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Neue Wege bei der Be­kämp­fung von Wirt­schafts­kri­mi­na­li­tät

Die Corona-Pandemie und die Digitalisierung haben die Zahl der Wirtschaftsdelikte im Wirtschaftszentrum Zürich emporschnellen lassen. Die kantonalen Behörden wissen sich pragmatisch zu helfen, es bleibt jedoch gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
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Seit Pandemiebeginn haben die Strafverfolgungsbehörden im Kanton Zürich 350 Ermittlungen gegen mutmassliche Covid-Kredit-Betrüger aufgenommen. (Bild: Keystone )

Der Kanton Zürich ist ein Wirtschaftsstandort von nationaler und internationaler Bedeutung. Als solcher ist er besonders stark von schwerwiegenden und oft auch komplexen Wirtschaftsstraffällen betroffen. Einige davon sorgten in den letzten Jahrzehnten auch weit über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus für Schlagzeilen: so etwa die BVK-Affäre, der Firmenzusammenbruch der Erb-Gruppe oder jüngst das Verfahren gegen ehemalige Exponenten der Kreditkartenfirma Aduno und der Genossenschaftsbank Raiffeisen Schweiz.

Das Fallaufkommen im Kanton ist enorm. Allein im Bereich komplexer Wirtschaftsdelikte haben sich in den letzten zehn Jahren die Pendenzen verdoppelt. Und dies, obschon im gleichen Zeitraum die Zahl der erledigten Fälle deutlich gestiegen ist.

Eine ausgesprochene Verbundaufgabe

Einfachere bis mittelschwere Wirtschaftsdelikte werden im Kanton Zürich von den regionalen Staatsanwaltschaften bearbeitet. Die fachlich besonders komplexen Verfahren übernimmt die spezialisierte Staatsanwaltschaft III. Die Staatsanwältinnen und -anwälte werden durch die kaufmännische Verfahrensassistenz, spezialisierte Sachbearbeitende der Kantonspolizei Zürich und je nach Bedarf zusätzlich durch Revisorinnen, Wirtschaftsprüfer und Verwertungsexperten unterstützt. Denn eine erfolgreiche Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ist eine ausgesprochene Verbundaufgabe, die eine enge Koordination erfordert. Grössere Verfahren werden dabei regelmässig in Teams von mehreren Staatsanwältinnen und -anwälten bearbeitet.

Dieser Ansatz ist in der Praxis zwar anspruchsvoll, er hat sich bisher aber bewährt: Trotz steigender Fallzahlen ist im Bereich der qualifizierten Wirtschaftsdelikte die Verurteilungsquote gleich hoch geblieben. Dies zeigt, dass in diesem Fachgebiet die Verfahren weiterhin fachlich fundiert geführt und erfolgreich zur Anklage gebracht werden. Nur so kann das Strafrecht auch seine generalpräventive Wirkung entfalten.

Wachsende technische Herausforderungen

Trotz der beachtlichen und nachhaltigen Erfolge bleibt die Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten ein dynamisches Tätigkeitsfeld: Die Komplexität der Materie hat in den letzten Jahren durch die immer professionellere Täterschaft neue Höhen erreicht. Heute können mit ein paar Mausklicks Daten verschlüsselt, über das Internet oder am Smartphone Konten eröffnet, Firmen gegründet oder für geringfügige Beträge Strohleute rekrutiert werden. Die Betrüger nutzen dabei die Anonymisierung im Internet immer professioneller. Die ermittelnden Behörden sind deshalb immer mehr mit komplexen und internationalen Strukturen sowie hohen technischen Anforderungen konfrontiert.

Während die Anzeigen von den Geschädigten in der Schweiz eingehen, agieren die Täter oft aus dem Ausland. Zudem bedienen sich Letztere technischer Mittel, um ihren Standort zu verschleiern. Beschlagnahmefähige Vermögenswerte und zentrale Beweismittel befinden sich nicht mehr im direkten Zugriffsbereich der Schweizer Strafverfolgungsbehörden. Die Folgen sind einschneidend: Das Begehen von Wirtschaftsdelikten wird immer einfacher, aber immer schwieriger zu verfolgen. Auf die Strafverfolgungsbehörden trifft dadurch der perfekte Sturm aus steigenden Fallzahlen bei zunehmender Ressourcenintensität.

Neuartige Fälle nehmen zu

Die Dynamik auf dem Gebiet der Wirtschaftsstrafverfolgung zeigt sich unter anderem darin, dass immer wieder neue Kriminalitätsphänomene auftauchen, bei deren Bekämpfung neue Ansätze gefragt sind.

Ein Beispiel sind Covid-Kreditbetrüge: Die Täter erkannten während der Corona-Pandemie schnell, dass sie die pragmatische Nothilfe des Bundes zur eigenen Bereicherung ausnützen können. Im Kanton Zürich haben die Strafverfolgungsbehörden seit Pandemiebeginn im Frühjahr 2020 in mehr als 350 Fällen Ermittlungen aufgenommen. Die mutmassliche Gesamtdeliktssumme des Kreditbetrugs beträgt über 50 Millionen Franken.

