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Kritik von aussen ist nicht erwünscht

Pascal Saint-Amans, Professor an der Fakultät für Recht, Kriminologie und öffentliche Verwaltung Universität Lausanne

Standpunkt

In Sachen Finanzkriminalität stand es um den Ruf der Schweiz im Ausland lange Zeit nicht zum Besten. Die Nachwehen sind immer noch spürbar, obwohl der schweizerische Finanzplatz inzwischen stark umstrukturiert wurde. Unterlässt es jemand, sein Vermögen und sein Einkommen bei den Steuerbehörden seines Wohnsitzlandes zu versteuern, gilt dies fast überall auf der Welt als Betrug. Nur die Schweiz passte sich dieser Definition erst an, als sie nach 2009 gezwungen worden war, das Bankgeheimnis zu Steuerzwecken aufzuheben. Bis zu diesem Zeitpunkt galt Steuerhinterziehung nur dann als Betrug, wenn man bewusst Dokumente fälschte und explizit log.

Diese Unterschiede bei der juristischen Einordnung beruhen auf einem grundlegenden Missverständnis: Der Schweizer Finanzplatz gewichtete das Recht seiner Kundschaft auf Geheimhaltung so hoch, dass er sie über die Kooperation in Rechts- und Steuerfragen stellte. Eine solche Auslegung ist vielleicht in den dunklen Stunden des Nationalsozialismus gerechtfertigt, als die Schweiz das Vermögen verfolgter Personen schützte. Es birgt allerdings das Risiko, illegal oder gar kriminell erworbene Vermögen anzunehmen, Geldwäscherei zu decken oder Korruption zu fördern.

In den letzten zehn Jahren hat die Schweiz grosse Fortschritte erzielt. Die Gefahr, der Finanzkriminalität Vorschub zu leisten, ist deutlich gesunken. Zudem hat sie die juristische Definition von Betrug an die internationalen Standards angepasst: Steuerbetrug gilt nun als Vortat zur Geldwäscherei. Die Schweiz spricht sich zwar weiterhin dagegen aus, dass die zu steuerlichen Zwecken ins Ausland weitergeleiteten Informationen auch an andere Behörden als das Steueramt gehen. Trotzdem tauschen Schweizer Steuerbehörden jedes Jahr Millionen von Details mit ihren Kollegen im Ausland aus.

 

Die Schweiz hat sich lange gesträubt, passte sich aber nach und nach den internationalen Finanzvorschriften an.

 

Dennoch bleibt noch viel zu tun, insbesondere im Bereich der Korruptionsbekämpfung und der Geldwäscherei. Das Schweizer Parlament hat Gesetzesentwürfe zum besseren Schutz von Whistleblowern oder zur Erhöhung des Mindestbetrags von Bussen bei Korruption abgelehnt. Die Bewertung durch die der OECD angegliederte Financial Action Task Force fällt dennoch recht positiv aus, obwohl sie insbesondere die Praxis im Bereich der Kryptowährungen streng beurteilt.

Die Schweiz hat sich lange gesträubt, passte sich aber nach und nach den internationalen Finanzvorschriften an. «Schon viel besser, aber es bleibt Luft nach oben», so dürfte wohl das Fazit ihrer ausländischen Kollegen lauten. Ganz nach dem bekannten Vers aus der Bergpredigt: «Man sieht den Splitter im fremden Auge, aber nicht den Balken im eigenen.» Denn natürlich müssten auch die anderen Länder erst einmal über die eigenen Bücher gehen.

Zitiervorschlag: Pascal Saint-Amans (2023). Standpunkt: Kritik von aussen ist nicht erwünscht. Die Volkswirtschaft, 14. März.