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Wie stark treffen die hohen Energiepreise Zürcher Unternehmen?

Eine Umfrage des Kantons Zürich lässt vermuten: Nur ein kleiner Teil ist von steigenden Strompreisen betroffen.
Ein Anstieg der Strompreise kann auch wenig energieintensive Firmen vor Probleme stellen. Voller Stausee in Mauvoisin VS. (Bild: Keystone)

Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs und dem Rückgang der russischen Gasliefermengen hatten die Energiepreise – insbesondere in Europa – ungeahnte Höhen erreicht. Wer in der Schweiz im Spätsommer 2022 Strom für das erste Quartal 2023 an der europäischen Energiebörse kaufen wollte, war mit Preisen von über 1500 Euro pro Megawattstunde konfrontiert. Zum Vergleich: Noch vor der Krise wurde der Strom bei rund 50 bis 100 Euro pro Megawattstunde gehandelt.[1] Das hat weltweit zu grossen Unsicherheiten und wirtschaftlichen Verwerfungen geführt. Rasch ging die Angst um, dass vielen Schweizer Unternehmen die temporäre Stilllegung oder gar der Konkurs droht, worauf in der Politik verschiedene Massnahmen diskutiert wurden – von Subventionen für die betroffenen Unternehmen bis hin zu einem Energiepreisdeckel.

Um sich ein besseres Bild der Lage zu machen, hat der Kanton Zürich im Oktober 2022 gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden eine umfassende Umfrage durchgeführt. Teilgenommen haben über 400 Unternehmen. Die Ergebnisse lassen jedoch nur bedingt gesamtwirtschaftliche Rückschlüsse auf die gesamte Schweiz zu. Dies unter anderem, weil sich die Wirtschaftsstruktur des Kantons Zürich von jener der restlichen Schweiz unterscheidet. Im Zentrum der Umfrage stand die Frage, wie stark Unternehmen effektiv von den gestiegenen Strompreisen betroffen sind.

Geringe Betroffenheit

Einen ersten Hinweis hierauf liefert die niedrige Rücklaufquote. Sie liegt bei über 10’000 eingeladenen Unternehmen im einstelligen Prozentbereich. Dies impliziert zwar kein Desinteresse an der Thematik, deutet aber darauf hin, dass die gestiegenen Strompreise nicht zu akuten und breitflächigen Problemen bei den Unternehmen geführt haben. Generell besteht bei Umfragen nämlich ein Bias zugunsten der stärker Betroffenen.[2] Oder anders gesagt: Tendenziell nehmen eher jene Unternehmen an der Umfrage teil, die die gestiegenen Strompreise stärker spüren.

Der Rücklauf der Teilnehmenden ist zwar nicht ganz repräsentativ, da Unternehmen aus eher energieabhängigen Branchen übervertreten sind. Dennoch kann die Umfrage durchaus als Stimmungsindikator dienen. Und dieser zeigt deutlich, dass es unter den teilnehmenden Unternehmen nur wenige gibt, die substanziell von den gestiegenen Strompreisen betroffen sind. Genau genommen haben 42 Unternehmen, also 10 Prozent der Teilnehmenden, angegeben, dass sie eindeutig substanzielle Probleme hätten.

Von diesen 42 Unternehmen kaufen jedoch nur 20 im freien Markt Strom ein (siehe Abbildung 1). Sie zählen aufgrund ihres hohen Verbrauchs zu den Grosskunden und können daher frei wählen, ob sie den Strom im freien Markt oder über die Grundversorgung einkaufen wollen.[3] Weitere 11 Grossverbraucher sind ebenfalls stark betroffen, beziehen den Strom jedoch über die Grundversorgung, wo die Preise viel weniger stark und erst verzögert gestiegen sind als auf dem freien Markt. Die restlichen 11 Unternehmen sind Kleinverbraucher, die gesetzlich an die Grundversorgung gebunden sind.

Diese Verteilung erstaunt, denn in erster Linie müssten die Grossverbraucher betroffen sein, die ihren Strom über den freien Markt beziehen. Mehr als die anderen Unternehmen sind sie den gestiegenen Strompreisen direkt ausgeliefert.

Abb. 1: Anteil Zürcher Unternehmen, die wegen des gestiegenen Strompreises eindeutig substanzielle Probleme haben (Oktober 2022)

Anmerkung: Grossverbraucher (>100’000 kWh/Jahr), Kleinverbraucher (<100’000 kWh/Jahr)
Quelle: AWA Kanton Zürich (2022) / Die Volkswirtschaft

Andere Faktoren massgebend

Ob ein Unternehmen aufgrund der gestiegenen Strompreise vor substanziellen Problemen steht, hängt also von weiteren Faktoren ab. Erstens kommt es auf die Beschaffungsstrategie an: Von den 87 befragten Unternehmen am freien Markt beschaffen drei Viertel den Grossteil des Stroms über ein Festpreismodell – der gesamte benötigte Strom wird für einen vereinbarten Zeitraum zu einem festen Preis bezogen.

