SNB-Vizepräsident Martin Schlegel in seinem Büro, Bundesplatz 1 in Bern: «Solange es eine Nachfrage nach Bargeld gibt, bieten wir es gemäss unserem Auftrag an.» (Bild: Keystone / Alessandro della Valle)
Mein Portemonnaie ist schwarz und aus Leder. Soll ich schauen, wie viel Bargeld ich heute dabeihabe? (beginnt zu zählen) Hundert, hundertdreissig Franken und einen Zweifränkler für das Wägeli im Supermarkt.
Regelmässig. Aber auch viel mit Karte, so die Einkäufe im Supermarkt.
Überhaupt nicht. Jedes Geschäft hat das Recht, die akzeptierten Zahlungsmittel selber zu bestimmen. Gerade bei kleinen Beträgen sind die Kosten für Kartenzahlungen hoch. Ich habe vor einigen Wochen in einem kleinen Laden zwei Ersatzknöpfe für einen Anzug gekauft und gefragt, welches Zahlungsmittel bevorzugt wird – natürlich Bargeld. Der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Zahlungsmitteln ist wichtig.
Bargeld hat neben Nachteilen auch viele Vorteile gegenüber Karten – zum Beispiel technische: Es braucht keine Geräte, keinen Strom, und wenn man eine Note übergibt, ist die Zahlung erledigt. Aber auch in Bezug auf den Datenschutz ist Bargeld im Vorteil. Ich kann verstehen, dass Bargeld für einige Leute Freiheit bedeutet.
Eine allgemeine Annahmepflicht würde sehr weit gehen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es wichtig, dass alle gewünschten Transaktionen einfach, sicher und günstig zustande kommen. Das scheint heute in den allermeisten Fällen gegeben – auch dank der Tatsache, dass Bargeld als Back-up immer zur Verfügung steht.
Ein gut funktionierender Zahlungsverkehr ist ein Grundpfeiler der Wirtschaft, deshalb nehmen Staat und Zentralbank beim Zahlungsverkehr traditionell eine wichtige Rolle ein. Die Bevölkerung soll nach ihren Bedürfnissen bezahlen können. Letztendlich ist es eine politische Frage, ob man für Bargeld eine Annahmepflicht vorschreiben will – oder eben nicht. Zu unserem gesetzlichen Auftrag gehört sowohl die Gewährleistung der Bargeldversorgung als auch die Erleichterung und die Sicherung des Funktionierens bargeldloser Zahlungssysteme.
Bargeld stirbt nicht aus. Das sehen wir auch in Ländern wie Schweden und Norwegen, in denen hauptsächlich bargeldlos bezahlt wird. Es gibt auch dort einen Sockel an Transaktionen, die mit Bargeld getätigt werden. In der Schweiz sind wir in einer anderen Situation. Hier zahlen immer noch sehr viele Menschen regelmässig mit Bargeld. Zudem ist die Bargeldmenge bis vor einem halben Jahr stark gestiegen – auf über 90 Milliarden Franken.
Ein grosser Teil des Bargelds dient zur Wertaufbewahrung.
Die Gründe waren das tiefe Zinsniveau und Phasen grosser Unsicherheit wie zuerst die Finanzkrise – und zuletzt die Corona-Pandemie. In solchen Zeiten ist die Nachfrage nach Bargeld besonders gross. Ein grosser Teil des Bargelds dient zur Wertaufbewahrung. Mit dem Ende der Negativzinsen scheint dieses Bedürfnis kleiner geworden zu sein, und der Bargeldumlauf geht zurück.
Bargeld ist ein Volumengeschäft. Wenn weniger Bargeld im Umlauf ist, steigen die Stückkosten für dessen Bereitstellung. Das macht den Betrieb der Bargeldinfrastruktur teurer und kann zu einer Negativspirale führen: Wird der Geldautomat an der Ecke abgebaut, können die Leute kein Bargeld holen, beim Quartierladen nicht mehr bar bezahlen. Wenn weniger mit Bargeld bezahlt wird, lohnt es sich für die Läden weniger, Bargeld zu akzeptieren, und so weiter.
Ein allfälliger Rückgang könnte selbstverstärkend sein. Im Extremfall wäre dann die Wahlfreiheit der Bevölkerung nicht mehr gegeben. Aus unserer Sicht möchte ich festhalten: Solange es eine Nachfrage nach Bargeld gibt, bieten wir es gemäss unserem Auftrag an.
Die Bargeldversorgung in der Schweiz ist eine Verbundleistung. Die Entwicklung muss man aber genau beobachten. Der Bundesrat beauftragte das Eidgenössische Finanzdepartement hierfür mit der Bildung eines runden Tischs. Dieser soll die beteiligten Akteure zusammenbringen und ein enges Monitoring des Bargeldverkehrs erlauben.