Ein weiteres neueres Massenphänomen ist die sogenannte Konkursreiterei. Dabei werden Gesellschaften, welche in wirtschaftliche Schieflage geraten sind, einem «Firmenbestatter» übertragen, der die Gesellschaft noch eine Zeit lang zum Schein weiterführt und weitere Schulden macht. Geht die Gesellschaft schliesslich in Konkurs, fehlt die Konkursmasse, und die privaten und öffentlichen Gläubiger bleiben auf ihren Forderungen sitzen. Im Kanton Zürich entstand dadurch allein zwischen 2019 und 2022 ein mutmasslicher Schaden von schätzungsweise rund 240 Millionen Franken, schweizweit dürften es sogar Milliardenbeträge sein. Die Firmenbestatter werden heute immer wieder von fragwürdigen Anwälten oder Treuhändern gegen Entschädigung professionell vermittelt, wodurch die Fallzahlen deutlich gestiegen sind (siehe Abbildung).

Konkursreiterei: Ermittlungen von Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft im Kanton Zürich (2019–2022)

Quelle: Kantonspolizei Zürich / Die Volkswirtschaft

 

Sowohl bei Covid-Kreditbetrug wie auch bei der Konkursreiterei stossen traditionelle Verfahrenstechniken an ihre Grenzen. Um die steigende Flut an Fällen dennoch fachgerecht abzuarbeiten, hat die Zürcher Staatsanwaltschaft neue Lösungen entwickelt. So wurden viele Prozesse im Bereich der Früherkennung, der Rapporterstattung, der Ermittlungen und der Anklage standardisiert. Leitfäden und Muster ermöglichen es nun den Fallbearbeitenden, auch mit moderaten Fachkenntnissen die anspruchsvollen Verfahren effizient und fachlich auf hohem Niveau zu erledigen.

Föderale Hürden überwinden

Als noch anspruchsvoller erweist sich die Bekämpfung des Phänomens Online-Anlagebetrug. Die globalisierte Gesellschaft und das Internet ermöglichen es heute einer international agierenden Täterschaft, mit wenig Aufwand sehr viele potenzielle Opfer zu erreichen. Auch hier explodieren die Fallzahlen. Allein im Kanton Zürich sind zwischen Mai 2018 und Mai 2020 insgesamt 242 entsprechende Fälle mit einer mutmasslichen Schadenshöhe von über 40 Millionen Franken eingegangen, Tendenz steigend. Als besonders erschwerend erweist sich dabei, dass Anzeigen in unterschiedlichen Kantonen eingehen und Zusammenhänge somit nicht immer gleich erkannt werden.

Deshalb setzt sich der Kanton Zürich gemeinsam mit den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und anderer Kantone für neue Verfolgungsansätze ein: In einer ersten Phase werden eingehende Anzeigen und Hinweise mit Verfahren anderer Kantone abgeglichen, um Zusammenhänge zu erkennen. Erst wenn eine grössere Anzahl zusammenhängender Verfahren mit erfolgversprechenden Ermittlungsansätzen erkannt wird, werden diese Verfahren zusammengefasst und kantonsübergreifend verfolgt. Dieses Vorgehen enthält Ansätze und Methoden, die bereits bei anderen Phänomenen der Cyberkriminalität erfolgreich angewandt worden sind. Das neue Vorgehen hat sich bereits bewährt und soll nun schweizweit angewandt werden.

Gesetzgeberische Anpassungen nötig

Auch wenn in den letzten Jahren innovative und effektive Ansätze entwickelt wurden, um all den genannten Herausforderungen bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zu begegnen, gibt es weiterhin Handlungsbedarf. Die Bestrebungen unter den Kantonen und mit dem Bund zur Intensivierung der Zusammenarbeit sind in vollem Gang und müssen mit Nachdruck weiterverfolgt werden.

Erheblicher Handlungsbedarf besteht auch beim Schweizer Rechtshilferecht, das notorisch schwerfällig ist und die Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden unnötig erschwert. So muss die Staatsanwaltschaft etwa die beschuldigte Person über den Gegenstand des Verfahrens orientieren, bevor Beweismittel ins Ausland übermittelt werden können. Die beschuldigte Person ist dadurch gewarnt und kann weitere Beweise und Vermögenswerte verschwinden lassen.

Sodann sind die wirtschaftlich berechtigten Personen hinter den Unternehmen trotz entsprechender Bemühungen weiterhin in keinem Register ersichtlich. Dadurch werden die tatsächlichen Verhältnisse geradezu standardmässig verschleiert. Und schliesslich ist es angesichts der nachweislichen Tragweite nicht nachvollziehbar, weshalb Rechtsanwälte und Notare für ihre Aktivitäten ausserhalb des anwaltlichen Monopolbereichs nicht dem Geldwäschereirecht unterstellt sind. Hier wird zugunsten einiger schwarzer Schafe ein ganzer Geschäftsbereich von der Geldwäschereibekämpfung ausgeklammert.

Funktionierende Rahmenbedingungen zu schaffen für die Verfolgung von Personen und Personengruppen, welche im Wirtschaftsverkehr systematisch das Recht brechen, ist letztlich Aufgabe der Wirtschafts- und der Sicherheitspolitik. Eine funktionierende Wirtschaftsstrafverfolgung sorgt für Rechtssicherheit und stabile wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Beides sind traditionelle Standortvorteile der Schweiz. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich sind bereit, weiterhin ihren Beitrag zu deren Erhalt und Verbesserung zu leisten.

Zitiervorschlag: Zogg, David (2023). Neue Wege bei der Be­kämp­fung von Wirt­schafts­kri­mi­na­li­tät. Die Volkswirtschaft, 14. März.