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Was die Zinswende für die Pensionskassen bedeutet

Nach Jahren rekordtiefer Zinsen sind diese im Jahr 2022 stark angestiegen. Aus ökonomischer Sicht ist dies sehr zu begrüssen, auch wenn die Deckungsgrade der Pensionskassen deswegen aktuell deutlich gesunken sind.

Was die Zinswende für die Pensionskassen bedeutet

Beim Pensionskassenvermögen findet derzeit eine Umverteilung von Jung zu Alt statt. (Bild: Keystone)

Mit Marktzinsen von leicht über 6 Prozent zu Beginn der 1990er-Jahre befanden sich die Schweizer Pensionskassen in einer komfortablen Situation. Der damalige BVG[1]-Mindestumwandlungssatz betrug 7,2 Prozent im Alter 65 – Neurentner bekamen also jedes Jahr 7,2 Prozent ihres obligatorisch angesparten Kapitals als Rente ausgezahlt. Dieser Umwandlungssatz bedeutete für Pensionskassen, dass sie bei der damaligen Lebenserwartung mit diesem Kapital jedes Jahr eine Rendite von 4,7 Prozent erzielen mussten, damit das angesparte Kapital bis an das Lebensende der Versicherten ausreichte. Aktiv Versicherte erhielten darüber hinaus mindestens 4 Prozent jährlich (BVG-Mindestzins) auf ihr Kapital. Beide ökonomischen Zinsleistungen konnten die Pensionskassen problemlos mit risikoarmen, festverzinslichen Nominalwertanlagen finanzieren und dabei sogar noch Überschüsse generieren (siehe Abbildung 1).

Seit dem Höchststand der Kassazinssätze von 10-jährigen Bundesobligationen von 7 Prozent im Juni 1992 befanden sich die Marktzinsen jedoch im Sinkflug, wurden im Jahr 2015 negativ und erreichten im August 2019 mit minus 1 Prozent ihren bisherigen Tiefststand.

Abb. 1: Entwicklung von Inflation, Zinsniveau (10-jährige Bundesobligation), BVG-Mindestzins und lebenslänglicher Zinsgarantie im BVG-Umwandlungssatz (1988−2022)

Quelle: Schweizer Nationalbank / Staatssekretariat für Wirtschaft / c-alm / Die Volkswirtschaft

Pensionskassen reagieren

Für Pensionskassen wurde es so unmöglich, die bisher erbrachten Leistungen für Aktive und neue Rentner aufrechtzuerhalten. Entsprechend mussten sie sich an die veränderten ökonomischen Rahmenbedingen anpassen. Sie haben ihre Anlagestrategien im Rahmen ihrer Risikofähigkeit und -bereitschaft überarbeitet, ihre Bewertungszinssätze für die Vorsorgeverpflichtungen reduziert und die Leistungen und reglementarischen Umwandlungssätze entsprechend dem neuen, tieferen Renditepotenzial gesenkt.

Wendeten die meisten Pensionskassen vor zwanzig Jahren noch einen reglementarischen Umwandlungssatz in der Höhe des BVG-Mindestumwandlungssatzes an, lag der Median der Umwandlungssätze 2021 nur noch bei 5,4 Prozent, was einer Zinsgarantie von rund 2,6 Prozent entspricht (siehe Abbildung 2).[2]

Für die Finanzierung von Leistungen in einem kapitalgedeckten Vorsorgesystem wie der beruflichen Vorsorge sind die Marktzinsen somit von grundlegender Bedeutung. Der nachfolgende Text beleuchtet, was die Zinswende für die Pensionskassen in der Schweiz bedeutet.

Abb. 2: Lebenslängliche Zinsgarantie im BVG-Umwandlungssatz im Alter 65 (2021)

Quelle: c-alm / Die Volkswirtschaft
Anmerkung: Ausgegangen wird von den Sterbewahrscheinlichkeiten BVG2020, der steigenden Lebenserwartung gemäss Generationentafel, 60-prozentiger Anwartschaft (Höhe der Altersrente für den überlebenden Ehepartner bei Witwen- resp. Witwerrenten) und davon, dass 70 Prozent der Altersguthaben den Männern gehören.

