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Digitalisierung in KMU: Potenzial wird oft nicht ausgeschöpft

Die Digitalisierung ist auch in kleinen und mittleren Unternehmen auf dem Vormarsch. Doch viele Firmen können die neuen Technologien noch nicht in Wettbewerbsvorteile ummünzen. Die Gründe dafür sind bekannt – und sie könnten überwunden werden.
Der Einsatz von Robotern nimmt bei KMU deutlich langsamer zu als in Grossunternehmen. Roboterwagen im Logistikzentrum von Brack.ch in Willisau LU holen die bestellten Artikel aus dem Lager. (Bild: Keystone)

Digitale Innovationen wie Cloud-Computing, Roboter, Internet der Dinge und künstliche Intelligenz werden als Motoren der Produktivitätssteigerung gepriesen. Sie haben das Potenzial, Wertschöpfungsprozesse effizienter zu machen und bestehende unternehmerische Strukturen und das Angebot an Produkten und Dienstleistungen grundlegend zu erneuern. Auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) können diese Technologien Automatisierungen ermöglichen und die Vernetzung von Prozessen über Schnittstellen innerhalb und ausserhalb des Unternehmens vereinfachen. So können KMU Skalen- und Verbundvorteile erzielen, wie sie bislang eher Grossunternehmen vorbehalten waren.

Eine aktuelle, landesweite Umfrage[1] der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich gibt neue Einblicke in den Stand der digitalen Transformation der KMU und Grossunternehmen (siehe Kasten). Zudem untersucht sie, wie sich die zunehmende Digitalisierung auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirkt. Die Studie wird alle vier Jahre wiederholt und zeigt so auch die Entwicklungen zwischen 2016 und 2020 auf.

KMU stehen noch am Anfang

Die Zahlen der neusten Erhebung zeigen: Digitale Technologien sind in Grossunternehmen deutlich häufiger anzutreffen als in KMU mit weniger als 250 Mitarbeitenden. Insbesondere Kleinunternehmen (<50 Beschäftigte) setzen im Median weniger als 20 Prozent der abgefragten Technologien ein.[2] Bei Grossunternehmen beträgt dieser Anteil knapp 40 Prozent.

Allerdings: Es gibt bei den KMU viele Ausnahmen. Dies deutet darauf hin, dass es einige sehr fortschrittliche Firmen gibt, die möglicherweise als digitale Vorbilder in ihren Branchen gelten. Sie könnten die künftige Entwicklung in der Branche vorzeichnen. Eine so grosse Streuung zwischen Technologiepionieren und der breiten Masse ist bei Grossunternehmen nicht zu beobachten.

Zudem zeigt die Studie, dass Kleinunternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten die Anzahl eingesetzter Technologien zwischen 2016 und 2020 im Median erhöht haben – und dass neue Technologien auch zunehmende Verbreitung finden. Diese Entwicklung zeigt sich bei den grösseren KMU nicht, wohl aber bei den Grossunternehmen.

Zuwachs bei Cloud-Technologien und sozialen Medien

Nicht alle Grössenklassen nutzen die einzelnen digitalen Technologien gleich stark. Ob grosse oder kleine Unternehmen, macht einen Unterschied. Entsprechend unterscheiden sich auch die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung je nach Unternehmensgrösse.

Während etablierte Technologien für das Management von Ressourcen, Kunden und Wertschöpfungsketten bereits weitverbreitet sind und sich kaum weiter ausbreiten, haben unternehmensinterne Plattformen (z. B. Sharepoints, Blogs, Wiki) und der Gebrauch von sozialen Medien bei KMU deutlich zugenommen. Besonders bemerkenswert ist der Zuwachs moderner Cloud-Computing-Technologien, welche die Speicherung und den Zugriff auf Daten im Netzwerk vereinfachen. Ein Grund dafür ist, dass sich die Technologien stark weiterentwickelt haben und auch bei KMU einen effizienten Einsatz erlauben. Beispiele dafür sind neben dem Cloud-Computing auch Software und IT-Infastruktur für Telearbeit oder die sozialen Medien; ihre Verbreitung ist bei KMU deutlich stärker gestiegen als bei Grossunternehmen (siehe Tabelle).

