche Diskrepanzen lassen sich einerseits durch technologische Unterschiede erklären. Denn ein mechanischer Webstuhl wird durch einen Menschen betrieben, eine automatisierte Webmaschine hingegen braucht Strom. Andererseits unterscheiden sich die Produktionsstandorte auch bezüglich des Strommix. 2018 beispielsweise wurden in China noch 62 Prozent der Elektrizität mit Kohle erzeugt, während der Strom in der Schweiz zu 60 Prozent aus Wasserkraft stammte. Daher hängt der ökologische Fussabdruck unseres Einkaufskorbs sowohl von den Produkten ab, aus denen er sich zusammensetzt, als auch von deren Herkunftsort.

Lokal heisst nicht umweltfreundlich

Konsumiert jemand ausschliesslich lokal hergestellte Produkte, ist dies folglich nicht zwingend besser für die Umwelt. Vergleichen wir zum Beispiel den Import zweier Weinflaschen nach Europa: einen Merlot aus dem kalifornischen Napa Valley und einen Merlot, der in der französischen Region von Bordeaux gekeltert wurde.

Die Weinproduktion in Frankreich erzeugt im Schnitt 50 Prozent mehr Emissionen als jene in Kalifornien. Grund dafür sind die Abstände zwischen den Rebstöcken, das Klima und die Erntemethoden. Damit beide Weine denselben CO2-Ausstoss aufweisen, müssten also die Treibhausgasemissionen beim Transport des kalifornischen Tropfens bis zum Konsumenten 1,5 Mal höher sein als beim französischen Wein. Zwar ist der Seeweg zwischen San Francisco und Rotterdam 18 Mal länger als die Strecke auf der Strasse zwischen Bordeaux und Rotterdam. Gleichzeitig ist aber die Kohlenstoffintensität des Seetransports 18 Mal tiefer als der Transport per LKW. Unter dem Strich sind die Transportemissionen der beiden Weine bis nach Rotterdam also gleich hoch.

Ein Hamburger, der möglichst umweltfreundlich einkaufen möchte, sollte sich daher für den kalifornischen Wein entscheiden. Eine in Genf lebende Weinliebhaberin hingegen kann ganz ohne Schuldgefühl den französischen Tropfen geniessen, da ihre Stadt auf der Strasse näher bei Bordeaux liegt als bei Rotterdam. Diese Argumentation gilt auch für andere Güter, etwa Bananen: Die im Supermarkt angebotenen Früchte stammen oft aus Südamerika, wo sie im Freiland wachsen und dann per Kühlschiff verfrachtet werden. Bananen «made in Europe» werden hingegen mit sehr viel höherem Energiebedarf im Treibhaus auf den Kanarischen Inseln angebaut und danach per Luftfracht eingeführt. Folglich weisen Bananen aus Costa Rica eine bessere CO2-Bilanz auf.

In Wirklichkeit sind bereits 22 Prozent der in die EU importierten Produkte «made in Green». Bei diesen Gütern ist es umweltfreundlicher, sie im Ausland herzustellen und nach Europa zu transportieren, als sie auf dem europäischen Kontinent zu produzieren. Dies trifft insbesondere auf die meisten Zwischenprodukte wie etwa nicht gewebte Textilien und Baumaterialien zu. Untersuchungen[4] des Forschungszentrums Kühne Center for Sustainable Trade and Logistics an der Universität Zürich zeigen: Die Treibhausgasemissionen, die durch den Handel mit Gütern und Dienstleistungen nach und aus Europa entstehen, könnten selbst bei gleichbleibendem Handelsvolumen um 35 Prozent reduziert werden, wenn man die Produktionsstandorte der für die EU bestimmten Importe reorganisiert (siehe Abbildung).

Anteil europäischer «Made in Green»-Importe, nach Herkunft

Anmerkung: Die Abbildung zeigt den Anteil europäischer Importe (in Volumen), deren CO2-Bilanz besser ist, als wenn das Produkt lokal in der EU produziert worden wäre.
Quelle: Berechnungen der Autorin / Die Volkswirtschaft

 

Globalisierungsgegner argumentieren oft, dass die Einführung einer CO2-Steuer die Umweltauswirkungen von importierten Gütern offenlegen würde. Eine Studie[5] der Universität Zürich kommt jedoch zum Schluss, dass selbst eine solche Abgabe von 1000 Dollar pro Tonne ausgestossenem CO2, die unterschiedslos von allen Wirtschaftssektoren weltweit bezahlt werden müsste, keinen Rückgang, sondern einen leichten Anstieg (0,4%) des Handelsvolumens bewirken würde. Sicher: Der Transportsektor gehört zu den Bereichen mit der höchsten Umweltbelastung und müsste infolge einer solchen Abgabe sehr viel bezahlen. Dennoch würden die Länder auch weiterhin versuchen, die Kosten und die durch ihre Produktionsprozesse und Konsumgewohnheiten generierten CO2-Emissionen zu senken, indem sie Güter und Dienstleistungen mit der bestmöglichen CO2-Bilanz importieren.

Kommen wir zurück auf die Hauptfrage dieses Artikels: Ist es umweltfreundlicher, lokal produzierte Güter zu konsumieren? Die Antwort lautet: nicht unbedingt. Denn der internationale Handel muss der Umwelt nicht zwingend schaden. Im Gegenteil: Eine Welt, in der jedes Land autark produziert und konsumiert, erweist sich in Wirklichkeit als weniger umweltfreundlich als eine Handel treibende Welt. Dieses vielleicht unerwartete ökologische Potenzial des internationalen Handels sollte uns deshalb ermutigen, eher Produkte «made in Green» als «made in Switzerland» zu kaufen.

  1. Siehe dazu die Daten der Internationalen Energieagentur (2020) und die eigenen Berechnungen der Autorin. []
  2. Gemessen in Dollar. []
  3. Siehe OECD[]
  4. Siehe Le Moigne und Poll (2022). []
  5. Siehe Le Moigne, Lepot und Ossa (2022). []

Literaturverzeichnis
  • IPCC (2014). Climate Change 2014: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, R.K. Pachauri and L.A. Meyer (eds.)]. IPCC, Genf.
  • Le Moigne M. und L. Poll (2022). The Hidden Green Sourcing Potential of European Trade, Kühne Impact Series 01–22, Kühne Center for Sustainable Trade and Logistics – Universität Zürich.
  • Le Moigne M., S. Lepot und  R. Ossa (2022). A Quantitative Analysis of Sustainable Globalization, Working Paper, Kühne Center for Sustainable Trade and Logistics – Universität Zürich.

Bibliographie
  • IPCC (2014). Climate Change 2014: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, R.K. Pachauri and L.A. Meyer (eds.)]. IPCC, Genf.
  • Le Moigne M. und L. Poll (2022). The Hidden Green Sourcing Potential of European Trade, Kühne Impact Series 01–22, Kühne Center for Sustainable Trade and Logistics – Universität Zürich.
  • Le Moigne M., S. Lepot und  R. Ossa (2022). A Quantitative Analysis of Sustainable Globalization, Working Paper, Kühne Center for Sustainable Trade and Logistics – Universität Zürich.

Zitiervorschlag: Mathilde Le Moigne (2022). Ökologisch hergestellt ist besser als lokal produziert. Die Volkswirtschaft, 09. Dezember.