Viele Pensionskassen in Unterdeckung

Da die Pensionskassen das Vorsorgevermögen zu Marktwerten bewerten müssen, führt jede Zinserhöhung zu Bewertungsverlusten auf den Nominalwerten. Denn wenn die Marktzinsen steigen, sind die festverzinslichen Wertpapiere mit tieferen Zinsen weniger wert. Erschwerend kam im Jahr 2022 hinzu, dass auch auf Aktien negative Anlagerenditen resultierten. Ersten Schätzungen zufolge lag die mittlere Anlagerendite im Jahr 2022 bei minus 11 Prozent. Ausgehend von einem durchschnittlichen Deckungsgrad von 118,5 Prozent per Ende 2021 und einer erwarteten durchschnittlichen Sollrendite von 2 Prozent, resultiert dadurch – bei unverändertem Bewertungszins – ein geschätzter durchschnittlicher Deckungsgrad per Ende 2022 von rund 103 Prozent. Mit Sollrendite wird die jährliche Anlagerendite bezeichnet, die nötig ist, damit eine Pensionskasse alle Verpflichtungen bezahlen und ihren Deckungsgrad konstant halten kann. Je höher die Zinsversprechen der Pensionskassen, umso höher ist diese Sollrendite.

Für viele Pensionskassen bedeutete die Marktentwicklung 2022, dass sie einen Deckungsgrad von weniger als 100 Prozent ausweisen und sich in einer Unterdeckung befinden. Eine Unterdeckung bedeutet jedoch nicht automatisch, dass harte Sanierungsmassnahmen wie Sanierungsbeiträge oder Nullverzinsungen auf dem Altersguthaben folgen müssen. Aber der Stiftungsrat muss sich mit der Situation auseinandersetzen und Massnahmen beschliessen, welche geeignet sind, in einer Frist von fünf bis sieben Jahren die Unterdeckung zu beheben.

So schmerzhaft der unmittelbare Bewertungseffekt aus der Zinswende für die Pensionskassen und deren Deckungsgrad im Jahr 2022 war, so führte die Zinswende doch dazu, dass das Renditepotenzial auf dem Vorsorgevermögen deutlich angestiegen ist, vor allem, weil festverzinsliche Wertpapiere wieder eine positive Rendite erbringen können. Entscheidend für die Beurteilung der laufenden Finanzierung einer Pensionskasse ist die Differenz zwischen der erwähnten Sollrendite und dem Renditepotenzial auf dem Vorsorgevermögen.

Das langjährige Tiefzinsumfeld hat dazu geführt, dass die Pensionskassen in den vergangenen Jahren ihre Bewertungs- und Leistungsparameter reduzieren mussten, um auf eine Sollrendite zu kommen, welche in diesem Umfeld vernünftig finanzierbar war. Die Zinswende führte nun dazu, dass per Ende 2022 das Renditepotenzial der Vermögensanlage deutlich über der (reduzierten) Sollrendite lag. Dies bedeutet, dass die Pensionskassen aktuell zwar tiefe Deckungsgrade aufweisen, aber in der Erwartung eine ausreichende Anlagerendite erzielen sollten, um alle Leistungen zu erfüllen und den Deckungsgrad wieder aufbauen zu können – und das ist grundsätzlich als sehr positiv zu beurteilen. Die höhere Renditeerwartung bei gleichzeitig tiefer Sollrendite erhöht den Handlungsspielraum, den Pensionskassen haben, während sie im Tiefzinsumfeld oft mit dem Rücken zur Wand standen.

Inflation und Teuerungsanpassungen

Aufgrund der tiefen Inflation waren Teuerungsanpassungen an den laufenden Altersrenten in den vergangenen Jahren kaum ein Thema. Im Gegensatz zu den BVG-Risikorenten (Hinterlassenen- und Invalidenrenten) gibt es keine gesetzliche Pflicht für die automatische Teuerungsanpassung bei den Alters- und den überobligatorischen Risikorenten. Bei diesen Rentenarten hat der Stiftungsrat die Aufgabe, jährlich zu prüfen, ob die finanziellen Möglichkeiten für eine Teuerungsanpassung vorliegen und in welchem Ausmass gegebenenfalls die Renten angepasst werden sollen.

