Suche

Abo

Transithandel: Ein Gradmesser der Globalisierung

Rund 60 Milliarden Franken erwirtschaftete die Schweiz 2021 mit dem Handel von Waren, die nie Schweizer Boden berührten. Meist nutzen Rohstoffhändler diese Handelsform. In den letzten Jahren wurde sie jedoch auch für andere Unternehmen wichtiger.
Näherinnen in Kambodscha. Die Aufspaltung von Design und Produktion in globalen Wertschöpfungsketten kann den Transithandel erhöhen. (Bild: Keystone)

Wenn ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz Waren im Ausland einkauft und diese direkt an einen Abnehmer im Ausland weiterverkauft – ohne sie weiterzuverarbeiten oder in die Schweiz ein- oder aus der Schweiz auszuführen –, nennt man das Transithandel (siehe Kasten). Die Nettoverkäufe dieser Geschäftstätigkeit werden in der Leistungsbilanz der Schweiz als Transithandelseinnahmen verbucht. Der Transithandel hat einen bedeutenden Anteil an der Wirtschaftsleistung der Schweiz.

In den letzten 20 Jahren hat diese Form des Handels in der schweizerischen Leistungsbilanz deutlich zugenommen. Betrugen die Transithandelseinnahmen im Jahr 2000 noch 2,6 Milliarden Franken, so waren es 2021 bereits 58,5 Milliarden Franken (siehe Abbildung 1). Damit ist der Transithandel zur grössten Teilkomponente des schweizerischen Leistungsbilanzsaldos geworden und übertrifft auch die Nettoexporte von Waren, die physisch Schweizer Boden berühren.[1] Diese betrugen im Jahr 2021 rund 51 Milliarden Franken.

Nominal erwirtschaftet kein Land mehr im Transithandel als die Schweiz. Dahinter folgen Hongkong und Deutschland mit jeweils rund 30 Milliarden Franken. Anteilsmässig entsprachen die Schweizer Nettoeinnahmen aus dem Transithandel 2021 rund 8 Prozent des Schweizer BIP.

Abb. 1: Schweizer Leistungsbilanzsaldo und Transithandel (2000–2021)

Quelle: SNB / Die Volkswirtschaft

Eng verknüpft mit Rohstoffhändlern

Wer von Transithandel spricht, meint meist Rohstoffhandel. Nicht zu Unrecht wird die Schweiz häufig als «Rohstoff-Drehscheibe» bezeichnet. Tatsächlich haben sich aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Stabilität seit dem 19. Jahrhundert[2] viele Rohstoffhandelsunternehmen hier angesiedelt. Diese Firmen handeln mit einer Vielzahl natürlicher Ressourcen, die als Ausgangsmaterial zur Herstellung von Fertigwaren dienen. Dazu zählen beispielsweise Energieträger wie Erdöl und Erdgas, Edelmetalle wie Gold und Silber sowie Agrarrohstoffe wie Baumwolle, Weizen und Kaffee. Die Waren überschreiten die Schweizer Grenze allerdings meist nicht.

Gemäss Schätzungen von 2018 wickeln die in der Schweiz ansässigen Rohstoffhändler ein Drittel des Welthandels mit Rohöl, rund zwei Drittel des Metallhandels sowie 35 bis 60 Prozent des Handels mit Agrarrohstoffen ab.[3] Die Rohstoffhändler waren es auch, die zwischen 2000 und 2011 für den markanten Anstieg des Transithandels in der Schweizer Leistungsbilanz verantwortlich waren.[4]

Auch Produktionsketten spielen eine Rolle

Doch Transithandel heisst heute nicht mehr zwingend Rohstoffhandel. Denn Unternehmen aus allen Branchen können durch den Kauf und Verkauf von Waren im Ausland netto Einnahmen erzielen. Die einzigen Bedingungen beim Transithandel sind: Die gehandelten Waren dürfen zwischen dem Kauf und dem Weiterverkauf nicht weiterverarbeitet werden, und sie dürfen die Schweizer Grenze nicht überschreiten. Folglich zählt auch ein Teil des Warenhandels in globalen Produktions- und Wertschöpfungsketten von Unternehmen in anderen Branchen zum Transithandel.

Ein Beispiel dafür ist ein in der Schweiz ansässiges multinationales Unternehmen (MNU) aus der Modebranche, das in der Schweiz Designs entwirft, aber weltweit produzieren lässt. Das Unternehmen gibt einem Bekleidungshersteller im Ausland den Auftrag, die Kleidung nach bestimmten Vorgaben zu produzieren, und kauft dann das fertige Produkt, um es an einen Grosshändler im Ausland zu verkaufen.