Anders sieht es aus bei den fortschrittlichen Technologien für die Fertigung und die Logistik von Produkten (CNC-Werkzeugmaschinen, Robotik, funkbasierte Sender-Empfänger-Systeme (RFID) und Internet der Dinge): Hier sind die Zuwächse bei KMU deutlich niedriger als bei Grossunternehmen. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Digitalisierung von Schnittstellen zu analogen Wertschöpfungsprozessen eine Herausforderung für KMU darstellt. Diese Prozesse umzustellen, könnte für KMU aufgrund ihrer geringen Grösse und der beschränkten Produktpalette riskant sein. Künftig dürfte es daher auch für KMU immer wichtiger werden, die Schnittstellen zwischen digitalen und analogen Prozessen zu verbessern.

Auch bei Technologien zur Automatisierung von Unternehmensabläufen wie dem Einsatz von Robotern oder 3-D-Druck hat die Verbreitung bei Grossunternehmen stärker zugenommen als bei KMU.

Wettbewerbsvorteile bleiben oft aus

Doch hat die zunehmende Digitalisierung die KMU auch wettbewerbsfähiger gemacht? Die meisten KMU verneinen das.[3] Gemäss Selbsteinschätzung wird bislang die Wettbewerbsfähigkeit durch die Digitalisierung für einen Grossteil der Firmen nicht beeinflusst. Unabhängig von der Unternehmensgrösse hat sich die Wettbewerbsfähigkeit 2020 durch die Digitalisierung bei ungefähr 60 Prozent der Unternehmen kaum verändert. Nur bei knapp 40 Prozent hat die Wettbewerbsfähigkeit zugenommen – auch hier spielt die Unternehmensgrösse keine Rolle. Rund 1 bis 3 Prozent der Unternehmen geben an, dass die Digitalisierung ihre Wettbewerbsfähigkeit sogar vermindert habe.

Im Vergleich zur Umfrage 2016 hat sich an diesem Muster kaum etwas geändert mit Ausnahme der Grossunternehmen. Von ihnen sehen 2020 nur noch 39 Prozent eine bessere Wettbewerbssituation aufgrund der Digitalisierung. 2016 war es noch die Hälfte der Unternehmen. Dieser Rückgang könnte auch damit zusammenhängen, dass die grossen Unternehmen die unmittelbaren Wettbewerbsvorteile schon früher realisiert haben oder dass die KMU bei der Digitalisierung aufgeholt und den einst gewonnenen Wettbewerbsvorteil von einigen Grossunternehmen wieder zunichtegemacht haben.

Nutzung verschiedener digitaler Technologien nach Unternehmensgrösse, in Prozentpunkten (Entwicklung 2016–2020)

Lesebeispiel: Der Anteil Kleinfirmen mit weniger als 50 Mitarbeitenden, der softwarebasierte Betriebsplanungssysteme (ERP) verwendet, hat zwischen 2016 und 2020 um 5 Pozentpunkte abgenommen. Stichprobengrösse: 2020 (N=1279) und 2016 (N=1134).
Quelle: Digitalisierungsumfrage 2016 (KOF; Institut für Arbeits- und Organisationspsychologie ETH Zürich; Hochschule für angewandte Psychologie, FHNW); Digitalisierungsumfrage 2020 (KOF; Institut für Strategic Management and Innovation, ETH Zürich) / Die Volkswirtschaft

 

Warum klemmt es bei den Wettbewerbsvorteilen?

Die Studienergebnisse lassen sich mit den Erkenntnissen verschiedener anderer Studien in Verbindung bringen, die besagen, dass viele Unternehmen das Potenzial der Digitalisierung zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit nicht ausreichend nutzen.[4] Insbesondere für die KMU wird die Übersetzung des Potenzials digitaler Technologien in Effizienz- und/oder Differenzierungsvorteile ein relevantes Thema bleiben – vor allem vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in diesem Bereich. Der Mangel an IT-Fachkräften dürfte sich vermutlich erschwerend auf die digitale Transformation auswirken, insbesondere in KMU, da grosse Unternehmen als Arbeitgeber für knappe IT-Fachkräfte relativ attraktiver sind.

