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«Bargeld stirbt nicht aus»

Martin Schlegel, Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, ist überzeugt vom Nutzen von Bargeld. Es brauche keine Geräte, keinen Strom, und nach der Übergabe sei das Geschäft erledigt. Gegenüber der Einführung des digitalen Frankens für die breite Bevölkerung zeigt er sich zurückhaltend.
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SNB-Vizepräsident Martin Schlegel in seinem Büro, Bundesplatz 1 in Bern: «Solange es eine Nachfrage nach Bargeld gibt, bieten wir es gemäss unserem Auftrag an.» (Bild: Keystone / Alessandro della Valle)
Herr Schlegel, welche Farbe hat Ihr Portemonnaie?

Mein Portemonnaie ist schwarz und aus Leder. Soll ich schauen, wie viel Bargeld ich heute dabeihabe? (beginnt zu zählen) Hundert, hundertdreissig Franken und einen Zweifränkler für das Wägeli im Supermarkt.

Sie bezahlen regelmässig bar?

Regelmässig. Aber auch viel mit Karte, so die Einkäufe im Supermarkt.

Ärgern Sie sich, wenn es in Läden heisst «Wir akzeptieren Kreditkarten erst ab 20 Franken»?

Überhaupt nicht. Jedes Geschäft hat das Recht, die akzeptierten Zahlungsmittel selber zu bestimmen. Gerade bei kleinen Beträgen sind die Kosten für Kartenzahlungen hoch. Ich habe vor einigen Wochen in einem kleinen Laden zwei Ersatzknöpfe für einen Anzug gekauft und gefragt, welches Zahlungsmittel bevorzugt wird – natürlich Bargeld. Der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Zahlungsmitteln ist wichtig.

Höre ich hier Sympathie für die unlängst zustande gekommene Volksinitiative «Bargeld ist Freiheit»?

Bargeld hat neben Nachteilen auch viele Vorteile gegenüber Karten – zum Beispiel technische: Es braucht keine Geräte, keinen Strom, und wenn man eine Note übergibt, ist die Zahlung erledigt. Aber auch in Bezug auf den Datenschutz ist Bargeld im Vorteil. Ich kann verstehen, dass Bargeld für einige Leute Freiheit bedeutet.

Der Bundesrat hat eben seinen Bargeldbericht verabschiedet: Händler sollen selbst entscheiden können, ob sie Bargeld annehmen wollen oder nicht. Der Bundesrat ist also gegen einen Annahmezwang für Bargeld. Einverstanden?

Eine allgemeine Annahmepflicht würde sehr weit gehen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es wichtig, dass alle gewünschten Transaktionen einfach, sicher und günstig zustande kommen. Das scheint heute in den allermeisten Fällen gegeben – auch dank der Tatsache, dass Bargeld als Back-up immer zur Verfügung steht.

Muss der Staat sicherstellen, dass man zwischen Bargeld und bargeldlosen Zahlungsmitteln wählen kann?

Ein gut funktionierender Zahlungsverkehr ist ein Grundpfeiler der Wirtschaft, deshalb nehmen Staat und Zentralbank beim Zahlungsverkehr traditionell eine wichtige Rolle ein. Die Bevölkerung soll nach ihren Bedürfnissen bezahlen können. Letztendlich ist es eine politische Frage, ob man für Bargeld eine Annahmepflicht vorschreiben will – oder eben nicht. Zu unserem gesetzlichen Auftrag gehört sowohl die Gewährleistung der Bargeldversorgung als auch die Erleichterung und die Sicherung des Funktionierens bargeldloser Zahlungssysteme.

Kurz vor Corona wurde in der Schweiz vor Ort über die Hälfte der Zahlungen bar getätigt. Seit Corona sank dieser Anteil auf ein Drittel. Wo ist das Problem, wenn Bargeld langsam ausstirbt?

Bargeld stirbt nicht aus. Das sehen wir auch in Ländern wie Schweden und Norwegen, in denen hauptsächlich bargeldlos bezahlt wird. Es gibt auch dort einen Sockel an Transaktionen, die mit Bargeld getätigt werden. In der Schweiz sind wir in einer anderen Situation. Hier zahlen immer noch sehr viele Menschen regelmässig mit Bargeld. Zudem ist die Bargeldmenge bis vor einem halben Jahr stark gestiegen – auf über 90 Milliarden Franken.

 

Ein grosser Teil des Bargelds dient zur Wertaufbewahrung.