Zweitens spielt es eine wichtige Rolle, wie vorausschauend ein Unternehmen einkauft: 29 Prozent der Teilnehmenden haben bereits Strom für einen Teil oder das ganze Jahr 2023 beschafft. Bei weiteren 38 Prozent laufen die Stromverträge bis Ende 2024 oder darüber hinaus. Im Oktober 2022 hatte also nur ein Drittel der befragten Unternehmen, die über den freien Markt einkaufen, noch keinen Strom für das erste Quartal 2023 beschafft.

Drittens ist auch ausschlaggebend, wie gross der Anteil der Stromkosten an den Betriebskosten ist. Allerdings bedeutet ein niedriger Anteil dabei nicht automatisch, dass die hohen Strompreise kein Problem darstellen – denn bei fast 60 Prozent der Unternehmen mit eindeutig substanziellen Problemen tragen die Stromkosten weniger als 5 Prozent zu den Betriebskosten bei. Ein Anstieg der Strompreise kann also auch wenig energieintensive Firmen vor Probleme stellen, etwa jene mit geringen Margen. Vor allem sind aber Unternehmen, bei denen die Stromkosten anteilsmässig höher sind, tendenziell besser gegen Preisschwankungen abgesichert.

Viertens spielt es unabhängig von der Art der Strombeschaffung eine Rolle, inwiefern die steigenden Stromkosten absorbiert werden können. In der Umfrage gaben fast 40 Prozent der befragten Unternehmen an, im Oktober bereits auf die steigenden Strompreise reagiert zu haben – 72 Prozent davon durch Effizienzsteigerungen, 40 Prozent durch die Erhöhungen der Preise für die Kunden und 15 Prozent durch Verzicht auf Investitionen (siehe Abbildung 2). Nur zwei Unternehmen mussten einzelne Bereiche zumindest vorübergehend stilllegen.

Abb. 2: Reaktion der Unternehmen auf steigende Strompreise (Oktober 2022)

Anmerkung: Mehrere Antworten möglich. Die Werte beziehen sich auf 156 Unternehmen aus der Umfrage, die bereits auf steigende Strompreise reagiert haben.
Quelle: AWA Kanton Zürich (2022) / Die Volkswirtschaft

 

Was heisst das nun für die Politik des Kantons Zürich? Seit Durchführung der Umfrage sind die Strompreise wieder deutlich gesunken. Zudem zeigen aktuelle Studien von Elcom und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco)[4] sowie des Bundesamts für Energie (BFE)[5], dass die Stromversorgungssicherheit in der Schweiz in diesem Winter kaum gefährdet sein dürfte. Solange keine Energiemangellage herrscht und der Bund keine harten Massnahmen verordnet, sind die von verschiedenen Seiten geforderten Unterstützungsmassnahmen – namentlich in Form von direkten Subventionen – aufgrund der in unserer Umfrage festgestellten geringen Betroffenheit der Unternehmen durch die hohen Strompreise kaum zu legitimieren. Doch nicht nur das: Sie könnten zum Teil kontraproduktive Effekte haben. Einerseits würden sie jene Unternehmen benachteiligen, die vorausschauend agiert haben – was gemäss Umfrage auf viele zutreffen dürfte. Andererseits signalisieren die Preisanstiege die gegenwärtige Knappheit von Energie und setzen dadurch Anreize, mit Strom sparsam umzugehen. Subventionen könnten im schlimmsten Fall die Energiekrise daher sogar weiter verschärfen.

  1. Siehe Europäische Strombörse. []
  2. Siehe Betlehem (2010). []
  3. Kunden mit einem Stromverbrauch ab 100’000 Kilowattstunden pro Jahr können ihren Lieferanten frei wählen und den Strom somit am freien Markt beziehen. Alle anderen Kunden beziehen den Strom über die Grundversorgung: Sie sind an ihr lokales Energieversorgungsunternehmen gebunden, bei dem der Strompreis jeweils für ein Jahr festgelegt und von der staatlichen Regulierungsbehörde Elcom kontrolliert wird. []
  4. Siehe Elcom und Seco (2022). []
  5. Siehe Bundesamt für Energie (2022). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Luc Zobrist, Valérie Müller, Fabian Schnell (2023). Wie stark treffen die hohen Energiepreise Zürcher Unternehmen. Die Volkswirtschaft, 24. Januar.