Monika Bütler im Raiffeisen-Forum in Bern: «Sinnvoll wäre ein obligatorischer Vorsorgeausgleich in der zweiten Säule zwischen Eltern.» (Bild: Keystone / Peter Schneider)
Das ist eine schwierige Frage. Ich werde in den nächsten zehn Jahren bestimmt etwas weniger arbeiten als in den vierzig davor. Aber solange ich etwas machen kann, das mir wichtig erscheint und Spass macht, werde ich wohl nie ganz aufhören.
Die Abfolge der Verantwortlichkeiten und die unterschiedlichen Arten der Finanzierung gefallen mir: Je nach Säule liegt die Verantwortung mehr beim Staat oder beim Individuum.
Der grosse Vorteil bei zwei etwa gleich starken Säulen ist die Diversifikation, sowohl der Risiken als auch der Kontrolle und der Organisation. Die erste Säule – die AHV – ist stärker von der Demografie und von der Wirtschaftsentwicklung abhängig, die zweite Säule – die Pensionskassen – mehr vom Kapitalmarkt. Die erste Säule ist vom Staat organisiert, die zweite Säule von Privaten, vor allem den Betrieben.
Es gibt keine Mustervorlage, die auf alle Länder angewandt werden kann. Wie die Altersvorsorge organisiert ist, hängt sehr stark davon ab, wie viel Risiko die Individuen übernehmen sollen und wie viel Wahlfreiheit es gibt. In den angelsächsischen Ländern beispielsweise sind das Risiko und die Wahlfreiheit stärker ausgeprägt. Bei der Vorsorge können wir von vielen Ländern ein bisschen lernen.
Die nordischen Länder setzen viel stärker auf Automatismen, damit die Altersvorsorge finanziell gar nicht in Schieflage gerät. Schweden zum Beispiel passt das Rentenalter periodisch an die Lebenserwartung an. Die Niederlande gehen noch einen Schritt weiter, da können auch laufende Renten gekürzt werden, wenn es die Situation erfordert. Im Gegenzug profitieren Rentnerinnen unmittelbar von positiven Kapitalmarktentwicklungen. Das wären Ideen, welche die Schweiz übernehmen könnte.
Verantwortlich für die Rentenlücke ist die Mutterschaft. Gross ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern bei den Geschiedenen, vor allem bei den Alleinerziehenden. Die Unterschiede bei den Ledigen sind gering, da es wenige Ledige mit Kindern gab. Das dürfte sich in Zukunft noch ändern. Ebenfalls klein ist – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – der Rentenunterschied bei den Verwitweten.
Da gibt es auch Rentenunterschiede, aber für die finanzielle Situation als verheiratetes Paar sind diese sekundär. Problematisch wird es erst bei einer Scheidung.
Sinnvoll wäre ein obligatorischer Vorsorgeausgleich in der zweiten Säule zwischen Eltern, so lange, bis die Kinder 16 Jahre alt sind, und zwar unabhängig davon, ob die Eltern geschieden sind oder überhaupt verheiratet waren. Der Staat kann allerdings nicht jede Vorsorgelücke schliessen. Wer sich ohne Betreuungspflichten freiwillig entscheidet, nur Teilzeit zu arbeiten, muss mit einer kleineren Rente im Alter leben.
Das in der zweiten Säule angesparte Kapital würde zwischen den Elternteilen aufgeteilt, genauso wie es heute bereits bei einer Scheidung passiert. Bürokratisch am einfachsten ist es, wenn die Ausgleichszahlungen erst am 16. Geburtstag des jüngsten Kindes ausgelöst werden. Die Herausforderungen liegen anderswo: beispielsweise wie der Vorsorgeausgleich in Patchwork-Situationen berechnet werden soll. Doch das wäre auch lösbar.
Ein etwas provokativer Vorschlag wäre, dass Studierende während des Studiums keine Beitragsjahre erhalten.
Kinderbetreuung ist aus verschiedenen Gründen wichtig: um die Berufstätigkeit der Eltern zu ermöglichen und Kinder aus benachteiligtem Umfeld früh zu integrieren. Aber der Alterssicherung direkt bringt sie wenig, solange die negativen Arbeitsanreize über das Steuersystem und die kulturellen Vorurteile gegenüber berufstätigen Müttern so gross bleiben.
Im Vordergrund steht für mich die Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung, wie ich das zu Beginn für Schweden beschrieben hatte. Die Kopplung muss nicht eins zu eins sein. Wenn die Lebenserwartung ein Jahr steigt, könnte das Rentenalter beispielsweise um ein halbes Jahr steigen. Zentral wären allerdings Abfederungsmöglichkeiten beispielsweise für Berufe im Bau- und Pflegebereich, die körperlich anspruchsvoller sind. Ein etwas provokativer Vorschlag wäre, dass Studierende während des Studiums keine Beitragsjahre erhalten.
Ja, das wäre gerechtfertigt. Erstens zahlt der Staat bereits die Ausbildung; warum sollte er auch noch die Beitragsjahre querfinanzieren? Zweitens haben besser ausgebildete auch eine deutlich längere Lebenserwartung. Die Subventionierung der Beitragsjahre geht zugunsten der Reicheren.
Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen Staatsausgaben und der AHV: Erstere sind zu einem viel höheren Anteil, eigentlich fast zu 100 Prozent, vorbestimmt. Eine Schuldenbremse verschiebt das Problem einfach in die Zukunft und greift möglicherweise in einem sehr ungünstigen Moment, nämlich in einer wirtschaftlich schwierigen Situation. Wenn der AHV-Ausgleichsfonds unter den Wert fällt, den die Schuldenbremse definiert, dann hilft kurzfristig, falls laufende Renten nicht gekürzt werden können, nur eine sofortige Erhöhung der Beiträge. Bis ein höheres Rentenalter zu Einsparungen führt, dauert es viel zu lange.
Nein, aber wir sollten jetzt über eine automatische Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung diskutieren, nicht erst, wenn die AHV pleite ist. Wer auf eine Schuldenbremse setzt, müsste sich einfach darüber im Klaren sein, dass dies in erster Linie eine automatische Beitragserhöhung bedeutet.
Sie ist noch immer zu hoch, obwohl viele Pensionskassen den Umwandlungssatz bereits gesenkt haben. Die Umverteilung geschieht in erster Linie über eine zu tiefe Verzinsung des Kapitals. Die Umverteilung ist bei jenen Kassen gross, bei denen die Ausgaben für die Renten höher sind als das, was der Kapitalmarkt hergibt.
Wenn die Inflation auf 5 Prozent steigt, müsste man den Umwandlungssatz sogar erhöhen.
Er sollte flexibilisiert werden. Wenn die Inflation auf 5 Prozent steigt, müsste man den Umwandlungssatz sogar erhöhen. Wichtig ist es allerdings, eine gewisse Konstanz bei den Renten zu garantieren. Wir müssen schauen, dass nach einer Finanzkrise beispielsweise die nächste Generation, die in Rente geht, nicht auf einen Schlag 20 Prozent tiefere Leistungen erhält.
Eine grosse für Leute, die für sich selbst vorsorgen können. Das ist nicht bei allen der Fall. Darum finde ich es so wichtig, dass die erste Säule stabil bleibt. Im internationalen Vergleich haben wir mit der AHV, der beruflichen Vorsorge und den Ergänzungsleistungen bereits eine hohe Absicherung. In der Schweiz sparen wir sehr viel in der zweiten Säule, selbst für viele gut verdienende Menschen ist die Pensionskasse mit Abstand das wichtigste Vermögen.
Doch, das ist heikel. Es wäre allerdings möglich, die Langlebigkeit zu versichern, ohne den Versicherten die Wahlmöglichkeit zu nehmen. Zum Beispiel könnte man verlangen, dass diejenigen, die bei der Pensionierung das Kapital beziehen, ein Fünftel des Vermögens in eine aufgeschobene Rente investieren, die erst ab Alter 85 läuft. Eine solche ist viel billiger als eine Rente ab 65.
Nein, aber in den USA wird die aufgeschobene Rente stark beworben. In der Forschung werden die Vorzüge einer aufgeschobenen Rente ausführlich diskutiert. Gerade in Ländern wie den Niederlanden, in denen es noch keine Möglichkeit zum Kapitalbezug gibt. Eines ist klar: Die Bevölkerung will diesbezüglich mehr Wahlfreiheit.
Die heute 70-Jährigen sind deutlich fitter als die 65-Jährigen vor 30 Jahren, in jeder Hinsicht. Für Menschen, die in diesem Alter nicht mehr arbeitsfähig sind, braucht es separate Lösungen.
Das stimmt, allerdings sind finanzielle Anreize allein nicht genug. Denn das gesetzliche Rentenalter hat eine wichtige psychologische Ankerfunktion für unsere Entscheidungen. Ein Beispiel: Erhält eine Rentnerin mit 65 eine Rente von 1000 Franken und einen Zuschlag von 20 Prozent, wenn sie bis 68 arbeitet, wird dies anders wahrgenommen als eine volle Pension von 1200 Franken im Alter von 68 und ein Abschlag von 16,7 Prozent bei einer vorzeitigen Pensionierung mit 65. Dies, obwohl es dieselben Zahlen sind.
Teilzeitlösungen nach dem Pensionsalter bewähren sich bereits in technischen Unternehmen mit Fachkräftemangel. Sie helfen, flexibel und gleitend in den Ruhestand zu gehen. Das Rentensystem allein kann das Problem nicht lösen. Genauso wichtig sind der Arbeitsmarkt und die Weiterbildung der Mitarbeitenden.
Das müssten Sie andere fragen. (lacht) Manchmal denke ich, dass ich nur rede und schreibe, aber kaum etwas bewegen kann. Doch eine Debatte bringt uns immer weiter, auch wenn nicht das herauskommt, was ich mir aus ökonomischer Sicht wünschte. Interessanterweise ist der wichtigste Beitrag, den ich leisten kann, den Menschen ökonomische Zusammenhänge einfach aufzuzeigen. In diesem Sinne würde ich es wieder genauso machen.
Interview mit Monika Bütler, Ökonomin (2023). «Verantwortlich für die Rentenlücke ist die Mutterschaft». Die Volkswirtschaft, 20. Februar.
Die 61-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin lehrte bis 2021 als ordentliche Professorin Wirtschaftspolitik an der Universität St. Gallen. Die Sozialversicherungen galten als ihr Schwerpunkt. Heute ist Bütler selbstständige Ökonomin und Honorarprofessorin an der Universität St. Gallen. Sie ist unter anderem Verwaltungsrätin beim Versicherer Swiss Life und beim Lifthersteller Schindler.