 

Warum stieg die Bargeldmenge?

Die Gründe waren das tiefe Zinsniveau und Phasen grosser Unsicherheit wie zuerst die Finanzkrise – und zuletzt die Corona-Pandemie. In solchen Zeiten ist die Nachfrage nach Bargeld besonders gross. Ein grosser Teil des Bargelds dient zur Wertaufbewahrung. Mit dem Ende der Negativzinsen scheint dieses Bedürfnis kleiner geworden zu sein, und der Bargeldumlauf geht zurück.

Gibt es ein Problem, wenn weniger mit Bargeld bezahlt wird?

Bargeld ist ein Volumengeschäft. Wenn weniger Bargeld im Umlauf ist, steigen die Stückkosten für dessen Bereitstellung. Das macht den Betrieb der Bargeldinfrastruktur teurer und kann zu einer Negativspirale führen: Wird der Geldautomat an der Ecke abgebaut, können die Leute kein Bargeld holen, beim Quartierladen nicht mehr bar bezahlen. Wenn weniger mit Bargeld bezahlt wird, lohnt es sich für die Läden weniger, Bargeld zu akzeptieren, und so weiter.

Ist das nicht der natürliche Kreislauf?

Ein allfälliger Rückgang könnte selbstverstärkend sein. Im Extremfall wäre dann die Wahlfreiheit der Bevölkerung nicht mehr gegeben. Aus unserer Sicht möchte ich festhalten: Solange es eine Nachfrage nach Bargeld gibt, bieten wir es gemäss unserem Auftrag an.

Die Geschäftsbanken finanzieren nicht nur die Geldautomaten selbst, sondern auch den Transporter, welcher das Bargeld bei der Nationalbank abholt. Entscheiden schlussendlich die Geschäftsbanken, ob die Bargeldinfrastruktur aufrechterhalten bleibt?

Die Bargeldversorgung in der Schweiz ist eine Verbundleistung. Die Entwicklung muss man aber genau beobachten. Der Bundesrat beauftragte das Eidgenössische Finanzdepartement hierfür mit der Bildung eines runden Tischs. Dieser soll die beteiligten Akteure zusammenbringen und ein enges Monitoring des Bargeldverkehrs erlauben.

Was halten Sie von der Subventionierung von Geldautomaten, zur Sicherstellung der Bargeldinfrastruktur?

Das wäre nicht der richtige Ansatz. Der Erhalt der Bargeldinfrastruktur liegt in der Verantwortung aller Beteiligten. Die Gewährleistung der Bargeldversorgung bleibt eine wichtige Aufgabe der SNB, und sie trägt dazu bei, indem sie für gute Rahmenbedingungen bei der Grobverteilung sorgt.

Wie hoch ist der Anteil an Schweizer Banknoten, die im Ausland gehalten werden?

Das wissen wir nicht. Der Vorteil der Anonymität des Bargelds ist aus statistischer Sicht ein Nachteil. Wir gehen davon aus, dass ein guter Teil auch im Ausland zirkuliert und zur Wertaufbewahrung verwendet wird. Das ist ein Kompliment und ein Vertrauensbeweis für die Schweiz und die SNB: Man vertraut darauf, dass unser Geld seinen Wert behält.

Hängt die hohe Nachfrage nach Franken zur Wertaufbewahrung im In- und Ausland vielleicht auch damit zusammen, dass man für grosse Summen weniger Frankenscheine braucht, da es in der Schweiz die 1000er-Note gibt? Nur Singapur und Brunei haben wertvollere Scheine.

Ich glaube, das spielt eine untergeordnete Rolle. Auch mit der 200er-Note braucht eine Million Franken nicht viel Platz: Ein 15-Zentimeter-Turm mit 1000er-Noten oder fünfmal so viel mit den kleineren Noten – beides ist recht kompakt.

Wird häufig mit 1000er-Noten bezahlt?

Fast 50 Milliarden Franken sind in Form von 1000er-Noten im Umlauf. Das entspricht wertmässig mehr als der Hälfte aller Schweizer Banknoten. Ein Teil davon wird gemäss unseren Umfragen für Transaktionen verwendet.

Hat die SNB genügend Banknoten auf Lager, um in einem Krisenfall die Banken mit ausreichend Bargeldliquidität zu versorgen?

Unser Vorrat an Noten und Münzen ist genügend gross, sodass wir auch einen sehr starken Anstieg der Nachfrage befriedigen könnten.