In vielen Fällen gelten die finanziellen Möglichkeiten als erreicht, wenn die Pensionskasse ihre sogenannten Wertschwankungsreserven geäufnet hat und somit freie Mittel ausweist, was nach 2022 nur in wenigen Pensionskassen der Fall sein wird. Aufgrund der nun wieder spürbaren Inflation wird sich der Stiftungsrat in Zukunft jedoch vermehrt mit diesem Thema auseinandersetzen müssen.

Da die Altersrentner in den Pensionskassen mit unterschiedlichen Umwandlungssätzen in Rente gingen, kann es durchaus angemessen und fair sein, die unterschiedlichen Kohorten von Altersrentnern unterschiedlich schnell an zukünftigen Erträgen partizipieren zu lassen. Vor allem die jüngeren Rentner, die tiefere Umwandlungssätze hinnehmen mussten, sollten früher partizipieren können als diejenigen, die noch von den historisch hohen Umwandlungssätzen profitierten.

Erhöhung der Bewertungs- und Umwandlungssätze?

Die Zinswende und das schlechte Anlagejahr haben 2022 dazu geführt, dass die Deckungsgrade der Pensionskassen stark eingebrochen sind. Gleichwohl sind die Marktzinsen per Ende 2022 mit 1,6 Prozent wieder deutlich höher als in den vergangenen zehn Jahren. Bei vielen Pensionskassen liegt das Renditepotenzial aktuell klar über der Sollrendite, was in der Erwartung zu einer Zunahme der Deckungsgrade führen wird.

Die Reduktion der Bewertungszinssätze und der Umwandlungssätze in den letzten Jahren war ein schwieriger und schmerzhafter Prozess, der nur teilweise durch Kompensationsmassnahmen abgefedert werden konnte. Im Wissen um die Volatilität der Marktzinsen tun die Stiftungsräte gut daran, bei einer allfälligen Erhöhung der Bewertungszinssätze die gleiche Umsicht walten zu lassen wie bei der damaligen Reduktion. Eine Erhöhung des Bewertungszinssatzes führt zwar zu einer kurzfristigen Erhöhung des Deckungsgrades, aber eben auch zu einer Erhöhung des zukünftigen Zinsaufwandes beziehungsweise der Sollrendite.

Da die Umwandlungssätze eine lebenslängliche Zinsgarantie implizieren, ist bei deren Festlegung eine noch viel grössere Um- und Vorsicht geboten. Die aktuelle BVG-Reform zeigt deutlich, wie schwierig es ist, die Umverteilung infolge der zu hohen lebenslänglichen Zinsgarantie im BVG-Umwandlungssatz zu reduzieren.[3] Es gibt viele gute Beispiele von Pensionskassen, welche den Umwandlungssatz auf beispielsweise 5 Prozent fixiert haben und für den Fall von systematisch höheren Anlageerträgen eine faire und transparente Überschussbeteiligung vorsehen.[4]

  1. Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge. []
  2. Siehe Oberaufsichtskomission Berufliche Vorsorge (OAK BV) (2022). Bericht zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtungen 2021. Damit man mit dem vorhandenen Kapital eine jährliche Rente von 5,4 Prozent ausrichten kann, muss jedes Jahr mindestens eine Rendite von 2,6 Prozent erzielt werden. Gelingt dies nicht, kommt die Pensionskasse – und somit die aktiv Versicherten – für den Verlust auf, beispielsweise durch Minderverzinsung der Altersguthaben, da die Renten garantiert sind. []
  3. UBS (2022). Reform der beruflichen Vorsorge – Gesetz und Realität in Einklang bringen. []
  4. Beispielsweise die Überschussbeteiligung der Raiffeisen-Pensionskasse[]

Zitiervorschlag: Reto Leibundgut (2023). Was die Zinswende für die Pensionskassen bedeutet. Die Volkswirtschaft, 21. Februar.