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Wettbewerbs­recht: Schweiz und Deutsch­land vertiefen Zusammen­arbeit

Die Anzahl wettbewerbsrechtlicher Fälle mit internationaler Dimension nimmt zu. Die Schweiz und Deutschland haben nun ein Kooperationsabkommen unterzeichnet. Sie können damit insbesondere ihre Untersuchungsverfahren koordinieren und Informationen austauschen.
Hauptsitz des BMW-Konzerns in München. Die Schweizer Wettbewerbskommission büsste den deutschen Automobilhersteller 2012, weil er seinen Händlern in Deutschland untersagte, Kunden in der Schweiz zu beliefern. (Bild: Keystone)

Die Wettbewerbskommission (Weko) untersucht vermehrt Sachverhalte, die zwar im Ausland stattfinden, aber den Wettbewerb in der Schweiz beschränken. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Hersteller ihren Vertriebspartnern im Ausland verbieten, Kunden in der Schweiz zu beliefern. Solche Exportverbote, die sowohl im sogenannten stationären Handel als auch im Onlinehandel vorkommen, schotten den Schweizer Markt ab. Auch im Bereich der Fusionskontrolle sind internationale Sachverhalte an der Tagesordnung. So wird ein Grossteil der bei der Weko gemeldeten Unternehmenszusammenschlüsse gleichzeitig bei anderen Wettbewerbsbehörden gemeldet.

Angesichts dieser «Internationalisierung» wettbewerbsrechtlicher Sachverhalte haben verschiedene Staaten in den letzten Jahren Instrumente für eine vertiefte Zusammenarbeit entwickelt und namentlich bilaterale Kooperationsabkommen abgeschlossen.[1] Die Schweiz unterzeichnete 2013 ein solches Abkommen mit ihrer wichtigsten Handelspartnerin, der Europäischen Union (EU).

Zusammenarbeit mit der EU hat sich bewährt

Das Abkommen mit der EU ist zentral für eine effiziente Bekämpfung internationaler Wettbewerbsbeschränkungen. Denn es ermöglicht der Weko, enger mit der Generaldirektion (GD) Wettbewerb der EU-Kommission zusammenarbeiten. Die Kooperation der beiden Schwesterbehörden betrifft alle drei Bereiche des Wettbewerbsrechts: Fusionskontrolle, Wettbewerbsabreden und Missbrauch von marktbeherrschenden Stellungen.

Das Abkommen ermöglicht es den beiden Wettbewerbshüterinnen, sich in parallel geführten Untersuchungen über die Verfahrensführung, den Sachverhalt und die materielle Beurteilung auszutauschen. Dadurch können widersprüchliche Ergebnisse in Bern und Brüssel vermieden werden. Das Abkommen erlaubt eine Kooperation bereits vor der Eröffnung von parallelen Untersuchungen. So können die Weko und die GD Wettbewerb den Zeitpunkt der Eröffnung koordinieren und gleichzeitig Hausdurchsuchungen durchführen.

Das Kernstück des Abkommens bildet die Möglichkeit des Informationsaustausches: Unter den in Artikel 7 genannten Voraussetzungen können die beiden Behörden vertrauliche Informationen, namentlich Beweismittel, austauschen.[2] Das bedeutet, dass die Weko und die GD Wettbewerb in parallelen Untersuchungen nicht dieselben Ermittlungshandlungen durchführen müssen, sondern von den Ergebnissen der Ermittlungen der Schwesterbehörde profitieren können. Dies trägt zu effizienteren Verfahren bei, was letztlich auch im Interesse der von einer Untersuchung betroffenen Unternehmen ist. Aufgrund der Möglichkeit dieses Informationsaustausches, der in früheren Abkommen nicht vorgesehen war, handelt es sich beim Abkommen mit der EU um ein Abkommen «zweiter Generation».[3] In den letzten Jahren kam der gegenseitige Informationsaustausch vor allem in parallelen Untersuchungen in den Bereichen Finanzdienstleistungen und Gesundheitswesen zum Einsatz.

Engere Zusammenarbeit mit Deutschland

Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz in der EU. Daher können wettbewerbswidrige Verhaltensweisen im nördlichen Nachbarland den Wettbewerb in der Schweiz beschränken und umgekehrt. So verbot zum Beispiel der BMW-Konzern seinen Vertriebspartnern in Deutschland von 2003 bis 2012, Fahrzeuge der Marken BMW und Mini an Käufer ausserhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) zu liefern. Dieses Exportverbot beschränkte Parallel- und Direktimporte in die Schweiz. Die Weko entschied 2012, dass es sich dabei um rechtswidrige Abreden zur Abschottung des Schweizer Marktes handelte, und verhängte gegen BMW eine Sanktion in der Höhe von 157 Millionen Franken.[4] Der deutsche Kofferhersteller Rimowa praktizierte zwischen 2012 und 2013 ein gleichartiges Exportverbot: Schweizer Kunden, die erfolglos versucht hatten, bei einem deutschen Vertriebspartner online einen Koffer zu bestellen, meldeten dies der Weko, und diese büsste Rimowa mit rund 135’000 Franken.[5]

Das neue Abkommen mit Deutschland schafft die Voraussetzungen für ein noch wirksameres Vorgehen gegen solche wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen. Es wird voraussichtlich noch im Jahr 2023[6] in Kraft treten. Es sieht grundsätzlich dieselben Möglichkeiten vor wie das Abkommen mit der EU, namentlich die Koordination von Untersuchungen und den Austausch vertraulicher Informationen in parallelen Untersuchungen.

