Thomas Braunschweig, Dr. sc. techn., Fachverantwortlicher Handelspolitik, Public Eye, Zürich
Jetzt ist es höchste Zeit zu handeln – vor allem in der Umweltpolitik. Dem kann sich auch die Handelspolitik nicht entziehen. Sie muss dringend mit den 17 UNO-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) in Einklang gebracht werden. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich dazu verpflichtet. Besonders relevant dabei ist, wie Freihandelsabkommen (FHA) – wie zuletzt jenes mit Indonesien – ausgestaltetet sind. Sie gelten in der Schweiz als wichtigstes handelspolitisches Instrument.
Die FHA der Schweiz beziehungsweise der Efta – in deren Verbund die Schweiz die meisten FHA aushandelt – beinhalten seit 2010 standardmässig ein Kapitel zu Handel und nachhaltiger Entwicklung mit Bestimmungen zu Umweltschutz und Arbeitsrechten. Zwischen 2017 und 2020 wurde dieses Kapitel überarbeitet und um neue wichtige Bestimmungen ergänzt. So etwa zu Klimawandel, Biodiversität und Waldmanagement.
Um die Umsetzung der vereinbarten Verpflichtungen zu prüfen, wurden zudem das Monitoring und der Streitbeilegungsmechanismus gestärkt: Können Streitigkeiten nicht im Rahmen der vorgesehenen Konsultationsverfahren oder Gremien gelöst werden, kann neu ein unabhängiges Panel mit Expertinnen und Experten zur Streitbeilegung einberufen werden.
Sanktionsmöglichkeiten als griffiger Durchsetzungsmechanismus fehlen weiterhin.
Diese Erweiterungen sind zwar löblich, ändern jedoch nichts an der grundlegenden Schwäche des Nachhaltigkeitskapitels. Dieses verfolgt nach wie vor einen eher deklamatorischen Ansatz. Denn Sanktionsmöglichkeiten als griffiger Durchsetzungsmechanismus fehlen weiterhin. Ausgerechnet die Bestimmungen dieses Kapitels sind explizit von der im Abkommen vorgesehenen Schiedsgerichtsbarkeit ausgenommen. Das bedeutet: Das Expertenpanel kann im Streitfall zwar Empfehlungen im Rahmen eines veröffentlichten Berichts an die fehlbare Vertragspartei formulieren, rechtlich verbindlich und durchsetzbar sind diese jedoch nicht.
Während die Schweiz weiter diesen kooperativen Ansatz verfolgt, ist die EU bei gewissen Nachhaltigkeitsbestimmungen wie Klimawandel und Arbeitsstandards in ihren Handelsabkommen kürzlich auf einen sanktionsbasierten Ansatz umgeschwenkt. Offenbar ist die EU, die sich zuvor ebenfalls rein «kooperativ» gab, zur Einsicht gelangt, dass sich diese Bestimmungen nur mit der Möglichkeit von Sanktionen (als letztes Mittel) wirklich durchsetzen lassen.
Auch hinsichtlich des systematischen Einbezugs der Zivilgesellschaft ist die Schweiz auf halbem Weg stehen geblieben. Seit Jahren schon fordert Public Eye mehr zivilgesellschaftliche Partizipation. Doch für Nichtregierungsorganisationen besteht weiterhin kein formeller Beschwerdemechanismus, und es wurden auch keine klaren Konsultationsprozesse definiert. Will die Schweiz mehr Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit erreichen, müssen diese Instrumente endlich Teil der Nachhaltigkeitsbestimmungen werden.
Zitiervorschlag: Braunschweig, Thomas (2022). Umweltstandards: Noch viel Luft nach oben. Die Volkswirtschaft, 13. Dezember.