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Umsetzung der globalen Mindestbesteuerung in der Schweiz

Bundesrat und Parlament haben die Grundlage zur Einführung der Mindestbesteuerung in der Schweiz geschaffen. Diese soll stabile Rahmenbedingungen für Unternehmen garantieren und Steuereinnahmen sichern. Die Volksabstimmung über die neue Verfassungsnorm ist für Juni 2023 geplant.
Als Unternehmenssitz vieler international tätiger Firmen ist der Kanton Basel-Stadt stark von der Steuerreform betroffen. (Bild: Keystone)

Schon seit vielen Jahren ist die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) bestrebt, die internationalen Regeln zur Unternehmensbesteuerung einer globalisierten und digitalisierten Welt anzupassen.[1] Die 2015 verabschiedeten Massnahmen des OECD-Projekts gegen Gewinnverkürzung und -verlagerung (Beps)[2] waren ein erster Schritt in diese Richtung. Dennoch sind viele Staaten weiterhin der Ansicht, dass es zusätzlicher Anpassungen bedarf.

Nach langen und intensiven Verhandlungen haben sich im Oktober 2021 rund 140 Staaten (darunter die Schweiz) auf den sogenannten 2-Säulen-Ansatz geeinigt: Mit der Säule 1 sollen die rund hundert grössten und profitabelsten Unternehmen weltweit neu einen Teil ihres Gewinns in den Marktstaaten versteuern.[3] Mit der Säule 2 sollen international tätige Unternehmen mit einem Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro in jedem Land mindestens 15 Prozent Steuern auf ihrem Gewinn bezahlen. Der Gewinn basiert dabei auf einer international vereinheitlichten Bemessungsgrundlage. Von der 2. Säule wären in der Schweiz wenige Hundert inländische sowie wenige Tausend ausländische Unternehmensgruppen betroffen.

Rechtssicherheit als zentrales Anliegen

Verschiedene Länder, darunter die EU-Mitgliedsstaaten, Grossbritannien, Kanada oder Japan, wollen die Mindestbesteuerung per 2024 umsetzen. Die USA wenden schon heute Mindestbesteuerungsregeln an. Dort stellt sich die Frage, wie diese mit der Mindeststeuer der OECD koordiniert werden können.

Die Arbeiten an der Konkretisierung der Regeln gehen auf internationaler Ebene unvermindert weiter. Für die Schweiz steht dabei insbesondere die Rechtssicherheit im Vordergrund. Spezielle Übergangsregeln sollen die Anwendung der Mindestbesteuerung in der Anfangszeit ermöglichen und vereinfachen. Zudem sollen geeignete Prüfmechanismen sicherstellen, dass die von der Schweiz eingeführten Regeln zur Umsetzung der Mindeststeuer international anerkannt sind. Allfällige Überbesteuerungen sollen mittels Streitbeilegungsmechanismen vermieden werden.

Rasche und flexible Einführung dank Verfassungsänderung

Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Länder ihr Steuersystem anpassen und die Mindestbesteuerung einführen wird.[4] Hierzulande hat die Umsetzung der Steuerreform in Politik und Wirtschaft keine Begeisterungsstürme ausgelöst. Die Schweiz kann jedoch nicht verhindern, dass betroffene Unternehmensgruppen künftig höher besteuert werden und damit grösseren administrativen Aufwand haben. Denn würde die Schweiz auf die Einführung der Mindeststeuer verzichten, dürften andere Länder die fehlende Besteuerung nachholen.

Ein Beispiel: Ein in der Schweiz tätiges Unternehmen wird hierzulande mit weniger als 15 Prozent besteuert. Hat Deutschland als Sitzstaat der Muttergesellschaft die Mindestbesteuerung umgesetzt, könnte der deutsche Fiskus die Differenz aus Schweizer Steuerlast und Mindestbesteuerung besteuern. Falls Deutschland die Mindestbesteuerung nicht eingeführt hat, wäre zu prüfen, ob der deutsche Konzern in weiteren Ländern als der Schweiz tätig ist. Ist dies der Fall (z.B. in Frankreich) und hat mindestens eines dieser Länder die Mindestbesteuerung umgesetzt, erhielte dieses die Möglichkeit zur Besteuerung der Differenz.