Doch in einem Punkt geht es noch weiter als das Abkommen mit der EU. Denn das Abkommen mit Deutschland erlaubt es der Weko, Verfügungen an Unternehmen in Deutschland ohne Sitz oder Zustelldomizil in der Schweiz über die zuständige deutsche Behörde, das Bundeskartellamt, zuzustellen. Eine solche Lösung war mit der EU nicht möglich, da die Zustellung von Verfügungen an Unternehmen in EU-Mitgliedsstaaten in die Zuständigkeit dieser Staaten fällt.[7] Verfügt die Verfügungsadressatin in der EU weder über einen Sitz noch über ein Zustelldomizil in der Schweiz, so muss die Zustellung auf dem diplomatischen Weg erfolgen. Die Lösung mit Deutschland stellt somit einen erheblichen Mehrwert für die Weko dar.

Keine globale Wettbewerbshüterin

Ein internationales Wettbewerbsrecht existiert nicht. In zahlreichen Staaten basiert das nationale Wettbewerbsrecht jedoch auf einem gemeinsamen Grundverständnis. Auf dieser Grundlage können die zuständigen nationalen Behörden ihre Tätigkeiten zur Bekämpfung internationaler Wettbewerbsbeschränkungen koordinieren.[8] Angesichts der Zunahme von wettbewerbsrechtlichen Fällen mit länderübergreifender Dimension[9] haben diverse Jurisdiktionen auf regionaler Ebene Kooperationsabkommen abgeschlossen.[10]

Auf globaler Ebene gibt es bislang keine verbindlichen Kooperationsinstrumente.[11] Allerdings hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr 2014 eine Empfehlung über die internationale Zusammenarbeit bei wettbewerbsrechtlichen Untersuchungen und Verfahren verabschiedet. Die internationale Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden steht seit vielen Jahren weit oben auf der Agenda der OECD. Aus Sicht der Schweiz ist diese Empfehlung eine wichtige Grundlage für die Zusammenarbeit in internationalen Wettbewerbsfragen, insbesondere mit Ländern, mit denen kein Abkommen in diesem Bereich existiert. Derzeit sucht die OECD nach Lösungen, um die Grundlage für eine internationale Zusammenarbeit auf globaler Ebene weiterzuentwickeln.

Die Schweiz unterstützt die internationale Zusammenarbeit in Wettbewerbsfragen. Denn ein wirksames Vorgehen gegen internationale Wettbewerbsbeschränkungen liegt im Interesse ihres Wirtschaftsstandorts. Weil keine «globale Wettbewerbshüterin» existiert, setzt die Schweiz vor allem auf die bestehenden Abkommen mit der EU und Deutschland sowie auf allfällige zukünftige Kooperationsabkommen mit weiteren Nachbarländern.

  1. Siehe Sanglard (2014). []
  2. Nach Art. 42b Abs. 3 des Kartellgesetzes (KG) müssen die Wettbewerbsbehörden die von einer Untersuchung betroffenen Unternehmen informieren und sie zur Stellungnahme einladen, bevor sie der GD Wettbewerb Daten übermitteln. Zu den weiteren Bedingungen siehe Art. 7 des Abkommens mit der EU. []
  3. Siehe Ducrey (2013). []
  4. Siehe Recht und Politik des Wettbewerbs (RPW) 2012/3, S. 540. []
  5. Siehe RPW 2018/2, S. 363. []
  6. Die Bundesversammlung hat das Abkommen (BBI 2023 313) in der vergangenen Frühjahrssession genehmigt (BBI 2023 794). Die Referendumsfrist läuft bis zum 6. Juli 2023. Falls kein Referendum ergriffen wird, tritt das Abkommen voraussichtlich am 1. September 2023 in Kraft. []
  7. Siehe Notenaustausch vom 17. Mai 2013 zwischen dem Bundesrat und der Europäischen Kommission (SR 0.251.268.11). []
  8. Siehe Wallimann und Beuret (2020). 2014 wurde festgehalten, dass bei der internationalen Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden zwar Fortschritte erzielt wurden, dass diese jedoch noch ausbaufähig seien. Siehe Sanglard (2014), S. 41. []
  9. Länderübergreifende Fusionen machen fast die Hälfte aller weltweiten Zusammenschlüsse aus. Nach einem Rückgang im Jahr 2020 zeigt der Trend wieder nach oben. Die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung internationaler Wettbewerbsabreden wurde seit 2012 intensiviert. Siehe OECD (2022). []
  10. Siehe OECD (2022). List of Government Co-Operation Agreements[]
  11. Für ein nicht rechtsverbindliches multilaterales Instrument siehe Unctad (2020). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Blaise Sanglard, Carla Beuret (2023). Wettbewerbs­recht: Schweiz und Deutsch­land vertiefen Zusammen­arbeit. Die Volkswirtschaft, 06. April.