Das Beispiel zeigt: Für ein multinationales Unternehmen ist es relativ üblich, Einkünfte aus Transithandelsgeschäften zu erzielen, um so globale Produktionskosten zu minimieren und komparative Vorteile zu nutzen.

Andere Branchen legen zu

Heute melden mehr als 200 Unternehmen aus der Schweiz in der Leistungsbilanzerhebung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) Transithandel. Etwa die Hälfte davon sind Rohstoffhändler. Ihre Einnahmen sind beträchtlich, was bestätigt, dass die Schweiz ein bedeutender Akteur im globalen Rohstoffgeschäft ist (siehe Abbildung 2). Doch die Handelserträge waren in den letzten Jahren recht volatil, mit einem starken Anstieg im Jahr 2021, der wahrscheinlich auf die höheren Rohstoffpreise zurückzuführen ist.

Neben den Rohstoffhandelsunternehmen melden aber auch rund 100 multinationale Unternehmen aus anderen Branchen Transithandelseinnahmen. Sie stammen beispielsweise aus der Pharma, der Lebensmittel- oder der Modeindustrie. Diese Einkünfte von multinationalen Unternehmen aus anderen Branchen sind in den letzten Jahren stetig gestiegen. 2012 waren es noch 8 Milliarden, 2021 schon 19 Milliarden Franken. Das entspricht rund einem Drittel des gesamten Transithandels.

Abb. 2: Transithandel von Rohstoffhändlern und anderen Unternehmen (2012–2021)

Quelle: SNB / Die Volkswirtschaft

 

Kein Kerngeschäft für MNU

Während der Transithandel die Haupttätigkeit von Rohstoffhändlern ist, liegt das Kerngeschäft multinationaler Unternehmen anderer Branchen hauptsächlich in der Produktion von Waren in der Schweiz und im Ausland. Der Transithandel ist nur ein Teil ihrer globalen Produktions- und Wertschöpfungskette. Die Einnahmen aus dem Handel von Waren, die über die Schweizer Grenze transportiert wurden, und dem Handel mit Dienstleistungen sind um ein Vielfaches grösser. Während der Anteil des Transithandels an den Gesamteinnahmen aus dem Waren- und Dienstleistungshandel mit dem Ausland bei den Rohstoffhändlern 2021 bei über 50 Prozent lag, betrug er bei den übrigen Unternehmen lediglich 5 Prozent.

Die letzten Jahrzehnte zeigen einen starken Trend multinationaler Firmen, einzelne Aktivitäten in der Wertschöpfungskette aufzuspalten und in unterschiedliche Länder auszulagern. Darunter fallen etwa Tätigkeiten wie Design, Forschung und Entwicklung, Produktion, Marketing und Vertrieb. Dieser Trend ist besonders in kleinen, offenen Volkswirtschaften wie der Schweiz, Dänemark, Hongkong, Irland und Schweden zu beobachten.[5] Ihr Transithandelseinkommen ist in den letzten Jahren deshalb erheblich gestiegen.

Wenn sich die globalen Wertschöpfungsketten in Zukunft weiter ausdehnen, wird der Warenhandel, der die Schweizer Grenze nicht physisch überschreitet, weiter zunehmen und damit auch seine Bedeutung für die Wirtschaftsleistung der Schweiz.

  1. Siehe SNB (2022a). []
  2. Siehe beispielsweise Haller (2021). []
  3. Jungbluth und Meili (2018). []
  4. Siehe SNB (2012). []
  5. Siehe Internationaler Währungsfonds (2022) und Hakimi et al. (2017). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Stephanie Krell, Pınar Yeşin (2023). Transithandel: Ein Gradmesser der Globalisierung. Die Volkswirtschaft, 23. Februar.

Was ist Transithandel?

Zum Transithandel werden Warenhandelsgeschäfte gezählt, bei denen Waren im Ausland gekauft und unverändert weiterverkauft werden, ohne dass die Waren die Schweizer Grenze überqueren. Neben dem Transithandel gibt es weitere Formen des Warenhandels, bei denen die Produkte die Schweizer Landesgrenze nicht überschreiten. Beispielsweise wenn ein in der Schweiz ansässiges multinationales Unternehmen ein Zwischenprodukt im Ausland kauft, dieses von einem ausländischen Hersteller fertigstellen lässt und anschliessend direkt an den Endkunden im Ausland liefert. Um auch solche Formen globaler Produktionsprozesse umfassender in der Schweizer Leistungsbilanzstatistik abzubilden, führt die Schweizerische Nationalbank 2023 eine neue Erhebung ein.a Die auf der neuen Erhebungsmethode basierenden Daten werden voraussichtlich 2025 veröffentlicht.

a Siehe SNB (2022b).