Die Schweiz kann also lediglich entscheiden, ob das zusätzliche Steuersubstrat in der Schweiz oder im Ausland abgeschöpft wird. Denn mit Einführung der Mindestbesteuerung hierzulande verbleiben die Einnahmen in der Schweiz, statt ins Ausland abzufliessen. Zudem werden den Unternehmen zusätzliche Steuerverfahren im Ausland erspart. Mit einer Verfassungsänderung hat der Bundesrat zudem die Möglichkeit, die Mindestbesteuerung rasch und flexibel einzuführen. Die Mindestbesteuerung soll vom Bundesrat in Form einer Ergänzungssteuer eingeführt werden. Dabei handelt es sich um eine Bundessteuer, die von den Kantonen vollzogen wird. Sie erfasst lediglich die fehlende Differenz zur geforderten Mindestbesteuerung.

Mehreinnahmen schwierig zu beziffern

Die Mehrheit der Kantone bietet heute Steuersätze unter 15 Prozent an. In allen Kantonen ist es dank der Nutzung der Massnahmen aus der Steuerreform und AHV-Finanzierung (Staf) möglich, eine effektive Steuerlast von weniger als 15 Prozent zu erreichen. Somit kann in jedem Kanton eine Unterbesteuerung auftreten. Schöpft die Schweiz die Ergänzungssteuer in der Schweiz ab, ergeben sich Mehreinnahmen.

Kurzfristig schätzt der Bundesrat diese Mehreinnahmen aus der Ergänzungssteuer auf rund 1 bis 2,5 Milliarden Franken jährlich.[5] Andere Schätzungen kommen zu ähnlichen Resultaten.[6] Doch die Unsicherheit ist gross. Denn viele Reformkomponenten können nur ungenau oder gar nicht abgebildet werden. So unterscheidet sich etwa die Bemessungsgrundlage der Mindestbesteuerung von der geltenden Besteuerung in der Schweiz. Und auch der Verlust an steuerlicher Standortattraktivität kann nicht quantifiziert werden.

Die Einnahmen aus der Ergänzungssteuer sollen gemäss Parlament zu 25 Prozent dem Bund und zu 75 Prozent den Kantonen zustehen. Die kantonalen Einnahmen sollen nach Möglichkeit «verursachergerecht» diejenigen Kantone erhalten, in denen grosse, international tätige Unternehmen bisher zu weniger als 15 Prozent besteuert wurden.

Damit können die Kantone die Einnahmen gezielt dort einsetzen, wo die Steuererhöhung zu einem Verlust an Standortattraktivität führt. Würden die betroffenen Kantone einen tieferen Anteil an den Mehreinnahmen erhalten, hätten diese einen grösseren Anreiz, Gegenmassnahmen zu ergreifen, beispielsweise durch Anhebung des allgemeinen Gewinnsteuersatzes oder durch Einschränkung der Staf-Massnahmen (beispielsweise durch Einschränkung der Patentbox und/oder der F&E-Inputförderung). Darunter würde die steuerliche Attraktivität der Schweiz leiden.

Wie verwenden Bund und Kantone die Einnahmen?

Die Kantone werden souverän entscheiden, wie sie ihre zusätzlichen Einnahmen aus der Ergänzungssteuer verwenden und ob sie Standortmassnahmen ergreifen.[7] Kantonale Standortmassnahmen sollten aber grundsätzlich mit internationalen Vorgaben kompatibel, für die von der Steuerreform tangierten Unternehmensgruppen wirksam und volkswirtschaftlich sinnvoll sein. So kann zum Beispiel die Förderung von Forschung und Entwicklung Anreize mit volkswirtschaftlichem Mehrwert schaffen.