Dass rund 60 Prozent der Schweizer KMU aus der Digitalisierung keine wettbewerblichen Vorteile ziehen, ist beachtlich. Hauptsächlich gibt es zwei Gründe dafür: Entweder definieren viele Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht über die Digitalisierung, oder das Potenzial, welches sich aus der Digitalisierung ergeben könnte, wird nicht ausgenutzt. Für Letzteres gibt es in der Literatur mehrere Gründe.[5] So können einerseits bestehende digitale Systeme die Umstellung auf modernere digitale Technologien verhindern, da die bestehenden Management- und Informationsverarbeitungsprozesse bereits auf diese Systeme ausgerichtet sind. Diese Pfadabhängigkeiten führen zu Behäbigkeit und gedrosselter Veränderungsbereitschaft in Organisationen.

Andererseits können insbesondere für KMU potenzielle Schnittstellenprobleme zwischen digitaler und analoger Infrastruktur bestehen. Denn anders als Grossunternehmen sind KMU stärker von einzelnen Produktionsprozessen abhängig. Bei einer umfassenden Umstellung der digitalen Systeme würde das zumindest kurzfristig Leistungseinbrüche bedeuten. Dieser mangelnde Spielraum kann unter Umständen dazu führen, dass die Technologien nicht in konkrete Wettbewerbsvorteile übersetzt werden.

Um diese Hürden zu überwinden, müssen unternehmerische Ziele angepasst sowie Grenzen und Schnittstellen von unternehmensinternen Prozessen und der Kunden- und Lieferantenbeziehungen evaluiert und angepasst werden. Beispielsweise kann hinterfragt werden, inwiefern die unternehmenseigene IT-Architektur mit der Architektur der wichtigsten Kunden oder Zulieferer kompatibel ist. Wichtig ist zudem, dass die geschilderten Barrieren als zusammenhängend betrachtet werden. Denn erst im Verbund führen sie zu einem hemmenden Momentum in der digitalen Transformation. Unternehmen sollten deshalb diese Punkte prüfen, um das Potenzial einer digitalen Transformation realisieren zu können.

  1. Siehe Beck et al. (2023). []
  2. 2016 wurden 24 Technologien abgefragt. 2020 waren es 26. Die Anzahl der eingesetzten Technologien wurde pro Umfrageerhebung normalisiert, sodass ein Vergleich zwischen den beiden Zeiträumen möglich ist. []
  3. Die Unternehmen wurden gefragt: «Die Wettbewerbsfähigkeit Ihrer Unternehmung hat sich durch die (verstärkte) Digitalisierung 2017 bis 2019 wie folgt entwickelt:» Als Antwortmöglichkeiten standen den Firmen die Kategorien von «stark abgenommen» bis «stark zugenommen» zur Auswahl. []
  4. Siehe Soluk und Kammerlander (2021). []
  5. Siehe etwa Brock und von Wangenheim (2019) sowie Holmström (2022). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Mathias Beck, Johannes Dahlke, Martin Wörter (2023). Digitalisierung in KMU: Potenzial wird oft nicht ausgeschöpft. Die Volkswirtschaft, 18. April.

Die Studien und Erhebungen im Detail

Die KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich führte gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Strategisches Management und Innovation der ETH Zürich im Jahr 2020 eine Umfrage zur digitalen Transformation in Schweizer Unternehmen durch.a Die Umfrage ist Teil des Forschungsprojekts «Digitale Transformation: Wie sie Organisationen, Leistung und Märkte verändert», das vom Nationalen Forschungsprogramm zur digitalen Transformation (NFP 77) des Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird. Die Umfrage wurde auf Basis des KOF-Unternehmenspanels durchgeführt. Das ist eine geschichtete Zufallsstichprobe von rund 9000 Unternehmen, die repräsentativ für die Schweizer Privatwirtschaft ist. Die Rücklaufquote betrug 29,1 Prozent.

Die KOF Konjunkturforschungsstelle hat in Kooperation mit dem Institut für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich und der Hochschule für angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz im Jahre 2016 ebenfalls eine Digitalisierungsumfrage durchgeführt. Die Ergebnisse dieser beiden Umfragen wurden ausführlich in den Studien von Arvanitis et al. (2017) sowie von Bienefeld-Seall et al. (2018) veröffentlicht. Ausserdem wurden diese Daten im Rahmen der Studie von Beck et al. (2020) verwendet.

a Siehe Beck et al. (2023)