Lagern Sie dieses Bargeld unter dem Bundesplatz in Bern?

Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. (lacht) Sicherheit ist ein wichtiges Thema bei uns.

 

SNB-Vizepräsident Martin Schlegel. (Bild: Keystone / Alessandro della Valle)

 

Die SNB führte 2015 Negativzinsen ein. Im September 2022 hob sie diese wieder auf. Beschränkt Bargeld Ihre Geldpolitik?

Die meisten Leute bezahlten keinen Negativzins auf ihren Konten. Es ist aber so, dass bei stark negativen Zinsen Bargeld attraktiv ist. Denn Bargeld trägt keinen Zins, weder einen positiven noch einen negativen. Allerdings ist die Bargeldhaltung im grossen Stil auch nicht gratis. Man braucht eine Versicherung, einen Safe und so weiter. Beim Negativzins von –0,75 Prozent waren wir noch nicht beim tiefstmöglichen Zins angelangt. Also jener Zinsschwelle, ab der die Bankeinlagen im grossen Stil in Bargeld abgezogen würden. Wir hätten die Zinsen weiter senken können.

Verschiedene Zentralbanken prüfen zurzeit die Möglichkeiten einer digitalen Zentralbankwährung. Wie würde eine solche funktionieren?

Wenn Sie beispielsweise mit einem digitalen Franken bezahlen, so würden Sie, vereinfacht gesagt, mit der Zahlung die Nationalbank verpflichten und nicht Ihre Geschäftsbank – wie dies heute der Fall ist.

Das heisst, ein digitaler Franken für die Bevölkerung würde die Geschäftsbanken ausschalten?

Das kommt auf die Ausgestaltung des Systems an. Es gibt Systeme, bei denen Geschäftsbanken eine nahezu gleiche Rolle einnehmen wie heute und die Kundenschnittstelle behalten. Und es gibt andere, die quasi die Zentralbank zur Konkurrentin der Geschäftsbanken macht, weil jede Person eine Art Konto bei der Zentralbank halten könnte.

 

Der digitale Franken für die breite Bevölkerung bringt aus unserer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt für die Schweiz kaum Vorteile.

 

Die Europäische Zentralbank will im Oktober entscheiden, wie sie das Projekt «Digitaler Euro» fortsetzt. Wie sieht der Zeitplan in der Schweiz aus?

Der digitale Franken für die breite Bevölkerung bringt aus unserer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt für die Schweiz kaum Vorteile, weist aber diverse Risiken auf. Wir sind im Moment daher zurückhaltender. Eine Weiterentwicklung der bestehenden Zahlungssysteme scheint uns sinnvoller.

Also wartet die Schweiz zu?

Nein, die Schweiz ist sogar führend auf dem Gebiet des digitalen Zentralbankgelds. Unser Fokus liegt aber auf einem digitalen Franken, der für die Abwicklung von tokenisierten Wertschriften eingesetzt werden kann. Dieser würde jenen Finanzinstituten zur Verfügung gestellt, die heute schon ein Konto bei uns haben. Wir experimentieren hierzu seit Längerem mit der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel und werden diese Arbeiten nun in einem Pilotbetrieb fortführen.

Und parallel zur digitalen Welt leben wir weiterhin mit der alternden Technologie Bargeld?

Alternde Technologie würde ich Bargeld nicht nennen. Im Gegenteil: Bargeld vereint Hightech und Kunst. Es wird immer weiterentwickelt. Gerade in der Schweiz haben wir einige Firmen, die hier an vorderster Front dabei sind. Aber auch das bestehende Zahlungssystem entwickeln wir laufend weiter. Ab Herbst 2023 wird das Zahlungssystem der Schweiz Sofortüberweisungen ermöglichen.

Zitiervorschlag: Interview mit Martin Schlegel, Schweizerische Nationalbank (2023). «Bargeld stirbt nicht aus». Die Volkswirtschaft, 16. Mai.

Martin Schlegel

Martin Schlegel ist seit August 2022 Vizepräsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Der 46-Jährige verantwortet unter anderem die Bereiche Bargeld und Finanzstabilität. Martin Schlegel ist seit 2003 in verschiedenen Funktionen für die SNB tätig. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich und promovierte 2009 an der Universität Basel.

Die SNB wurde 1907 gegründet. Sie führt als unabhängige Zentralbank die Geld- und Währungspolitik des Landes. Die Nationalbank beschäftigt rund 980 Mitarbeitende.