Der Anteil der Kantone an den Einnahmen der Ergänzungssteuer wird im Nationalen Finanzausgleich berücksichtigt. Dies führt dazu, dass die Auszahlungen des Ressourcenausgleichs an die ressourcenschwachen Kantone leicht ansteigen. Diese Mehrausgaben müssen zu 60 Prozent vom Bund und zu 40 Prozent von den ressourcenstarken Kantonen finanziert werden. Die zusätzliche Belastung des Bundes aufgrund dieser Mehrausgaben dürfte sich im niedrigen dreistelligen Millionenbereich bewegen. Der Bund muss seinen Anteil der Einnahmen aus der Ergänzungssteuer für diese Mehrausgaben einsetzen.

Die verbleibenden Mittel sollen zweckgebunden für Massnahmen zugunsten der Standortattraktivität der Schweiz als Ganzes verwendet werden. Denkbar wäre etwa, damit den Bildungs-, Forschungs- und Innovationsplatz Schweiz zu stärken, Start-ups (allenfalls mit thematischem Fokus auf Dekarbonisierung oder Digitalisierung) zu fördern und in Projekte für eine digitale Verwaltung zu investieren.

Ausblick

Das Volk wird im Juni 2023 über die Verfassungsänderung befinden.[8] Mit einer solchen Änderung erhält der Bundesrat die Möglichkeit, die Mindestbesteuerung in einer Verordnung einzuführen und damit auf kurzfristige Entwicklungen im Ausland rasch zu reagieren.

Allerdings: Nach spätestens sechs Jahren muss der Bundesrat ein Bundesgesetz vorlegen, das die Verordnung ablöst. Die bis dahin gesammelten Erfahrungen fliessen in das Gesetz ein. Auch die tatsächlichen Einnahmen aus der Ergänzungssteuer werden zu diesem Zeitpunkt bekannt sein. Die Zielerreichung und die Funktionsweise des Finanzausgleichs werden regelmässig im Rahmen des Wirksamkeitsberichts evaluiert. Gegebenenfalls werden auch in diesem Bereich Anpassungen vorgeschlagen.

Die Umsetzung der Mindestbesteuerung in die Praxis ist für die betroffenen Unternehmen und die Kantone eine Herausforderung. Es stellen sich viele Fragen, die vor der ersten Veranlagung geklärt werden müssen. Angesichts der herrschenden Unsicherheit ist davon auszugehen, dass der Finanzbedarf vieler Länder in Zukunft eher steigen wird. Ob die Mindestbesteuerung einen Schlusspunkt der Diskussion um die internationale Unternehmensbesteuerung darstellt, ist daher offen.

  1. Die Einführung und das folgende Kapitel wurden verfasst von Marianne Orell. []
  2. Siehe OECD (2015). Beps 2015 Final Reports[]
  3. Die Arbeiten zur Säule 1 sind auf OECD-Ebene weniger weit fortgeschritten als zur Säule 2. Im vorliegenden Artikel wird deshalb nicht näher auf die Säule 1 eingegangen. Mit der vorgeschlagenen Verfassungsnorm würde jedoch auch die Grundlage für eine allfällige Einführung der Säule 1 in der Schweiz geschaffen. []
  4. Die folgenden zwei Kapitel wurden verfasst von Nicole Krenger und Peter Schwarz. []
  5. Siehe Botschaft vom 22. Juni 2022 zum Bundesbeschluss über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen (Umsetzung des OECD/G20-Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft), BBl 2022 1700 (Kapitel 6). []
  6. Siehe BSS Volkswirtschaftliche Beratung (2022). Schlussbericht, OECD-Mindeststeuer, Unternehmensbesteuerung in der Schweiz unter dem Regime der OECD-Mindeststeuer: Schätzung der Mehreinnahmen, Verteilung zwischen den Kantonen, Basel 22.7. []
  7. Das folgende Kapitel wurde verfasst von Samuel Schmassmann. []
  8. Das folgende Kapitel wurde verfasst von Nicole Krenger und Peter Schwarz. []

Zitiervorschlag: Nicole Krenger, Marianne Orell, Samuel Schmassmann, Peter Schwarz (2023). Umsetzung der globalen Mindestbesteuerung in der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 07. Februar.