Das wäre nicht der richtige Ansatz. Der Erhalt der Bargeldinfrastruktur liegt in der Verantwortung aller Beteiligten. Die Gewährleistung der Bargeldversorgung bleibt eine wichtige Aufgabe der SNB, und sie trägt dazu bei, indem sie für gute Rahmenbedingungen bei der Grobverteilung sorgt.
Das wissen wir nicht. Der Vorteil der Anonymität des Bargelds ist aus statistischer Sicht ein Nachteil. Wir gehen davon aus, dass ein guter Teil auch im Ausland zirkuliert und zur Wertaufbewahrung verwendet wird. Das ist ein Kompliment und ein Vertrauensbeweis für die Schweiz und die SNB: Man vertraut darauf, dass unser Geld seinen Wert behält.
Ich glaube, das spielt eine untergeordnete Rolle. Auch mit der 200er-Note braucht eine Million Franken nicht viel Platz: Ein 15-Zentimeter-Turm mit 1000er-Noten oder fünfmal so viel mit den kleineren Noten – beides ist recht kompakt.
Fast 50 Milliarden Franken sind in Form von 1000er-Noten im Umlauf. Das entspricht wertmässig mehr als der Hälfte aller Schweizer Banknoten. Ein Teil davon wird gemäss unseren Umfragen für Transaktionen verwendet.
Unser Vorrat an Noten und Münzen ist genügend gross, sodass wir auch einen sehr starken Anstieg der Nachfrage befriedigen könnten.
Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. (lacht) Sicherheit ist ein wichtiges Thema bei uns.
SNB-Vizepräsident Martin Schlegel. (Bild: Keystone / Alessandro della Valle)
Die meisten Leute bezahlten keinen Negativzins auf ihren Konten. Es ist aber so, dass bei stark negativen Zinsen Bargeld attraktiv ist. Denn Bargeld trägt keinen Zins, weder einen positiven noch einen negativen. Allerdings ist die Bargeldhaltung im grossen Stil auch nicht gratis. Man braucht eine Versicherung, einen Safe und so weiter. Beim Negativzins von –0,75 Prozent waren wir noch nicht beim tiefstmöglichen Zins angelangt. Also jener Zinsschwelle, ab der die Bankeinlagen im grossen Stil in Bargeld abgezogen würden. Wir hätten die Zinsen weiter senken können.
Wenn Sie beispielsweise mit einem digitalen Franken bezahlen, so würden Sie, vereinfacht gesagt, mit der Zahlung die Nationalbank verpflichten und nicht Ihre Geschäftsbank – wie dies heute der Fall ist.
Das kommt auf die Ausgestaltung des Systems an. Es gibt Systeme, bei denen Geschäftsbanken eine nahezu gleiche Rolle einnehmen wie heute und die Kundenschnittstelle behalten. Und es gibt andere, die quasi die Zentralbank zur Konkurrentin der Geschäftsbanken macht, weil jede Person eine Art Konto bei der Zentralbank halten könnte.
Der digitale Franken für die breite Bevölkerung bringt aus unserer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt für die Schweiz kaum Vorteile.
Der digitale Franken für die breite Bevölkerung bringt aus unserer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt für die Schweiz kaum Vorteile, weist aber diverse Risiken auf. Wir sind im Moment daher zurückhaltender. Eine Weiterentwicklung der bestehenden Zahlungssysteme scheint uns sinnvoller.
Nein, die Schweiz ist sogar führend auf dem Gebiet des digitalen Zentralbankgelds. Unser Fokus liegt aber auf einem digitalen Franken, der für die Abwicklung von tokenisierten Wertschriften eingesetzt werden kann. Dieser würde jenen Finanzinstituten zur Verfügung gestellt, die heute schon ein Konto bei uns haben. Wir experimentieren hierzu seit Längerem mit der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel und werden diese Arbeiten nun in einem Pilotbetrieb fortführen.
Alternde Technologie würde ich Bargeld nicht nennen. Im Gegenteil: Bargeld vereint Hightech und Kunst. Es wird immer weiterentwickelt. Gerade in der Schweiz haben wir einige Firmen, die hier an vorderster Front dabei sind. Aber auch das bestehende Zahlungssystem entwickeln wir laufend weiter. Ab Herbst 2023 wird das Zahlungssystem der Schweiz Sofortüberweisungen ermöglichen.
Zitiervorschlag: Interview mit Martin Schlegel, Schweizerische Nationalbank (2023). «Bargeld stirbt nicht aus». Die Volkswirtschaft, 16. Mai.
Martin Schlegel ist seit August 2022 Vizepräsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Der 46-Jährige verantwortet unter anderem die Bereiche Bargeld und Finanzstabilität. Martin Schlegel ist seit 2003 in verschiedenen Funktionen für die SNB tätig. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich und promovierte 2009 an der Universität Basel.
Die SNB wurde 1907 gegründet. Sie führt als unabhängige Zentralbank die Geld- und Währungspolitik des Landes. Die Nationalbank beschäftigt rund 980 Mitarbeitende.